Der Verfassungs- und Verwaltungsjurist Heinz Mayer widmet sich im Gastkommentar den Kompetenzen, die ein Verfasser von Gesetzestexten braucht. Auch hohe psychische Stabilität gehört dazu – nicht nur in einer Pandemie.

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"Ich bin eigentlich in wesentlichen Punkten gescheitert, weil schwere grammatikalische Schnitzer drinnen sind." – Verfassungsrechtler Heinz Mayer kritisierte vergangene Woche im Ö1-Mittagsjournal die Einreiseverordnung. Die Formulierung von Rechtsvorschriften liege "offenbar nicht in der Hand von ausreichend qualifizierten Juristen".
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Kritik an legistisch oder rechtlich verunglückten Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften gibt es, seit ich mich erinnern kann. In den späten Siebzigern des vorigen Jahrhunderts war ich an der Verwaltungsakademie des Bundes für die Weiterbildung von Bundesbediensteten zuständig. Ich habe in diesem Zusammenhang auch Workshops zur Gesetzgebungstechnik veranstaltet. In diesen Workshops arbeiteten erfahrene und angehende Bundesbeamte, die in der Legistik tätig waren, und Verfassungsrechtler gemeinsam. Ich habe diese Zusammenarbeit als besonders befruchtend in Erinnerung.

Klare Sprache

In dieser Zeit erblickte ein Entwurf eines Bundesgesetzes das Licht der Öffentlichkeit, der von einem angesehenen Rechtsanwalt, der auch Professor an der Universität Wien war, in einer Tageszeitung förmlich in der Luft zerfetzt wurde. Die Kritik richtete sich allein gegen die sprachlichen Formulierungen. Der Kritiker hat es unternommen, den Gesetzesentwurf umzuformulieren und – wie er es damals nannte – in die deutsche Sprache zu übersetzen. Ich nahm diesen Vorfall zum Anlass, Gesetzentwurf samt Kritik in den Workshop einzubeziehen. Am Ende stellte sich heraus, dass der neu formulierte Gesetzestext zwar elegant und sprachlich "schön" war, aber inhaltlich alle wichtigen Zielsetzungen des Gesetzes verfehlt hat und zu einem Ergebnis geführt hätte, das niemand wollte.

Was ist daraus zu folgern? Um ein gutes Gesetz zu machen, sind ausgezeichnete Kenntnisse des Verfassungs- und Europarechts, der betreffenden Gesetzesmaterie, aber auch eine entsprechende Sprachbeherrschung erforderlich. Der beste Jurist wird keinen guten Gesetzestext formulieren können, wenn er die deutsche Sprache nicht beherrscht. Ein Beistrich zu viel oder zu wenig kann den Inhalt eines Satzes völlig verändern.

Ziele definieren

Zunächst ist wichtig, dass man die Ziele, die man erreichen will, genau definiert. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Nicht nur die Verfassung, auch das Europarecht setzt der nationalen Gesetzgebungskompetenz Schranken. Innerstaatlich ist es insbesondere die Kompetenzverteilung, die Bund und Länder, in teilweise komplizierter Abgrenzung, beschränkt. Auch die Grundrechte sind zu beachten; Gesetze, die in Rechtspositionen eingreifen, müssen sich stets die Frage gefallen lassen, ob sie auch grundrechtskonform sind. Hier kann es notwendig sein, die Zielsetzung einzuschränken, was natürlich eine Abstimmung mit den politischen Entscheidungsträgern erfordert.

Hat man die Ziele definiert, ist zu überlegen, mit welchen Mitteln diese Ziele erreicht werden sollen. Auch hier kann eine Antwort schwierig sein. So kann zum Beispiel eine Erleichterung für Arbeitnehmer im Arbeitsrecht zu erheblichen Nachteilen im Pensionsrecht führen. Ein guter Legist muss hier wissen, wann er welche Experten anderer Bereiche zurate zieht. Wichtig ist auch, dass man Maßnahmen vorsieht, die effektiv sind. Ineffektive Maßnahmen führen dazu, dass die angestrebten Ziele nicht erreicht werden, und sie können unter Umständen verfassungswidrig sein; dies dann, wenn sie Eingriffe in Grundrechte vorsehen. Wichtig ist hier ein ordentliches Begutachtungsverfahren.

Konsequenzen aufzeigen

In bestimmten Fällen ist es notwendig, rasches behördliches Handeln zu ermöglichen und "Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt" vorzusehen. Wenn zum Beispiel ein Tanklastwagen in einen Acker kippt und der Inhalt dieses Lkws das Grundwasser zu verseuchen droht, kann man kein langes Verfahren mit dem Eigentümer vorsehen, um dessen Zustimmung zur Benutzung seines Grundstückes zu erlangen. Die Behörde muss ermächtigt werden, unverzüglich, ohne Rücksicht auf die Zustimmung des Eigentümers, zu handeln. Ähnliches gilt bei Auftreten einer Epidemie. Ein hochansteckendes Virus erfordert rasches behördliches Vorgehen und muss möglicherweise auch erhebliche Grundrechtseingriffe nach sich ziehen. Hier muss genau abgegrenzt werden, für welche Fälle solche Maßnahmen zugelassen werden sollen; unmittelbares behördliches Eingreifen hebelt nämlich den Rechtsschutz aus. Später erhobene Rechtsmittel können den bereits geschehenen Eingriff nicht mehr rückgängig machen.

In vielen Fällen muss der Gesetzgeber die Ergreifung behördlicher Maßnahmen von einer Verordnung abhängig machen. Verordnungen sind generelle Rechtsakte, die von Verwaltungsbehörden nur aufgrund der Gesetze erlassen werden dürfen. Dies bedeutet zunächst, dass die zuständige Verwaltungsbehörde genau erfassen muss, welchen Rahmen der Gesetzgeber für den Inhalt einer Verordnung vorgegeben hat. Jede Überschreitung dieses Rahmens führt zur Gesetzwidrigkeit der Verordnung. Darüber hinaus müssen die Voraussetzungen, unter denen eine Verordnung erlassen werden kann, genau ermittelt und aktenmäßig dokumentiert werden. Soll eine Verordnung die Ausbreitung einer Epidemie verhindern, bedarf es daher entsprechender fachlicher Expertise, die aktenmäßig dokumentiert werden muss. Dabei muss sichtbar gemacht werden, welche Konsequenzen ein Unterbleiben von Maßnahmen hat und welche Maßnahmen unbedingt erforderlich sind; allenfalls auch, welche zweckmäßig wären. Es obliegt dann der Behörde, im Einzelnen abzuwägen, mit welcher Intensität sie in die Rechte der Bürger eingreift und welches Risiko sie für die Allgemeinheit in Kauf nimmt.

Überflüssiger Zeitdruck

Was folgt aus all dem? Ein guter Legist muss jedenfalls ein hervorragender Jurist mit breiter juristischer Kompetenz sein und eine entsprechende Sprachbeherrschung aufweisen. Alle diese Fähigkeiten müssen sich in einer Person finden. Dazu kommt, dass jeder der in dieser Funktion tätig ist, über eine hohe psychische Stabilität verfügen muss. Von Politikern wird sehr oft ein völlig überflüssiger Zeitdruck aufgebaut, wenn etwa am nächsten Tag eine Pressekonferenz stattfinden soll. Es soll auch Politiker geben, denen die juristische Qualität bei Rechtsvorschriften egal ist. Ich erinnere mich an einen Ausspruch eines langjährigen Ministers, der in diesem Zusammenhang erklärt hat, es interessiere ihn nicht, wenn ihm Juristen sagen, was nicht geht. Er wünsche, dass seine Vorgaben hier und jetzt umgesetzt werden.

Man sieht also: Die Erzeugung "guter" Gesetze erfordert nicht nur ein hohes Maß an juristischer und fachlicher Kompetenz samt Sprachbeherrschung, sondern auch ein starkes rechtsstaatliches Bewusstsein. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. (Heinz Mayer, 5.8.2020)