Die Vorgänge in der burgenländischen Commerzialbank beschäftigen nun mehrere Behörden. Ein neues Gutachten kommt zu dem Schluss, dass es Auffälligkeiten in den Bilanzen der Bank gegeben hat, die auffallen hätten müssen.

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Wien – In der Causa Commerzialbank werden nun auch die Anwälte aktiv. Geht es doch darum, die Ansprüche von geschädigten Kunden der Bank zu prüfen und zu vertreten. Rechtsanwalt Markus Spani von der Kanzlei Hausmanninger Kletter sieht die Möglichkeit für Amtshaftungsansprüche gegen die Republik. Der Wirtschaftsjurist stützt sich dabei auf ein Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Oliver Lintner, das zu dem Schluss kommt, dass die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) und die Finanzmarktaufsicht FMA ihren Prüfpflichten bei der Commerzialbank Mattersburg nicht ausreichend nachgekommen sind.

"Es erhärtet sich der Verdacht, dass staatliche Organe wie OeNB und FMA bei der Commerzialbank ihre Aufsichtspflichten massiv verletzt haben", teile Spani in einer Aussendung mit. Er ruft Geschädigte dazu auf, sich zu melden, damit die Interessen im Fall gewahrt werden können. Gelinge es nicht, mit den verantwortlichen Stellen eine Lösung zu erarbeiten, "liegt nach einer Frist von drei Monaten die Erhebung einer Amtshaftungsklage gegen die Republik nahe", kündigt der Anwalt an.

Bank wuchs gegen Branchentrend

Doch der Reihe nach: Sachverständiger Lintner hat die Commerzialbank in seinem Gutachten, das dem STANDARD vorliegt, mit dem österreichischen Bankensektor verglichen. Grundlage dafür waren die im Firmenbuch hinterlegten Jahresabschlüsse der Commerzialbank der Jahre 2008 bis 2018. Der Vergleich mit der Peergroup hat gezeigt:

  • Entwicklung der Bilanzsumme: Die Bilanzsumme des österreichischen Bankensektors schrumpfte von 2008 bis 2019 von 1.069 Milliarden auf 884 Milliarden Euro. Das ist ein Minus von 17,22 Prozent. Die Bilanzsumme der Commerzialbank Mattersburg wuchs derweil von 413 Millionen auf auf 795 Millionen Euro im Jahr 2018. Das ist ein Plus von stattlichen 92,62 Prozent. In Österreich schrumpfte der Bankensektor in acht der vergangenen elf Jahre, die Commerzialbank Mattersburg wuchs hingegen in jedem Jahr.

  • Kredit-Einlagen-Verhältnis: Bei österreichischen Banken stehen jedem Euro, der als Kredit an Kunden vergeben wird, zwischen 0,85 und 1,07 Euro Kundeneinlagen gegenüber. In der Commerzialbank Mattersburg waren 2018 laut Gutachten 2,05 Euro Kundeneinlagen pro Euro Kreditvolumen an Kunden vorhanden. Die Commerzialbank Mattersburg sei somit signifikant "passivlastig" gewesen – es seien deutlich mehr Einlagen entgegengenommen worden, als Kredit an Kunden gewährt worden sei.

  • Guthaben bei anderen Banken (= Kredite an andere Banken): Die österreichischen Banken hatten im Jahr 2018 laut Gutachten 13,91 Prozent ihrer Bilanzsumme an andere Banken als Kredit bzw. Einlage vergeben. Bei der Commerzialbank betrug dieser Prozentsatz 47,84 Prozent. Einlagen bzw. Kredite bei anderen Banken summierten sich also auf einen mehr als dreifach höheren Anteil an der Bilanz als im Branchenschnitt.

  • Zinsertrag für die Vergabe von Krediten an Kunden bzw. Einlagen bei anderen Banken: Der Zinsertrag fällt bei der Commerzialbank mit 4,58 Prozent p. a. hoch aus und liegt signifikant über dem Branchenschnitt von 2,87 Prozent p. a. Es gelang der Commerzialbank also, jährlich um 1,71 Prozentpunkte höhere Erträge als der Wettbewerb zu erzielen.

  • Zinsaufwand: Der Zinsaufwand bei der Commerzialbank belief sich von 2008 bis 2018 auf 1,95 Prozent p. a. und lag um 0,25 Prozent p. a. höher als der Branchenschnitt von 1,7 Prozent p. a.

  • Zinsspanne: Die Zinsspanne der Commerzialbank fiel mit durchschnittlich 2,53 Prozent p. a. mehr als doppelt so hoch aus wie jene von vergleichbaren Banken in Österreich. Der Referenzwert liegt laut dem Gutachten bei 1,05 Prozent p. a..

  • Provisionsertrag: Der Nettoprovisionsertrag der Commerzialbank lag mit 0,84 Prozent p. a. bezogen auf die Bilanzsumme mehr als doppelt so hoch wie die vergleichbaren Kennzahlen der Bankenbranche (Mittelwert 0,37 Prozent p. a.).

  • Zinserträge entsprechend Anleihen mit Rating "Ramsch" bzw. "Junk": Um einen jährlichen Zinsertrag von plus 4,58 Prozent p.a. zu erzielen, wäre im Anleihenmarkt eine Veranlagung in europäischen Unternehmensanleihen mit Kreditstatus "B" (Non-Investment-Grade) bzw. "Ramsch" notwendig gewesen. Derartige Ratingkategorien bergen deutliche höhere Risiken und Ausfälle als etwa Anleihen der Kategorie "Investment-Grade". Dieser Vergleich veranschaulicht die Höhe der verzeichneten Zinsen im Vergleich zu Alternativen.

  • Rückschlüsse auf notwendige Zinshöhe für Kredite an Kunden: Von österreichischen Banken wurden auf Gelder bzw. Kredite, die diese von anderen Banken erhalten haben, im Schnitt 1,98 Prozent p. a. bezahlt. Unter der Annahme, dass auch die Veranlagungen der Commerzialbank Mattersburg bei anderen Banken durchschnittlich 1,98 Prozent p. a. erzielt haben, wären für die vergebenen Kundenkredite laufende Zinsbelastungen von 7,31 Prozent p. a. notwendig gewesen, um die ausgewiesenen Zinserträge zu erzielen.

Große Auffälligkeiten

In Summe ist diese Analyse für Spani ein Beleg, dass die Aufsichtsbehörden FMA und OeNB ihre laufenden Pflichten – nämlich die Prüfung, inwieweit die Einlagen von Kunden ausreichend gesichert sind – verletzt haben. Begründet werde diese Aussage dadurch, dass das Gutachten "eindeutig belegt, dass jene Positionen der Jahresabschlüsse bzw. Kennziffern, die im Gutachten untersucht wurden, große Auffälligkeiten zeigen", heißt es in einer Aussendung der Kanzlei Hausmanninger Kletter.

Insofern hätte es gar keines anonymen Hinweises bedurft, um eine Prüfung zu rechtfertigen, sondern hätte für einen erfahrenen Prüfer bereits auf Basis der Jahresabschluss-Daten klar erkennbar sein müssen, dass das Geschäftskonzept der Commerzialbank Mattersburg als solches schon aufgrund der laufenden Bilanzdaten nicht nachvollziehbar gewesen sei und der Verdacht der Manipulation eindeutig gegeben gewesen sei.

Keine Basis für Schritte gegen Land Burgenland

Für Spani ist nicht nachvollziehbar, wie dies den Behörden hat entgehen können. Man prüfe zwar auch rechtliche Schritte gegen das Land Burgenland, derzeit sei aber aus der Sicht von Experten die dafür nötige Basis nicht gegeben. Sollten sich in weiterer Folge tatsächliche Beweise für eine Pflichtverletzung des Landes Burgenland ergeben, werde man diese in Ruhe und mit der notwendigen Sorgfältigkeit überprüfen.

Sachverständiger Lintner hebt vor allem das starke Bilanzwachstum als auffällig hervor. Zudem sei der jährliche Zinsertrag (4,58 Prozent p. a.) signifikant über dem Branchenschnitt von 2,87 Prozent p. a. gelegen. "Die Frage nach der Quelle dieser Mehrerträge bzw. die Sorge, dass diese Erträge mit etwaigen hohen Risiken einhergehen, hätten gegebenenfalls eine tiefergehende Prüfung gerechtfertigt", erklärt Lintner.

Spani ruft geschädigte Unternehmen und Institutionen auf, sich weiterhin aktiv bei der Kanzlei zu melden. "Die Opfer der Causa Commerzialbank müssen entschädigt werden", so Spani. Es gehe hier auch darum, dass das Vertrauen in den Finanzplatz Österreich und in eine funktionierende Kontrolle wiederhergestellt werde. (Bettina Pfluger, 6.8.2020)