Wie wirkt sich die Covid-19-Pandemie auf die wirtschaftliche Lage in einzelnen Entwicklungsländern aus? Bis vor kurzem hatten wir darauf keine Antwort. Die Datenlage in Entwicklungsländern ist meist zu schlecht für eine gesicherte Aussage. Das südafrikanische Forschungsprojekt mit dem klingenden Namen NDIS-CRAM (National Income Dynamics Study – Coronavirus Rapid Mobile Survey) ist darum umso beachtenswerter.

Eine Gruppe von südafrikanischen und internationalen Forscherinnen und Forschern untersucht darin die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Südafrika auf gesundheitlicher, sozialer und wirtschaftlicher Ebene. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter sammeln schon seit Jahren Haushaltsdaten (zu Einkommen, Gesundheitszustand, Haushaltsgröße et cetera) von 7.000 Südafrikanerinnen und Südafrikanern, die jeden Monat an Telefonumfragen teilnehmen. Da es sich immer um dieselben Teilnehmenden handelt, kann deren langfristige soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Entwicklung abgebildet werden. Die Teilnehmenden geben auch detaillierte Auskunft über ihre Familienmitglieder, was die Gesamtreichweite der Umfragen auf fast 30.000 Südafrikanerinnen und Südafrikaner erweitert. Mit der richtigen statistischen Gewichtung ist dies eine Gruppe, die als repräsentativ für die Gesamtbevölkerung Südafrikas gelten kann. Die Teilnehmenden werden mit einem kleinen Geldbetrag für den Aufwand entschädigt.

Ungleichheit verstärkt sich

Die ersten Umfragedaten aus den Monaten der Covid-19-Pandemie wurden am 15. Juli veröffentlicht. Uns sollen hier vor allem die wirtschaftlichen Auswirkungen rund um den Arbeitsmarkt interessieren, und diese zeigen gravierende Probleme. Vorweg muss erwähnt werden, dass Südafrika, normalerweise eines der wirtschaftlich stärksten Länder am Kontinent, schon in den Monaten vor der Pandemie eine lange (und teilweise hausgemachte) Wirtschaftskrise durchlebte. Darüber hinaus wurde Südafrika von der Covid-19-Krise stärker getroffen als andere Länder in Afrika. Dennoch kann man die Auswirkungen der Pandemie als dramatisch einstufen. Ein Drittel der Befragten, die im Februar noch eine fixe Anstellung hatten, waren im April arbeitslos. Von diesem Drittel kann die Hälfte nicht mehr damit rechnen, nach der Krise in den alten Job zurückzukehren. Das wird die Arbeitslosigkeit (die jetzt schon bei rund 30 Prozent liegt) noch weiter in die Höhe treiben.

Viele Bewohner Südafrikas haben im Lockdown mit Hunger zu kämpfen.
Foto: EPA/KIM LUDBROOK

Es hat aber auch soziale Auswirkungen. Wer Afrika ein wenig kennt, weiß, dass viele Arbeitende vom Land in die Städte kommen, um dort fixe Anstellungen zu finden. Wenn diese Jobs wegbrechen, setzt eine Gegenbewegung ein. Viele der nun freigesetzten Südafrikanerinnen und Südafrikaner werden aufs Land zurückziehen, wo oft noch Verwandte leben, um sich dort mit einfacher Landwirtschaft am Leben zu erhalten. Das kommt einer Deindustrialisierung gleich, weil Subsistenzlandwirschaft unproduktiver ist als arbeitsteiliges Wirtschaften in der Stadt.

Tatsächlich hat die Bewegung schon eingesetzt. Die Studie schätzt aufgrund der Befragungen von März bis Mai, dass zwischen fünf und sechs Millionen Südafrikanerinnen und Südafrikaner, das entspricht zehn Prozent der Gesamtbevölkerung, bereits ihren Wohnsitz gewechselt haben. Diese Effekte treffen ärmere Schichten deutlich stärker als besser Gebildete. Einfache Arbeiterinnen und Arbeiter haben eine dreimal so hohe Chance, ihren Job aufgrund von Covid-19 zu verlieren, als höher Gebildete.

Es trifft die ärmeren Schichten

In armen Ländern haben Familien kaum Ersparnisse, auf die sie zurückgreifen können. Hunger ist die Folge. 47 Prozent aller Befragten gaben an, im April an Hunger gelitten zu haben. Das ist fast die Hälfte aller Haushalte und entspricht einer Verdoppelung gegenüber dem Jahr 2017. Arme Länder können sich auch keine großzügigen Rettungspakete leisten, und der Organisationsgrad der Verwaltung ist geringer als in reichen Ländern. Beides ist in Südafrika der Fall. Eine temporäre finanzielle Unterstützung für rund 15 Millionen Arbeitslose hat bisher nur 600.000 erreicht. Die Regierung gibt zu, dass etwa 60 Prozent der Ansuchen abgelehnt wurden, obwohl die Ansuchenden berechtigt wären. Geldknappheit dürfte der Grund dafür sein. Die Nachrichtenagentur Bloomberg schätzt, dass etwa 20 Prozent des aktuellen Staatshaushaltes in die Rückzahlung von bestehenden Schulden fließen werden.

Die detaillierten Informationen, die wir aus Südafrika erhalten haben, lassen sich natürlich nicht einfach auf andere Länder umlegen. Wir sehen jedenfalls, dass in Südafrika die Pandemie die Ungleichheit drastisch verschlechtern wird. Wer vorher arm und wenig gebildet war, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit arbeitslos und von Hunger bedroht. Im Unterschied zu reichen Ländern, die mehr finanziellen Spielraum haben, müssen wir befürchten, dass diese Effekte in Südafrika zum Teil dauerhaft sein werden oder zumindest über einen langen Zeitraum andauern dürften. (Valentin Seidler, 11.8.2020)

Valentin Seidler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Makroökonomie der WU Wien. Nach der Promotion im Jahr 2011 folgten Forschungsaufenthalte in Princeton, Warwick und Groningen. Von 2002 bis 2011 arbeitete Seidler für das Rote Kreuz in Osteuropa, Afrika, Asien und in Brüssel.
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