Das automatische Pensionssplitting soll nicht nur für Ehegemeinschaften sein, fordert Disoski.

Foto: Getty Images/iStockphoto

"Dass das Budget nicht mehr stagniert, das war ein grüner Erfolg", sagt Frauensprecherin Meri Disoski.

Foto: Parlamentsdirektion / PHOTO SIMONIS

Weitere Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, Arbeitszeitverkürzung oder ein Verbot von sexistischer Werbung: Die ÖVP, Koalitionspartnerin der Grünen, konnte mit deren frauenpolitischen Vorstellungen noch nie viel anfangen. Meri Disoski, Frauensprecherin der Grünen, sieht trotzdem Möglichkeiten für feministische Politik.

STANDARD: Die Grünen verstehen sich als feministische Partei, Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) will sich nicht als Feministin verstehen. Ein Hemmnis für eine feministische Frauenpolitik?

Disoski: Die frauenpolitischen Versäumnisse der vergangenen Jahre kulminieren jetzt krisenbedingt und sind auch noch verstärkt worden. Von coronabedingter Arbeitslosigkeit sind Frauen überproportional betroffen. Wir haben deshalb mit dem Koalitionspartner ein Arbeitsmarktpaket verhandelt, in dem sich gezielt Maßnahmen zur Weiterbildung und Umqualifizierung von Frauen in Zukunftsbranchen finden, etwa dass Frauen stärker in Mint-Bereiche und Green Jobs kommen. Doch auch wenn wir uns die letzten sechs Monate anschauen, in denen wir im Amt sind, ist frauenpolitisch einiges weitergegangen. Es gab zum ersten Mal seit zehn Jahren eine Erhöhung des Frauenbudgets, wir haben es geschafft, dass die Abtreibungspille Mifegyne auch bei niedergelassenen Frauenärztinnen und -ärzten ausgegeben werden kann, wir sind Hass im Netz angegangen, das Upskirting-Verbot kommt demnächst. Und ich führe einen sehr offensiven Kampf gegen sexistische Werbung und gewaltverharmlosende Produkte. Wir können also einiges vorweisen. Aber klar ist auch, dass die frauenpolitischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte nicht in ein paar Monaten lösbar sein werden.

STANDARD: Groß war die Erhöhung des Budgets für Frauenagenden aber nicht, es war im Grunde die Inflationsanpassung, die zehn Jahre lang nicht passiert ist. Im Regierungsprogramm war von einer "substanziellen" Aufstockung die Rede.

Disoski: Dass das Budget nicht mehr stagniert, das war ein grüner Erfolg. Die Erhöhung um zwei Millionen ist gut und ein erster Schritt. Nächste müssen und werden folgen, damit wir tatsächlich zu dieser substanziellen Erhöhung kommen, die wir verhandelt haben. Wir sind auch für das kommende Jahr in Verhandlungen betreffend eine weitere Erhöhung.

STANDARD: Susanne Raab will ein automatisches Pensionssplitting als Maßnahme gegen Altersarmut umsetzen. Das könnte aber Paare bestärken, in der alten Rollenverteilung zu verharren: Sie arbeitet unbezahlt in der Familie, er Vollzeit im Job. Wie stehen Sie zu dem Vorschlag?

Disoski: Es gibt zwei Varianten des Pensionssplittings im Regierungsübereinkommen. Das Modell der ÖVP nimmt die Ehe als Grundlage, unser Modell legt fest, dass Pensionssplitting auch in anderen Formen von Familien und Partnerschaften wirksam werden können soll – das wäre die Grundvoraussetzung für mich, um das Pensionssplitting einzuführen. Es soll nicht ausschließlich auf die Ehe reduziert sein. Allerdings halte ich das Pensionssplitting nur für ein kleines Pflaster, das man über eine klaffende Wunde legt. Ein kleiner Teil wird dadurch besser, aber die eigentlichen Probleme wie die Lohnschere, die ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, unzeitgemäße Karenzmodelle – all das werde ich mit dem Pensionssplitting nicht lösen können. Es muss ein Maßnahmenpaket geben, um dorthin zu kommen, wo wir hinmüssen: zur gleichen Bezahlung von Männern und Frauen. Frauen dürfen ökonomisch nicht von Männern abhängig sein.

STANDARD: Ihr Parteichef Werner Kogler hat sich für ein degressives Arbeitslosengeld ausgesprochen. Das könnte Frauen besonders treffen, denn die Dienstleistungsbranchen werden auch noch in einigen Monaten Probleme haben, und die Jobsuche für Frauen wird länger schwierig bleiben.

Disoski: Das degressive Arbeitslosengeld wäre eine Verbesserung – das wurde erst bewusst falsch verstanden. Wenn ich mit einem Arbeitslosengeld von 80 Prozent anfange und im Endeffekt nicht unter die jetzigen 55 Prozent, die man vom Nettoeinkommen bekommt, falle, dann habe ich unterm Strich klarerweise mehr bekommen als mit der jetzigen Regelung. Es war immer klar: Das Arbeitslosengeld darf nicht unter die jetzigen 55 Prozent fallen. Das wird es mit uns nicht geben.

Neben unserer vorhin erwähnten Arbeitsmarktoffensive wäre als zweite Maßnahme wichtig, die Löhne jener Branchen mit hohem Frauenanteil neu zu bewerten. Dafür braucht es den Bund, die Länder, die Gemeinden sowie Sozialpartner und Gewerkschaften.

STANDARD: Sie fordern ein Verbot von sexistischer Werbung. Das ist tatsächlich immer ein enormes Aufregerthema. Aber ist das wirklich gerade jetzt in der Krise so wichtig?

Disoski: Ja, weil ich es in einem größeren Kontext sehe. Sexismus in der Werbung ist ein Ausdruck von Sexismus und Misogynie in der Gesellschaft, den wir ja tatsächlich in vielen Bereichen haben. Eine Form von Sexismus ist jener in der Werbung, eine andere, dass ich mir in einem Shop Kühlschrankmagneten kaufen kann, die Gewalt gegen Frauen verharmlosen, und eine weitere, dass der stellvertretende Landeshauptmann von Tirol eine WWF-Mitarbeiterin in aller Öffentlichkeit als "widerwärtiges Luder" beschimpfen kann – ohne irgendwelche Konsequenzen. Eine massive Form von Misogynie ist das Gewaltproblem, das wir in Österreich haben. Es gibt strukturell einen Zusammenhang zwischen all diesen Formen von Sexismus. Werbung prägt das Bild dessen, was wir als akzeptabel empfinden. Darum ist mir das natürlich ein Anliegen – als ein Baustein in einem gesamten System. Und das System sind patriarchale Macht- und Hierarchieverhältnisse – ohne die wäre es gar nicht denkbar, dass wir ständig herabwürdigende Bilder von Frauen in der Öffentlichkeit haben. Maßnahmen gegen Hass im Netz, wie sie kürzlich beschlossen wurden, erachten wir auch als wichtig. Warum dann keine gesetzlichen Regelungen gegen Hass gegenüber Frauen an öffentlichen Orten?

STANDARD: Gewaltschutzeinrichtungen zeigten sich empört über die Neuausschreibung der Salzburger Frauenhäuser. War das ein Fehler?

Disoski: Ja! In Salzburg hat die zuständige Landesrätin ohne Not eine Neuausschreibung für die Frauenhäuser initiiert, obwohl alle Expertinnen dagegen waren und davor gewarnt haben. Sie zerschlägt damit ein etabliertes Angebot im Gewaltschutz, das ist für mich nicht nachvollziehbar. Gerade in der jetzigen Situation Unsicherheit zu schaffen, wo wir doch wissen, dass Corona einen Gewaltanstieg bringt, das ist nicht nachvollziehbar. Meine Vermutung ist, dass es um Kostensenkung geht und nicht so sehr um den Gewaltschutz. Wir lehnen das als Grüne ab und haben auch versucht, die Landesrätin zu überzeugen, diese Ausschreibung zurückzuziehen. (Beate Hausbichler, 19.8.2020)