Abstand halten bleibt weiterhin das erste und wichtigste Gebot, auch im Schulbetrieb nach den Sommerferien.

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Es ist die bildungspolitische Gretchenfrage dieser Tage: Wie soll es in den Schulen nach den Sommerferien – und noch immer mit dem Coronavirus – weitergehen? Für den Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der Med-Uni Wien ist die Antwort klar: "Was wir im Herbst machen sollen, ist, dass wir die Schule offen halten. Das ist das Ziel." Und das ist es deswegen, erklärt Hutter als Child-Public-Health-Experte, "weil das Schließen der Schulen so negative Folgen für die Kinder, aber auch ihre Eltern hat, dass wir alle Maßnahmen treffen müssen, die es uns erlauben, auch während der Pandemie den Schulbetrieb abzuhalten. Die Bildungsfrage ist gerade jetzt sehr, sehr zentral, weil Schulschließungen viele, sehr negative Side Effects haben: Nicht nur Bildung wird vorenthalten. Viele Familien sind unter Stress und kommen an Belastungsgrenzen, und es drohen letztlich wirtschaftliche Folgen."

Distanz ist das Wichtigste

Aber wie soll die Schulöffnung am besten vonstattengehen? Hutter empfiehlt einen Maßnahmenmix, mit Elementen, die generell, aber eben auch in den Schulen wichtig sind, um die Pandemie in Schach zu halten: "Nummer eins: Distanz. Das ist das Wichtigste." Das werde bei einigen Schulen möglich sein, bei anderen werden die Platzverhältnisse organisatorische Alternativen nötig machen, etwa ein gestaffeltes Pausenmanagement, sagt Hutter.

Dem Einwand, dass das Abstandsgebot mit jüngeren Schulkindern schwierig oder gar nicht einzuhalten sei, entgegnet er: "Da muss man auch spielerisch herangehen, um ihnen zu vermitteln, dass ein Meter ein Meter und nicht 50 Zentimeter sind." Diese Einschätzungsschwäche mit Blick auf den Mindestabstand von einem Meter zeigen in diesen Zeiten übrigens auch viele Erwachsene. Noch besser und infektionsrisikominimierend wären überhaupt 1,5 Meter Abstand.

Schlechte Luft ist gefährlich

Nummer zwei auf Hutters Liste, ist ein Thema, das er nicht erst jetzt, sondern seit langem vermisst: "Ganz wesentlich wird sein: Wie ist die Belüftungssituation? Seit Jahren weisen wir darauf hin, dass die Schulen bzw. die Klassenräume oft schlecht gelüftet werden. Nach einer Stunde Unterricht ist die Luftqualität in vielen Klassen deutlich zu schlecht."

Das Problem ist also nicht neu, aber jetzt lautet Hutters Botschaft: "Die Luftqualität war schon bisher unzureichend, nur jetzt kommt dazu, dass mit schlechter Raumluft nicht nur die geistige Leistungsfähigkeit leidet, sondern auch das Infektionsrisiko steigt. Da muss man dringend handeln." Es mag banal klingen, aber gegen schlechte Luft hilft am besten gute Luft, also frische. Das heißt, wenn nicht mechanisch gelüftet wird: Fenster auf und, so Hutters Vorschlag, die Unterrichtsstunden besser um fünf Minuten verkürzen, um entsprechend länger lüften zu können.

Masken als kinderleichtes Utensil

Nummer drei der Hutter’schen Maßnahmenpyramide ist ein Objekt, das die Geister scheidet: die Maske. Während etwa Pflichtschullehrergewerkschaftschef Paul Kimberger eine generelle Maskenpflicht für Lehrer und Schüler fordert, will Bildungsminister Heinz Faßmann Masken nur in konkret definierten Risikoszenarios, die sich aus dem im Herbst kommenden Ampelsystem ableiten. Masken im Unterricht seien absurd und Kindern nicht zumutbar, sagte er im STANDARD.

Hutters Expertenmeinung dazu ist eindeutig: "Es wird die Maske als zusätzliche Option geben müssen. Das ist watscheneinfach. Sie ist ein kinderleichtes Utensil, das dort eingesetzt werden soll, wo Distanz nicht möglich ist, also vor allem in Innenräumen. Da ist die Einfachheit der Maske alternativlos, weil sie nachweisbar schützt und handhabbar ist." Also auch im Unterricht und in der Klasse – "und immer im Zusammenhang mit den anderen Maßnahmen Abstand halten und Händewaschen. Auch wenn es Gejammer gibt, das mir unverständlich ist: Wenn wir bei zu geringen Abständen gar nichts machen, bekommen wir Probleme."

Warten auf das Ampelsystem

Das glaubt auch der AHS-Lehrergewerkschaftsvorsitzende Herbert Weiß (FCG): "Den Mund-Nasen-Schutz wegzulassen halte ich für falsch." Zumal man im Moment gar nicht abschätzen könne, wie sich die Lage bis zum Herbst entwickle. Generell hätten sich die Gesichtsmasken in den Schulen "bewährt", sagt der AHS-Gewerkschafter: "Solange der Mund-Nasen-Schutz verpflichtend war, gab es auch ein anderes Bewusstsein. Als die Masken weg waren, gerieten bei vielen auch Abstand und Hygiene schnell wieder aus dem Bewusstsein."

Weiß hofft auf das vom Bildungsminister angekündigte Ampelsystem – für das SPÖ und Neos nicht erst bis Herbst, sondern schon jetzt konkrete Kriterien urgieren: "Wir müssen wissen, wo man besonders aufpassen muss, und dann gezielte Maßnahmen setzen", sagt Weiß. Er befürwortet auch einen "gewissen Handlungsspielraum für die Schulleitungen. Gibt es große Räume, wenige Schüler? Warum soll Bewegung für alle verboten sein, wenn es vor Ort Möglichkeiten im Freien gibt?"

Tests sind wertvolle Waffen gegen das Virus

Bleibt noch der vierte Baustein, den Hans-Peter Hutter für das Corona-Schulkonzept unbedingt empfiehlt: "Testen! Das ist eine der wertvollsten, wichtigsten Waffen gegen Schulschließungen." Mit schnellen, flexiblen Testungen könnten die Schulen, sollte es einen Corona-Fall geben, schnell Sicherheit bekommen und den Betrieb weiterlaufen lassen. Im Herbst könnte es laut Hutter auch schon Gurgeltests geben, die schon deutlich unter einer Stunde Ergebnisse liefern. Dafür müsste aber jetzt die Logistik aufgebaut werden, sodass jede Schule für den Fall der Fälle bereits vorab mit einem Testlabor ein entsprechendes Prozedere abgesprochen hat, das dann aktiv wird. (Lisa Nimmervoll, 6.8.2020)