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Die Explosionen zerstörten den Hafen von Beirut komplett.

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Die Detonationen ereignete sich in einem Teil des Hafens der libanesischen Hauptstadt, wo in Speichern hochexplosive Materialien gelagert wurden.

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Eine Drohnenaufnahme der Zerstörung.

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Libanons Präsident rief für zwei Wochen den Notstand aus.

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Einsatzkräfte suchten die ganze Nacht nach Überlebenden.

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Verwundete in Beirut nach der Explosion.

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Zahlreiche Gebäude wurden zerstört.

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Das Wichtigste in Kürze:

  • Laut dem Gouverneur Beiruts ist die halbe Stadt von Schäden durch die Explosion betroffen. Zwischen 200.000 und 250.000 Einwohner dürften demnach ihre Unterkünfte verloren haben. Laut Regierungsangaben sind Stand Mittwochnachmittag mindestens 135 Tote zu beklagen. Mindestens 4.000 Menschen seien verletzt worden, sagte Gesundheitsminister Hamad Hassan.
  • Nach Einschätzung von Ministerpräsident Hassan Diab waren im Hafen der Stadt 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat gelagert, die zur Explosion geführt haben könnten.
  • Hinweise auf einen Anschlag gab es zunächst nicht. US-Präsident Donald Trump sprach aber von einem Bombenangriff. Seine Generäle würden aufgrund der Art der Detonation nicht von einem Unfall ausgehen. US-Verteidigungsminister Mark Esper sprach von einem Unfall.
  • Auch das Gebäude der österreichischen Botschaft wurde beschädigt.
  • Jene 180 österreichischen Soldaten, die im Rahmen einer UN-Mission im Libanon stationiert sind, waren nicht von der Explosion betroffen.
  • Rasch kamen Hilfsangebote mehrerer Länder, darunter auch Israel, das sich offiziell noch im Krieg mit dem Libanon befindet.

Die verheerende Explosion im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut hat die Wohnungen von zehntausenden Menschen zerstört. Beiruts Gouverneur Marwan Abboud sagte am Mittwoch dem Sender MTV, dass 200.000 bis 250.000 Einwohner ihre Unterkünfte verloren hätten. Der Schaden liege bei drei bis fünf Milliarden Dollar, sagte Abboud laut der Nachrichtenagentur NNA.

Die Zahl der Toten ist nach Regierungsangaben am Mittwochnachmittag auf mindestens 135 gestiegen. Mindestens 4.000 Menschen seien verletzt worden, sagte Gesundheitsminister Hamad Hassan. Dutzende Menschen würden noch immer vermisst, die Suche nach Überlebenden dauere an.

Am Dienstag hatten sich im Hafen der Küstenstadt mindestens zwei schwere Explosionen ereignet. Dort befanden sich auch Lagerhäuser für hochexplosive Chemikalien. Die genaue Explosionsursache war vorerst unbekannt, die Sicherheitsbehörden vermuteten veraltetes explosives Material in den Speichern als Auslöser – dabei handelt es sich offenbar um 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat. Das Material sei seit sechs Jahren ohne Vorsichtsmaßnahmen in einem Lagerhaus untergebracht gewesen. Der Sicherheitschef der Regierung, Abbas Ibrahim, sagte, das Ammoniumnitrat sei seinerzeit beschlagnahmt worden. Hinweise auf einen Anschlag oder einen politischen Hintergrund gab es zunächst nicht. Der italienische Zivilschutz schickt 14 Experten nach Beirut, um bei der Bewertung chemischer und bakterieller Gefahren sowie bei der Untersuchung beschädigter Strukturen zu helfen.

Chaos

In der Stadt selbst herrschte Chaos, berichtete ein Augenzeuge dem STANDARD am Dienstagabend. Auf den Straßen in Hafennähe lägen Trümmer, überall sei Blut zu sehen gewesen.

Kurz nach 18 Uhr Ortszeit stieg über der Stadt eine große Rauchwolke auf, unmittelbar danach folgte eine starke Druckwelle, die ganze Häuser zerstörte. Auch in kilometerweiter Entfernung zersprangen Glasfenster und verletzten Menschen. Reuters berichtet, dass die Explosion sogar in Zypern, in 180 Kilometern Entfernung, spürbar war. Präsident Michael Aoun berief für Dienstagabend eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Verteidigungsrats ein, dieser rief umgehend für zwei Wochen den Ausnahmezustand aus.

Die libanesische Armee half dabei, die Verletzten in Krankenhäuser zu bringen. Die Spitäler der Hauptstadt seien allerdings voll, weitere Opfer müssten in Einrichtungen in den Vorstädten transportiert werden, sagte Gesundheitsminister Hassan Hamad am Dienstag. Einsatzkräfte der Feuerwehr kämpften in den späten Abendstunden immer noch gegen die Flammen an der Explosionsstelle. Laut dem Gesundheitsministerium waren am Dienstagabend noch viele Personen vermisst.

Der Hafen liegt nur wenige Kilometer von der Innenstadt entfernt. Große Teile des Areals wurden vollständig zerstört – laut Medienberichten auch für die Versorgung der Bevölkerung wichtige Getreidespeicher. Auch das Kreuzfahrtschiff "Orient Queen" ist gesunken.

Die Regierung hat unterdessen die Verantwortlichen im Hafen unter Hausarrest gestellt. Dabei handle es sich um Personen, die in den vergangenen Jahren für die Lagerung und Bewachung der 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat zuständig gewesen seien, erklärte Informationsministerin Manal Abdel Samad am Mittwoch nach einer Kabinettssitzung.

Die Regierung beschloss der Ministerin zufolge zudem einen zweiwöchigen Notstand für Beirut. Eine Untersuchungskommission solle dem Kabinett innerhalb von fünf Tagen einen ersten Bericht zu den Umständen der Detonation vorlegen, sagte Abdel Samad weiter.

Eine Braut in Beirut machte kurz vor der Explosion Hochzeitsfotos.

Trump spricht von "Bombenangriff"

US-Präsident Donald Trump sprach im Zusammenhang mit der Explosion von einem Bombenangriff. Seine Generäle würden aufgrund der Art der Detonation nicht von einem Unfall ausgehen. "Sie denken, es sieht wie ein Angriff aus. Als sei es eine Art Bombe", sagte Trump bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus am Dienstag.

Weder vom Pentagon noch den libanesischen Behörden kamen jedoch irgendwelche öffentlichen Hinweise darauf, dass es sich um einen Anschlag gehandelt haben könnte. US-Verteidigungsminister Mark Esper bezeichnete die Tragödie in Beirut als "Unfall". Die verfügbaren Informationen erlaubten noch kein abschließendes Bild, die "meisten" Quellen gingen aber von einem Unfall aus, sagte Esper.

Österreichische Botschaft beschädigt

Auch die österreichische Botschaft in Beirut ist von den Explosionen betroffen: "Das Botschaftsgebäude in Achrafieh wurde beschädigt, und es steht derzeit nicht fest, ob die Botschaft als Büro in den nächsten Tagen funktionsfähig sein kann", schreibt die Auslandsvertretung auf ihrer Facebook-Seite.

Die Botschaft sei aber rund um die Uhr über eine Notfall-Telefonnummer erreichbar, wird betont: "Bitte kontaktieren Sie, falls Sie Angehörige suchen oder Ihnen bekannt geworden ist, dass österreichische Staatsbürger durch diese Katastrophe in Beirut verletzt sind oder Hilfe benötigen, die Botschaft telefonisch unter folgenden Nummern: +961 1 213 052 oder +961 1 213 017", so die Botschaft. Bis Mittwochvormittag gab es allerdings keine Hinweise darauf, dass Österreicher verletzt wurden, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Peter Guschelbauer, der APA.

Auch ein Boot der Uno-Friedenstruppen im Libanon (Unifil) wurde bei der Explosion beschädigt, mehrere Blauhelme sollen dabei verletzt worden sein. Die Unifil-Truppen überwachen seit 1978 das Grenzgebiet zwischen dem Libanon und Israel. Unter ihnen ist auch ein österreichisches Kontingent aus rund 180 Soldaten, das vor allem im Landverkehr im Einsatz ist.

Bundesheer-Soldaten nicht betroffen

Im Libanon sind im Rahmen der UN-Mission rund 180 österreichische Soldaten stationiert. Diese sind alle "wohlauf und unverletzt" und waren in keiner Form in die verheerenden Explosionen involviert, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Michael Bauer, am Mittwoch der APA. Das Camp des Bundesheers liege rund zwei Fahrtstunden von Beirut entfernt in Naqoura.

Hilfe bei den Notfallmaßnahmen könne das Bundesheer selbst nicht anbieten, sagte Bauer. Dieses Angebot müsste von der Uno kommen. "Die Gedanken der Unifil-Truppe sind bei den Betroffenen", schrieb Bauer auf Twitter. Die österreichischen Soldaten helfen laut Bundesheer-Website mit mehr als hundert Fahrzeugen (darunter Geländewagen, Sattelschlepper, Busse, Berge-, Lösch- und Tankfahrzeuge), "die Lage im Libanon zu beruhigen und die Sicherheit für die Bevölkerung zu gewährleisten".

Tag der Trauer

Regierungschef Hassan Diab erklärte den Mittwoch zum Tag landesweiter Trauer in Gedenken an die Opfer. Er versprach außerdem, die Verantwortlichen "zur Rechenschaft zu ziehen". Sowohl die EU als auch etliche weitere Staaten stellten dem Libanon Hilfe in Aussicht.

Darunter waren auch in seltener Einigkeit Israel und der Iran. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprach den Angehörigen der Toten ihr Mitgefühl aus und bot Unterstützung an. Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärte via Twitter, "unsere Gedanken sind bei den Menschen im Libanon, bei den Verletzten und den Familien der Opfer".

Zu den ersten Ländern, die ihre Hilfe zusagten, gehörten die Golfstaaten. Katar will demnach Feldlazarette zur Versorgung der tausenden Verletzten schicken. Kuwait sagte die Entsendung medizinischer Nothilfe zu. Jordaniens Außenminister Ayman Safadi erklärte, sein Land sei zu jeder Hilfe bereit, die der Libanon nun benötige.

Israel bietet Hilfe an

Ähnlich äußerte sich der Iran. Sein Land bete zudem für das "großartige und widerstandsfähige Volk des Libanon", twitterte Außenminister Mohammad Javad Zarif und fügte hinzu: "Bleib stark, Libanon."

Selbst Israel, das sich formell immer noch im Krieg mit dem Nachbarn befindet, bot humanitäre Hilfe an: Über die internationalen Vermittler hätten Verteidigungsminister Benny Gantz und Außenminister Gabi Ashkenazi "medizinische und humanitäre sowie sofortige Nothilfe angeboten", hieß es in einer Erklärung.

In einer Geste der Solidarität ist am Mittwochabend die libanesische Flagge auf das Rathaus im israelischen Tel Aviv projiziert worden. "Menschlichkeit ist wichtiger als jeder Konflikt", schrieb Bürgermeister Ron Huldai im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Unsere Herzen sind beim libanesischen Volk."

Ein Land in der Krise

Der Libanon steckt seit Monaten in einer tiefen Krise. Seit Oktober finden regelmäßig Massenproteste gegen die Regierung statt, das libanesische Pfund hat in den vergangenen Monaten rund 80 Prozent seines Werts im Vergleich zum Dollar verloren. Tausende Unternehmen mussten schließen, und Stromausfälle sind die Regel geworden.

Zudem hat sich die Lage an der südlichen Grenze des Landes zugespitzt: Im Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah hat die libanesische Regierung kürzlich beschlossen, eine Beschwerde beim Uno-Sicherheitsrat einzulegen. Premier Diab wirft Israel vor, die Souveränität des Libanon verletzt zu haben.

Die großen Schäden in Beirut könnten sich nach Angaben der Vereinten Nationen auch auf die Lage vieler Menschen in Syrien auswirken. Der Hafen werde zum Umschlag von humanitären Hilfsgütern für das Bürgerkriegsgebiet genutzt, sagte ein Sprecher am Mittwoch in New York. "Dies wird unsere Fähigkeit zur Unterstützung in Syrien beeinträchtigen. (fmo, red, 5.8.2020)