Im Ausseerland, das sich immer damit rühmt, nicht Hallstatt werden zu wollen, wird aktuell ein neues Tourismusprojekt gebaut: das Narzissendorf Zloam, dreißig Luxus-Ferienhäuser im typischen Ausseer Baustil, so die Beschreibung. Als Zusatzangebot zum obligatorischen Bergsteigen werden 3D-Bogenschiessen (was ist das?), Eislaufen in einer Halle (die ist aber nicht animiert in den Bildern), Eisstockschießen (wie zünftig), Fischen, Tennis, Fußball, Reiten, Rodeln und Skifahren samt Flutlicht, Langlaufen sowie Mountainbike-Downhill-Fahren angeboten. Da fehlen nur noch wenige Sportarten und man wäre olympisch. Aber das Narzissendorf bietet noch mehr, und zwar im Sektor authentisches Berglandleben, nämlich eine Holzwerkstatt, wo man Schnitzen lernen kann (Krippenfiguren? Wurzelseppe?) sowie einen echten Dorfplatz mit einem bodenständigen Wirtshaus für echtes Ausseer Essen und Trinken. Das Ganze funktioniert als Buy-to-let-Modell. Man kauft ein Stück Land und ein Haus, darf es selbst bis zu 30 Tage im Jahr bewohnen und vermietet es im Rest des Jahres gewinnbringend. Das machen wir, oder?

So soll das Haus "Grundlsee" aussehen.
Foto: Narzissendorf Zloam

Ein Ethos im Bauen wäre gut

Das Projekt wirft ganz allgemeine Fragen auf: Soll Landschaft bis zum letzten Fleck touristisch nutzbar gemacht werden? Und wenn sie touristisch erschlossen wird, wie bauen wir die Architektur dazu? Im Stile von? À la carte? Als ob? Oder doch irgendwie anders, neu, interpretierend, transformierend? Eine einzige Antwort darauf gibt es nicht, zu vielfältig sind die Landschaften Österreichs und der an den Alpen anteiligen Länder. Man könnte aber Regeln aufstellen, die allgemein gültig wären, die gewisse Sachen ausschließen und andere zulassen. Die Regel Nummer eins diesbezüglich wäre meiner Meinung nach: Imitiere nicht den lokalen Baustil! Imitate sind nie gut. Sie täuschen etwas vor, was nicht ist und hinken immer dem Original hinterher. Das Imitat bleibt schlechte Kopie, steht als Attrappe leer im Raum herum oder wird als Plagiat (abgeschrieben) und Fälschung (abgemalt) entlarvt. In Wissenschaft, Literatur und bildender Kunst gibt es das Ethos, dass man nicht kopiert. Man tut es einfach nicht, und wenn schon, gibt es meist Probleme. Copy-&-Paste hat schon Minister zu Fall gebracht und das Pastiche, also das Malen im Stil bekannter Meister, ist nicht unbedingt das, was heute auf den Kunstmessen en vogue ist.

Dekor, Kitsch und Rustikalität?

Warum gibt es in der Architektur nicht dieses Ethos? Warum müssen Häuser im Ausseerland aussehen wir ein Ausseer Haus aus dem 18. Jahrhundert? Lassen sich Touristinnen nur locken, wenn man im Stil von irgendwas baut? Kann man sie nicht mit moderner Architektur konfrontieren, die lokale Baustoffe und -techniken klug neu interpretiert?
 
Schlimmer als im Stil von ist das Attribut rustikal. Da fühlen sich sichtlich viele Leute angesprochen, weil es nach ganz anders klingt als der Alltag daheim. Zugleich bedeutet rustikal (eigentlich ländlich-schlicht und bäuerlich) ein Freibrief für alles, was schwer, dekoriert und verkitscht ist. Es gibt so viele so herausragende Architektur, die sich kritisch und klug mit dem Bauen in der Landschaft und in den Alpen insbesondere auseinandersetzt. Da mutet ein Dorf im typischen Stil des Ausseerlandes anachronistisch an. Schon Adolf Loos bemerkte am Beginn des 20. Jahrhunderts, dass man ein Material wie zum Beispiel Holz in allen Farben streichen dürfe, nur nicht so, dass es ein anderes, teureres Holz vortäuschen würde. Auf das Haus umgemünzt würde dies bedeuten, das Haus kann alles darstellen, aber sollte nicht so tun, als wäre es ein altes Haus.

Das Innere: zeitlos rustikal.
Foto: Narzissendorf Zloam

Zitate als Referenz

Die Tourismusbranche hat es aktuell nicht leicht und es ist sehr fraglich, ob ein solches Anlegermodell wie das Narzissendorf (allein der Name würde mich abschrecken) die Branche retten wird. Der Landschaft tun die Haustypen Toplitzsee, Grundlsee, Gössl und Salzkammergut mit ihren Fake-Holzverschalungen auf jeden Fall nichts Gutes, weder in Grundlsee noch in all den anderen Regionen, wo ähnliche Dörfer entstehen. Holz ist nicht schlecht, im Gegenteil, aber bitte aktuell verarbeitet. Wenn man die Referenz zum Alten haben will, sind analog zum wissenschaftlichen Text Zitate eine Möglichkeit. Richtig formuliert und platziert werten Zitate Texte meist sehr gut auf. Sie erklären das, was im eigenen Text nicht geschrieben werden kann und bilden historische oder aktuelle Querverbindungen. Genauso können Zitate in der Architektur verwendet werden, sofern sie als Zitat kenntlich sind, wie etwa gut interpretierte Fensterläden, neu verwendete Schalungen und Verglasungen, die das kleine Bauernhausfenster adaptiert oder pointiert anwenden. Ein bisschen mehr Mut zu guter, neuer Architektur bitte, meine Herren und Frauen aus dem Ausseerland, immerhin der geografische Mittelpunkt Österreichs, wie die Website des Narzissendorfs verrät. Also, liebe Ausseerinnen und Ausseer, Sie sind ja sonst auch nicht so zimperlich! (Sabine Pollak, 10.8.2020)

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