"Laut Logbuch-Eintragung verließen wir Lissabon sogar erst am 14. August [1970], und zwar legten wir präzise um null Uhr eine Minute ab," notierte Kenneth J. Hsü, zusammen mit Bill Ryan wissenschaftlicher Leiter der Meeresexpedition (LEG 13) der Glomar Challenger, im Sommer 1970 – nachzulesen in seinem Buch "Das Mittelmeer war eine Wüste. Auf Forschungsreisen mit der Glomar Challenger". Dass das Bohrschiff mit einer Wasserverdrängung von 11.000 Tonnen und dem 60 Meter hohen Bohrturm genau eine Minute nach Mitternacht den Hafen verließ, hängt wohl mit dem Aberglauben der Seeleute zusammen, die ungern an einem 13. ausgelaufen wären. Die zehnköpfige Wissenschaftscrew bestand mit Jennifer M. Lort (Cambridge) und Maria B. Cita (Mailand) aus zwei Wissenschafterinnen und acht Wissenschaftern, darunter auch der 1925 geborene Paläontologe Herbert Stradner von der Geologischen Bundesanstalt in Wien. Ziel war, den Untergrund des Mittelmeeres mit Bohrungen zu erkunden und aus der Analyse der dabei gewonnenen Gesteinsproben Erkenntnisse über Alter und Entstehung abzuleiten.

Ungeplanter Stopp im Atlantik

Laut Plan sollte die Glomar Challenger von Lissabon über die Straße von Gibraltar direkt ins Mittelmeer fahren. Doch es kam anders. Dazu steht im Buch "Abenteuer Wissenschaft – Forschungsreisende zwischen Alpen, Orient und Polarmeer" folgendes: "Am Tag der Abreise rückte Bill Ryan mit einem Wunsch seines französischen Freundes, dem Geologen Xavier Le Pichon heraus: Dieser hatte ihn gebeten eine Bohrung im Atlantik auf der Gorringe-Bank zu machen. Le Pichon wollte geologische Beweise für seine plattentektonischen Konzepte bekommen. Hsü und auch andere Crew-Mitglieder waren davon keineswegs angetan. Schließlich bohrten sie doch; das Ergebnis, ein Bohrkern aus Ophiolith (grünes Ozeanbodengestein) aus 1.711 Metern Meerestiefe, brachte die Bestätigung, dass auch hier Gesteine der Tethys (Ozean des Erdmittelalters) vorliegen, vergleichbar mit jenen, wie sie aus den Alpen bekannt sind. Mit diesem ersten Ergebnis waren auch die anfänglichen Skeptiker überzeugt und verließen – nun mit einem ersten Erfolgsgefühl – frohen Mutes am 17. August diese ungeplante Bohrstelle."

Die Glomar Challenger, Bohrschiff der ersten Generation, brachte bahnbrechende Ergebnisse.
Foto: Geologische Bundesanstalt

Südöstlich der Balearen: Bohrloch 124 mit Evaporit

Bereits nach zwei Wochen, am 28. August 1970 hatten die Wissenschafter einen handfesten Beweis aus rund 3.000 Meter Tiefe. Der Bohrer, der üblicherweise mehrere Meter pro Minute in die weichen Ozeanbodenbodensedimente eindrang, hatte eine harte Gesteinsschicht in Bohrloch 124 südlich Mallorca durchbohrt. Man kannte diese Schicht aus geophysikalischen Untersuchungen, nannte sie "M-Schicht", wusste aber nicht, woraus sie bestand. Als Hsü und Ryan am Tisch des Labors auf der Glomar Challenger den Bohrkern der "M-Schicht" sahen, staunten sie. Der mehrere Meter lange Bohrkern bestand aus dünnen Algenlagen (Stromatolith) und aus Anhydrit, chemisch Calciumsulfat. Im Gegensatz zu Gips, ebenfalls ein Calciumsulfat, hat Anhydrit keine Wassermoleküle im Kristallgitter. Derartige Sedimente (Evaporite) bilden sich bei extrem trockenem Klima mit hohen Verdunstungsraten.

Der wissenschaftliche Arbeitsalltag an Bord

Herbert Stradner, weltweit anerkannter Spezialist für kalkige Nannofossilien (kleiner als 30 Mikrometer) – er hat an die 100 neue Arten erstmals beschrieben, ebenso wurden einige nach ihm benannt –, erinnert sich noch gut, wie es 1970 auf der Glomar Challenger zuging. "Bei vollem Bohrbetrieb kam jede Stunde ein neuer Kern. Es hieß 'Core up!', und dann haben schlagartig alle Untersuchungen begonnen. Der Kern selbst wurde während des Bohrvorganges in ein 9 Meter langes Plastikrohr geschoben, das dann mittels Seilzug hochgezogen wurde. Das 9 Meter lange Stück wurde zunächst auf das Deck gelegt und in Stücke geschnitten, so dass man die Bohrkernabschnitte bequem tragen konnte. Im Labor wurden die Kerne dann der Länge nach aufgeschnitten. Die eine Hälfte kam ins Archiv, die andere Hälfte wurde untersucht. Die unberührte Hälfte wurde genau fotografiert, in schwarz-weiß und in Farbe. Erst dann durften wir uns mit Röhrchen Sedimentproben herausstechen, für mikropaläontologische, nannopaläontologische und sedimentologische Untersuchungen. […] Meine Aufgabe war es, die im Sediment befindlichen Nannofossilien (Kleinstfossilien) zu bestimmen, um das Gesteinsalter der Meeresbodenschichten so genau wie möglich zu datieren. Diese Untersuchungen wurden mit einem ZEISS-Lichtmikroskop bei 1000-facher Vergrößerung durchgeführt. Das größte Problem war an Bord die stabile Lage des Mikroskops. Um überhaupt ein ruhiges Bild zu bekommen, stand das Mikroskop auf einem Luftring-Polsterkissen und war außerdem mit Gummiriemen mit dem Arbeitstisch verzurrt, damit es bei stärkerem Seegang nicht vom Tisch fiel. Nur so war Mikroskopie an Bord möglich, allerdings auch nur bis ca. Windstärke 5. Ab Windstärke 5 ist es nämlich unmöglich, den menschlichen Kopf mit der optischen Achse des Mikroskops zu koordinieren."

Originaltafel mit Nannofossilien aus dem Mittelmeer (Expedition 13) von 1970.
Foto: Geologische Bundesanstalt
Der Paläontologe Herbert Stradner auf seinem Arbeitsplatz auf der Glomar Challenger.
Foto: Geologische Bundesanstalt

Die rasche altersmäßige Einstufung der Sedimente an Bord besorgte Stradner mit Nannofossilien, Maria B. Cita konnte mit Mikrofossilien, vor allem mit Foraminiferen (einzellige Protisten), Rückschlüsse auf die Ablagerungsbedingungen der Sedimente machen.

Der Artikel in "Nature" wirft Fragen auf

Als sie am 6. Oktober 1970 nach Lissabon zurückkehrten, hatten sie bahnbrechende Entdeckungen gemacht, aber auch viele Fragen mitgebracht. Am 18. September 1972 hatten Hsü, Ryan und Cita ihre Ergebnisse unter dem Titel "Late Miocene Desiccation of the Mediterranean" an die Redaktion der renommierten Zeitschrift "Nature" geschickt. Am 23. März 1973 wurde ihre Arbeit über die Austrocknung des Mediterrans im späten Miozän schließlich veröffentlicht. Zeitlich handelt es sich um den geologischen Zeitabschnitt des Messiniums (7,25 bis 5,33 Millionen Jahre vor heute), die oberste Stufe des Miozäns, das vor 23,03 Millionen Jahren begann. Die bis zum August 1970 unbekannte Austrocknung des Mittelmeeres vor rund sechs Millionen Jahren ging als Messinische Salinitätskrise (Messinian salinity crisis, MSC) in die Fachliteratur ein.

Anhydrit am Cover von "Nature" als Beweis für das ausgetrocknete Mittelmeer.
Foto: Geologische Bundesanstalt

Nicht nur die Tatsache, dass man Evaporite, Gesteine extrem flacher Ablagerungsräume, fand, sondern auch die Tatsache, dass darüber wie auch darunter und sogar zwischen den Evaporiten ausgesprochene Tiefwasserablagerungen waren, überraschte die Forscher. Sie sahen hier einen Beweis, dass das Mittelmeer damals bereits ein tiefes Meeresbecken war. Die Flutung mit atlantischem Meereswasser erfolgte über die Straße von Gibraltar. Hsü, Ryan und Cita suchten nach Antworten ("Explaining an Improbable Fact") und schlossen ihren Artikel in "Nature" mit einem Aufruf an die Kollegenschaft: "We welcome comments from our colleagues in the Earth and biological sciences, ..."

PS: Fünf Jahre später, 1975, erbrachte Expedition 42A, wieder mit Hsü und Cita an Bord, weitere Beweise für das ausgetrocknete Mittelmeer im östlichen Bereich. Seit damals gab es keine weiteren wissenschaftlichen Bohrungen im Mittelmeer. Im Rahmen des IOPD-Programms ist geplant, in den nächsten Jahren wieder zu bohren. (Thomas Hofmann, 14.8.2020)