Bild nicht mehr verfügbar.

Durch die Explosion haben 200.000 bis 250.000 Menschen ihre Unterkünfte verloren.

Foto: AP / Hassan Ammar

Trauer unter Betroffenen und Entrüstung über die Eliten.

Foto: EPA/ IBRAHIM DIRANI / DAR AL MUSSAWIR

Bewohner räumen mithilfe von Freiwilligen ihre Geschäfte, die Straßen und Wohnhäuser auf.

Foto: Photo by PATRICK BAZ / AFP

Nach der Explosionskatastrophe in Beirut haben die libanesischen Behörden 16 Hafen-Mitarbeiter festgenommen. Wie Militärstaatsanwalt Fadi Akiki am Donnerstagabend mitteilte, wurden im Zuge der Ermittlungen mehr als 18 Angestellte befragt, 16 von ihnen wurden in Gewahrsam genommen. Es handle sich vor allem um Mitarbeiter der Hafenverwaltung und der Zollbehörde.

Festgenommen wurden demnach auch Verantwortliche für Wartungsarbeiten und Arbeiter, die an Bauarbeiten am explodierten Hangar Nr. 12 beteiligt waren. In Beirut waren am Dienstagabend 2750 Tonnen beschlagnahmtes und ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen gelagertes Ammoniumnitrat detoniert. Nach jüngsten Angaben der Behörden wurden dabei mindestens 137 Menschen getötet und mehr als 5.000 weitere verletzt. Dutzende Menschen werden noch vermisst.

Die libanesische Regierung hat eine rasche Klärung der Hintergründe der Katastrophe versprochen. Ein am Donnerstag eingesetzter Untersuchungsausschuss soll binnen vier Tagen einen detaillierten Bericht zu den Verantwortlichen liefern.

Am Mittwoch hatte die Regierung zudem Hausarrest für die Verantwortlichen der heruntergekommenen Lagerhalle gefordert, in der nach ersten Erkenntnissen ein Feuer ausbrach, das dann zu der verheerenden Explosion führte.

Unterdessen ging die Suche nach Überlebenden weiter. Noch immer werden nach Angaben des libanesischen Roten Kreuzes rund 100 Personen vermisst. Angehörige hofften auf Lebenszeichen von Vermissten. "Ich warte hier, ich bewege mich nicht weg", rief eine Frau in der Nähe des abgesperrten Hafens. "Mein Bruder arbeitete im Hafen, und ich habe von ihm nichts gehört, seitdem es die Explosion gab."

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Feuerball über dem Hafen.
Foto: Reuters/Karim Sokhn

"Die Verheerung ist wirklich unvollstellbar", sagte Lisa Taschler, eine Delegierte des Roten Kreuzes in Beirut, im Ö1-"Morgenjournal" am Donnerstag. Die Krankenhäuser seien überlaufen, Verletzte werden in Triage-Stationen behandelt. Da der Hafen verwüstet ist, sei auch die Lebensmittellieferung erschwert. Internationale Hilfseinsätze für die libanesische Hauptstadt sind bereits angelaufen.

Auch viele Freiwillige packen bei den Aufräumarbeiten mit an. In dem weitgehend beschädigten Mar-Mikhael-Viertel verteilen junge Libanesen Grundnahrungsmittel und helfen dabei, Scherben und Geröll aus den Wohnungen zu entfernen. Auf Facebook werden leere Wohnung an jene vermittelt, die infolge der Explosionen ihr Zuhause verloren haben.

US-Präsident Trump sagte bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus, es könne sich um einen Unfall oder um einen Angriff gehandelt haben, das wisse noch niemand. Am Vortag hatte er mit der Aussage für Wirbel gesorgt, dass es sich vermutlich um einen Anschlag mit einer "Art von Bombe" gehandelt habe. Dies hätten ihm seine Generäle nahegelegt.

Mangelhafte Lagerung

Das Lagerhaus mit dem Material war in heruntergekommenem Zustand und hatte Risse in den Wänden, wie Behördenmitarbeiter der Nachrichtenagentur AFP sagten. Sicherheitskräfte hatten vergangenes Jahr eine Untersuchung durchgeführt, weil aus dem Gebäude merkwürdige Gerüche gedrungen waren. Die Untersuchung gelangte zu dem Schluss, dass das "gefährliche" Material aus der Halle entfernt werden müsse. Dies geschah aber nicht. Die Regierung forderte nun das Militär auf, die für die Lagerung des Ammoniumnitrats Verantwortlichen unter Hausarrest zu stellen.

Massenproteste gegen Regierung

Im Libanon schürten die Explosionen in großen Teilen der Bevölkerung aber vor allem die Frustration über die Regierung. In den Onlinenetzwerken forderten viele Menschen den Rücktritt des gesamten Kabinetts. "Tretet ab!", erklärte der populäre Fernsehjournalist Marcel Ghanem. "Es sind eure Niedertracht und eure Nachlässigkeit, die die Menschen getötet haben."

Schon vor den Explosionen hatte es immer wieder Massenproteste gegen die Regierung gegeben, der viele Menschen Korruption und Inkompetenz vorwerfen. In den vergangenen Jahren hätten sich die Eliten am Staat bereichert und ihn in den Bankrott getrieben. Das Land steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, die zuletzt durch die Corona-Pandemie noch verschlimmert wurde. Aufgrund des fehlenden Vertrauens in die Staatsführung fordern viele Menschen nun, dass eine unabhängige internationale Kommission die Hintergründe der Detonation klärt. Außerdem bitten kritische Stimmen, dass ausländische Hilfsgelder den zahlreichen Nichtregierungsorganisationen zugutekommen sollen und nicht in öffentliche Kassen fließen.

Internationale Hilfe

Diese Bitten und Forderungen scheinen zumindest bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Gehör gefunden zu haben. Dieser landete am Donnerstag als erster ausländischer Spitzenpolitiker nach der Explosion in Beirut. "Ohne Reformen" stünde das Land vor dem Untergang, so Macron. Er mache die politische Führung für die ernste Krise, in der das Land steckt, verantwortlich.

Das libanesische Volk sei Opfer einer "politischen, moralischen, wirtschaftlichen und finanziellen Krise". Macron sollte am Donnerstag unter anderem mit seinem Amtskollegen Michel Aoun und Regierungschef Hassan Diab zusammentreffen, um Grundlagen für einen Wiederaufbauvertrag zu schaffen. Die frühere Mandatsmacht Frankreich ist mit dem Land weiterhin eng verbunden.

Aus den Golfstaaten, anderen Ländern der Region sowie Europa trafen erste Lieferungen unter anderem von Feldlazaretten und Medikamenten ein. Italien entsandte eine Spezialeinheit der Feuerwehr für die Suche nach umweltschädigenden Substanzen, Frankreich drei Flugzeuge mit Rettungskräften, tonnenweise medizinischer Ausstattung und einer mobilen Krankenstation. (red, APA, 6.8.2020)