Nichts mehr riechen nach Covid. Die Riechstörung verschwindet. Allerdings: Sars-CoV-2 führt nicht zu einer Schwellung der Nasenschleimhaut. Normalerweise tritt kein Schnupfen auf.

Foto: Zach Veilleux / The Rockefeller Universit

Viele Dinge des Daseins erfasst der Mensch mit seinem Geruchs- und Geschmackssinn, doch etwa fünf Prozent der Bevölkerung riechen nichts – weder den angenehmen Duft von Rosenblüten und Kräutern noch von gammelig riechendem Fleisch oder gefährlichem Feuer. Sie leiden an Anosmie. Ist das Geruchsvermögen nur vermindert, spricht man von Hyposmie.

"Ein gut funktionierendes Geruchs- und Geschmackssystem ist für uns Menschen ganz essenziell. Eine Beeinträchtigung bedeutet ein erhebliches Problem, das eine stark eingeschränkte Lebensqualität nach sich zieht und mentale Probleme, etwa Depressionen und Angsterkrankungen, fördern kann", sagt der Neurologe Thomas Berger, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie in Wien und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie. Dass eine Infektion, beispielsweise mit Rhinoviren, die einen grippalen Infekt auslösen, dazu führen kann, dass das Riechvermögen vorübergehend gestört ist, ist schon länger bekannt. Auch dass es Viren gibt, die die Riechzellen befallen und abtöten. Dann dauert die Riechstörung monatelang an. Wie ist das bei Sars-CoV-2, und was genau passiert da?

Viele Covid-19-Patienten betroffen

Hinweise auf eine beeinträchtigte Geruchswahrnehmung bei Menschen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, gab es schon früh. Bereits bei der ersten Station von Sars-CoV-2 bei seiner Reise um die Welt, dem chinesischen Wuhan, meldeten Ärzte, dass etwa 20 bis 30 Prozent der Covid-19-Patienten aufgrund der Virusinfektion an Geruchs- und Geschmacksstörungen leiden. Als das Coronavirus dann in Italien und Spanien wütete, berichteten die dortigen Neurologen, dass sogar rund 80 Prozent der Patienten über einen länger anhaltenden Verlust ihres Riechvermögens klagen. Dieses Symptom tritt bei Covid-19 offensichtlich sehr viel häufiger auf als Husten und Fieber, ist oft das erste Anzeichen für eine Infektion mit dem Coronavirus. Es scheint häufiger bei milden und moderaten Erkrankungsverläufen aufzutreten.

"Erfahrungsberichte sprechen für ein Nein", sagt Berger. "Erfreulicherweise ist die Anosmie bei Covid-19-Patienten nach einigen Wochen stark abgeschwächt oder ganz verschwunden." Das spricht dafür, dass Sars-CoV-2 die Riechzellen eher indirekt schädigt. Eine aktuelle internationale Studie unter Leitung von Neurowissenschaftern der Harvard Medical School bestätigt das nun.

An den Rezeptoren

Die Forscher haben das sogenannte Riechepithel genauer untersucht, in dem sich die fürs Riechvermögen wichtigen Zellen befinden. Dazu gehören die Riechzellen, die Nervenzellen und zugleich Sinneszellen mit Geruchsrezeptoren sind. Die Geruchsrezeptoren an den Härchen (Zilien) der Riechzellen sind dafür verantwortlich, dass wir eine Vielzahl von Gerüchen aufnehmen und unterscheiden können. Stützzellen umschließen die Riechzellen.

Sie sind für das lokale Wasser- und Ionengleichgewicht sowie für den Stoffwechsel der Riechzellen verantwortlich. Unterhalb dieser beiden Zelltypen befinden sich die Basalzellen. Sie stellen das Reservoir an neuronalen Stammzellen für die monatlich erfolgende Erneuerung der Riechzellen.

"Damit Sars-CoV-2 in eine Zelle gelangen kann, muss sich als Andockstelle auf der Zelloberfläche ein bestimmter Rezeptor, das ACE2, befinden. Außerdem braucht das Virus ein durch die Zellmembran verlaufendes Enzym, das TMPRSS2, damit sein genetisches Material ins Zellinnere gelangen kann", erzählt Berger. TMPRSS2 ist das Kürzel für transmembrane Serinprotease 2.

Die Harvard-Wissenschafter untersuchten, welche Proteine die einzelnen Zelltypen produzieren, und stellten fest, dass in den Riechzellen weder das Gen für die Andockstelle ACE2 noch für das TMPRSS2 abgerufen und die entsprechenden Proteine hergestellt werden. Bei den Stützzellen wurden sie dagegen fündig. Ebenso in den Stammzellen. Die Eintrittspforten für das Virus sind demnach vorhanden. Das bedeutet aber nicht, dass alle Zellen vom Virus infiziert werden. Die Studienergebnisse wurden vor kurzem in dem Journal "Science Advances" veröffentlicht. "Sie zeigen, dass das neuartige Coronavirus das Geruchsvermögen der Patienten verändert, indem es nicht direkt die Nervenzellen infiziert, sondern die Funktion der Stützzellen beeinträchtigt", sagt der leitende Studienautor und Neurobiologe Sandeep Robert Datta vom Blavatnik-Institut der Harvard Medical School. Eine Infektion der Stammzellen könnte dann die Regeneration des Riechepithels und ihre Reparatur über die Zeit hemmen.

Ist auch der Riechkolben betroffen?

Die Riechzellen haben über einen langen dünnen Nervenfortsatz direkten Zugang zum Riechkolben, dem vorderen Abschnitt des Hirnnerven. Die Forscher wollten wissen, ob neben dem Riechepithel auch der Riechkolben von der Virusinfektion betroffen ist. Sie stellten erleichtert fest, dass dort zwar in den Gefäßwandzellen, den Perizyten, ACE 2 und TMPRSS2 gebildet werden, nicht aber in den Riechzellen. Das bedeutet, dass die zentrale Geruchsverarbeitung im Gehirn nicht durch Covid-19 beeinträchtigt wird.

Die Forscher halten mehrere, sich gegenseitig nicht ausschließende Mechanismen als Ursache für einen vorübergehenden teilweisen oder kompletten Riechverlust für möglich: Der Riechkolben könnte schlechter durchblutet sein, weil Gefäßzellen beschädigt sind. Wegen der lokalen Infektion von Stütz- und Gefäßzellen in Nase und Riechkolben treten zudem entzündliche Prozesse auf.

Es ist wahrscheinlich, dass infizierte Stützzellen deshalb die "Pflege"-Aufgaben für "ihre" Riechzellen nicht mehr erfüllen können, weshalb betroffene Riechzellen in ihrer Funktion beeinträchtigt werden oder sogar absterben. Beschädigte und alte Riechzellen werden zwar durch Basalzellen regeneriert. Möglicherweise ist aber auch die Regeneration der Riechzellen gestört, weil die Basalzellen ja ebenfalls von Sars-CoV-2 infiziert werden können. Unabhängig von den Mechanismen bleibt das Riechepithel nach der Virusinfektion etwas "ausgedünnt". "Trotz dieses möglichen Riechepithelschadens verschwindet die Riechstörung wieder ganz oder zumindest teilweise", sagt der Wiener Neurologe Berger. Weitere Forschung ist nötig, um die genauen Erkrankungsmechanismen aufzuklären, die zu Covid-19-Anosmie führen. (Gerlinde Felix, 8.8.2020)