Monique Truong, "Sweetest Fruits". Aus dem Englischen von Claudia Wenner. 23,90 Euro / 347 Seiten. C. H. Beck, München 2020

Cover: C.H. Beck

Meist erheben in Monique Truongs Romanen Unterprivilegierte ihre Stimmen. Diesmal stellt die Autorin Lafcadio Hearn (1850–1904), der auf drei Kontinenten lebte, ins Zentrum ihrer Geschichte. Über ihn erfahren wir jedoch nur aus den Perspektiven seiner Mutter und seiner Ehefrauen, allesamt Analphabetinnen, die sich als begnadete Erzählerinnen und Erfinderinnen sinnlicher Ein- und Ausdrücke hervortun.

"Patricio Lafcadio Hearn war von Geburt an hungrig ... Von dem Moment an, da er die Brustwarze zum ersten Mal gefunden hatte, war er nicht mehr gewillt, sie wieder loszulassen", berichtet seine Mutter die Umstände der frühen Kindheit Hearns auf einer ägäischen Insel. Rosa spricht die Sprache des Körpers fließend, konzentriert auf Gestik, Mimik, Geschmack und Gerüche.

Sie ziehen nach Dublin, wo Rosa sich verloren fühlt: zu dunkel, zu kalt, zu lieblos. Aus diesen frühen Wechseln entsteht eine Unrast, die Hearn nicht loslässt. In Cincinnati baut er sich eine Existenz als Journalist auf, lernt die Köchin Alethea, eine ehemalige Sklavin, kennen. Auch sie kann gut erzählen und hilft ihm, seine Artikel zu verfassen.

Wörter sind wie Hühner

Dabei verzichtet Alethea auf Ausschmückungen, "So viele von diesen Wörtern sind wie Hühner, die man zu prall gefüllt hat. Mit Paniermehl, Kastanien, Zwiebeln und Austern." Ihre Freundin, eine Wäscherin, liest aus der Beschaffenheit der Unterwäsche die Vorgeschichte ihrer Herrschaften ab.

Die Bediensteten erklären sich die Welt mit Mitteln, die sie im Alltag umgeben. Zeit wird in der Dauer von Vogelrufen angegeben, Farben werden nach Blüten, Gesichter nach ihrer Ähnlichkeit mit Nahrungsmitteln bezeichnet. Anstatt die von Bildung Ausgeschlossenen als defizitär vorzustellen, zeigt Truong, wie sie sich geschickt und mit Witz zu helfen wissen.

Da Aletheas und Hearns Ehe zu Zeiten der Segregation geschlossen wurde, wird ihm wegen dieses "unsittlichen Umgangs" mit einer Schwarzen bei der Zeitung gekündigt, und Hearn begreift das erste Mal, was Rassismus bedeutet.

Veredelung zweier Sorten

Das Wunderbare an diesem Roman aber ist, dass kulturelle Differenz, Klasse, Identität, Rassismus, Kolonialismus nicht theoretisch abgehandelt, sondern in poetischen Szenen über Körper, Sinne, Hautfarbe, Speisen ausgedrückt werden.

Von Hearns Biografin erfahren wir, dass dieser schließlich die USA verließ, nach Japan aufbrach, von wo er nie mehr zurückkehrte. Dort heiratet er Setsu, die der verarmten Familie eines degradierten Samurais entstammt.

Hearn interessiert sich für Geistergeschichten und Legenden, die er in Erzählbänden aufbereitet und mit denen er das westliche Interesse an fernöstlicher Kultur bedient. Seine Frau ist ihm eine wesentliche Informationsquelle. Sie hat "Geschichtenerzählerinnenhände".

Setsu wird nach Hearns Tod von der Biografin um Material für das Buch gebeten. Hier findet sich der Ausdruck von den "süßesten Früchten" des Titels, der die vier gemeinsamen Kinder meint, welche wie im Gartenbau Ergebnis einer Veredelung zweier Sorten seien.

Sozialgeschichte des Oralen

Könnten wir behaupten, dass vieles, was diesen Hearn ausmacht, von den Frauen, mit denen er zusammen war, stammt? Die Mehrsprachigkeit und Versessenheit auf gutes Essen wird ihm von der Mutter gegeben; das Wissen um lokale Verhältnisse brachte ihm seine afroamerikanische Frau bei; über im Westen unbekannte japanische Legenden und mystische Orte erfuhr er durch seine japanische Frau.

Jedenfalls erweist sich Hearn in diesem lesenswerten Buch ganz aus ihren Erinnerungen gebaut. Dennoch wirkt die Konstruktion nie aufgesetzt, sondern leichthändig: "Tatsachen gleichen Fischgräten. Wenn du den Fisch servieren willst, kannst du die Gräten fortwerfen", heißt es einmal.

Truong, die 1975 aus Vietnam in die USA flüchtete, ist sozusagen eine Expertin einer Sozialgeschichte des Oralen und schafft es mit diesem Roman, sinnlich erfahrbar zu machen, dass es immer schon Menschen gab, die über mehrere Heimaten, Sprachen und Kulturen verfügten. (Sabine Scholl, 8.8.2020)