Der obersteirischen Schwerindustrie stehen wieder einmal harte Zeiten bevor. Es werden weitere Kündigungs- und Insolvenzwellen befürchtet.

Foto: RHI Magnesita

Hunderte Kündigungen in der obersteirischen Industrieregion lassen befürchten, dass dies erst der Anfang ist. Ökonomen und Firmenchefs sehen aber die Substanz der Hightech-Betriebe, deren Weltmarktstellungen, als Hoffnung.

Im Herzstück der steirischen Wirtschaft, der obersteirischen Industrieregion, sind bedrohliche Rhythmusstörungen aufgetreten. Nach der Ankündigung des in chinesischem Besitz, der Wolong-Gruppe, stehenden E-Motorenherstellers ATB, 360 der 410 Stellen zu streichen und die Produktion einzustellen, meldete die Voestalpine ebenfalls Entlassungen in den Werken in Kindberg und Kapfenberg an.

In Kapfenberg werden 250 bis 300 Mitarbeiter ihre Arbeit verlieren. Dort ist vor allem die Böhler Aerospace betroffen, die 800 Mitarbeiter beschäftigt. Am Rohr-Standort Kindberg werden 250 Arbeitsplätze gestrichen.

Diese Hiobsbotschaften aus dem steirischen Industriezentrum führen natürlich zu der Frage: Worauf muss sich diese Region vorbereiten? Ist das nur der Beginn einer noch größeren Entlassungs- und Pleitewelle? "Es wird wohl noch mehr Kündigungen und auch Insolvenzen geben", prophezeit Michael Steiner, Ökonom und Experte für regionale Wirtschaftsentwicklungen. Etliche Unternehmen seien in Feldern unterwegs, die besonders von der Corona-Krise betroffen sind. "Genau dort werden wir uns nachhaltig anpassen müssen", sagt auch Voestalpine-Konzernchef Herbert Eibensteiner mit Blick auf die eingebrochene Nachfrage aus der Öl-, Gas- und auch Luftfahrtindustrie.

Einbruch des regionalen BIPs

Einer aktuelle Prognose des Joanneum Research zufolge müsse das Bundesland 2020 von einem Minus beim regionalen BIP von zumindest acht Prozent (vier Mrd. Euro) ausgehen. "Es wird in der Obersteiermark ohne Zweifel einen weiteren Schrumpfungsprozess geben", sagt Steiner im STANDARD-Gespräch.

Die Belegschaften der jetzt betroffenen Betriebe und deren Vertreter wollen sich jedenfalls gegen die anlaufenden Entlassungen stemmen. Wie in Spielberg, wo am Donnerstag der Betriebsrat eine Demo organisiert hat, und auch bei der Voestalpine, wo Konzernbetriebsrat Josef Gritz mit Boss Eibensteiner "noch ein Wörtchen reden" will, weil er vermutet, die Konzernspitze wolle mit den Kündigungen nur von anderen Kalamitäten, etwa in Texas, ablenken. Die Probleme in den USA waren ja die zentrale Ursache für eine Gewinnwarnung der Voest. Von "technischen Risiken" war da die Rede.

Bei ATB in Spielberg ist der Personalabbau wohl auch Konsequenz der umstrittenen Firmenpolitik des chinesischen Eigentümers Wolong. "Eiskalt abserviert", sagt der Spielberger Bürgermeister Manfred Lenger. Wolong hatte die zehn Standorte in Europa in zwei Gruppen – kleine Motoren und große Motoren – gesplittet. Dadurch hat sich die Konkurrenz in diesen kleinen Gruppen verstärkt. "Jeder kämpft für sich, und aktuell warten Standorte ab, was sie von der Spielberg-Schließung abbekommen können", sagt ein Insider zum STANDARD.

Aber auch wenn sich über der Obersteiermark, wie zu Zeiten der schweren Verstaatlichten-Krise in den späteren 1980er-Jahren, dunkelschwarze Wolken zusammenziehen, will etwa Pankl-CEO Wolfgang Plasser noch lange kein Kreuz über dieses alte Industriegebiet schlagen. "Totgesagte leben länger", sagt Plasser. Der meisten der Unternehmen seien Weltmarktführer in ihren Segmenten, hoch spezialisiert, mit großer Forschungsquote. Das gebe Hoffung, die auch der Ökonom Steiner durchaus teilen möchte. i

Großaufträge für Pankl

Die Betriebsstruktur dieses Industriegebiets wird von Großbetrieben (ab 250 Beschäftigten) dominiert, in der 45 Prozent der 60.000 unselbstständig Beschäftigten arbeiten. "Die Region wird sich wieder erholen", ist Plasser überzeugt, "wenn auch etliche Bereiche redimensioniert werden."

Pankl selbst sei bisher mit einem blauen Auge davongekommen und habe die Möglichkeit der Kurzarbeit genutzt. Für 2021 sehe die Welt aber wieder anders aus. Man habe zwei "hochinteressante" Großaufträge von US-Giganten in der Tasche.

Negativ laufe noch der Rennsportbereich, der 40 Prozent von Pankl Racing Systems ausmache. Aber selbst in der sensiblen Flugzeugbranche habe man mit den Pankl-Energiesparkomponenten den Fuß in der Tür für weitere Aufträge aus dieser Sparte.

Davon kann man bei ATB nur träumen. Jetzt liegt die Hoffnung der Spielberger auch auf einem alten Bekannten: Mirko Kovats. Der ehemalige ATB-Eigentümer will sich wieder seinem alten Werk annehmen. "Ich werde ein Angebot termingerecht legen. Mein Interesse als Eigentümer von 2001 bis 2011 ist die Erhaltung und Weiterführung des Standorts, ich kenne den Markt in- und auswendig, daher ist eine nahtlose Übernahme möglich." Es hätten bereits "konstruktive Gespräche mit dem Betriebsrat und den Mitarbeitern" stattgefunden, sagt Kovats zum STANDARD. ( Walter Müller, 7.8.2020)