Sinnberater Tim Kuhrcke: "Unternehmen machen es sich oft zu leicht."

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Wird die große Sinnsuche im Job, wird das Sinn-Marketing, jetzt durch die Corona-Rezession gestoppt? Diese Frage beschäftigt aktuell alle Organisationen. Bestsellerautor Dan Goleman hat eine klare Antwort: Unternehmen werden nicht in eine "Profit only"-Mentalität zurückfallen. Goleman nennt zwei wesentliche Gründe – erstens, weil die Notwendigkeit, sich mit den eigenen Produkten zu positionieren, immer drängender wird, Beispiel Black-Lives-Matter-Bewegung. Zweitens, schreibt Goleman im Newsletter des globalen Executive-Searchers Korn Ferry, gehe es um die Kaufkraft der Millennials – diese Generation verlange, auch wenn das Geld knapper wird, die glaubwürdige Argumentation eines sinnvollen Beitrags.

Korn Ferry selbst hat über vier Jahre lang Branchen untersucht und heraus gefunden, dass jene Firmen, die Produkte mit Sinn verkaufen, rund 6,5 Prozent höhere Verkaufszahlen aufweisen und 90 Prozent der Spitzenmanager zudem die sogenannte Purpose-driven-Leadership für langfristig bessere Finanzergebnisse verantwortlich machen. Klingt verlockend. Aber wie kommt der Sinn ins Unternehmen? Tim Kuhrcke leitet Brighthouse, eine auf Purpose-Beratung spezialisierte Tochtergesellschaft der Boston Consulting Group (BCG).

STANDARD: Was macht ein Purpose-Berater in Unternehmen?

Kuhrcke: Wir richten unsere Arbeit an Unternehmen, nicht an einzelne Mitarbeitende. Purpose-Beratung ist ein Prozess, der die Perspektive aller Stakeholder einbezieht, die Spannungen im Geschäftsmodell adressiert und letztlich dazu führt, dass Unternehmen einen klaren Standpunkt formulieren, echte Fragen nach dem Sinn des Unternehmens stellen. Das ist sehr spannend, weil Vorstandskollegen sich oft erstmals über die Frage unterhalten, woran sie eigentlich glauben. Unternehmen müssen mehr Verantwortung übernehmen, sich positionieren. Was wir nicht tun: Instrumente kreieren, die für Marketing eingesetzt werden oder appellativ für Begeisterung sorgen. Wir denken uns auch keine schlauen Sprüche mit Sinn aus. Damit kann man unserer Überzeugung nach sehr viel Schaden anrichten.

STANDARD: Vieles in der ganzen großen Sinnbewegung klingt aber nach schlauen Sprüchen, nach einer Werbebotschaft für die Firma ...

Kuhrcke: Ja, der ganze Hype ist der Sinnhaftigkeit des Themas abträglich, oft driftet es in Marketing und Kommunikation ab, reduziert sich auf einen Slogan. Da machen es sich Unternehmen zu leicht. Das bringt dann auch keine Glaubwürdigkeit.

STANDARD: Ich höre oft von Personalverantwortlichen, dass sie Mitarbeitern jetzt "Sinn geben" wollen. Wie soll das denn klappen? Ist Sinn nicht etwas Privates, Individuelles?

Kuhrcke: Unternehmen sollen nicht der Mitarbeiterin sagen, was ihr persönlicher Sinn ist, sondern sich als Unternehmen klar positionieren. Das sollte nicht in den privaten Bereich hineinspielen. Ich bin überzeugt, dass diese Unternehmen dann die attraktivsten Arbeitgeber sind. Firmen, die bewusst Verantwortung übernehmen, haben einen belegbaren Business-Case – sie sind profitabler, krisensicherer, ihr Unternehmenswert ist höher. Für Individuen ist Sinn natürlich eine persönliche, weltanschauliche Frage. Wenn eine Organisation den Sinn vorgibt, dann wären wir ja recht schnell bei einer Sekte.

STANDARD: Sinn wird also gerne als Bringschuld der Mitarbeitenden missverstanden. Ein bisschen so wie der Glücksimperativ: Wer es nicht schafft, macht etwas falsch. Aber auch wenn es tatsächlich um Positionierung des Arbeitgebers geht: Ist Sinn ein Elitenprogramm oder überall möglich – Stichwort Prekariate, Stichwort Branchen, denen man leicht Ungutes zuordnen kann?

Kuhrcke: Das ist eine interessante Frage, und es steckt die Ungleichheit der Gesellschaft ebenso drin wie der Wert der Arbeit. Wir wissen ja beispielsweise, dass prekäre Tätigkeiten zunehmen. Ich kann Ihre Frage nicht beantworten – aber das ist gegenwärtig ein großes Forschungsgebiet, da entsteht gerade viel, die Arbeit ist noch im Gange. Trotzdem bin ich überzeugt, dass auch Beschäftigte in Mindestlohnbranchen besser dran sind, wenn sich ihre Arbeitgeber mit Purpose beschäftigen. Die Vorbedingungen für echte Purposearbeit im Unternehmen sind jetzt einfach wirklich gut. (Karin Bauer, 6.8.2020)