Von der Erlösung bis zum Untergang dauert es manchmal exakt 26 Tage. Am 4. Juni kaufte der Next Leader Fund aus Hongkong den Wigan Athletic Football Club für rund 40 Millionen Pfund. Am 30. Juni stellte der neue Klubbesitzer überraschend einen Insolvenzantrag.

Die Regeln der English Football League (EFL) sehen in diesem Fall einen Punkteabzug von zwölf Zählern vor. Dieser wurde nach dem letzten Spieltag in der Championship tragend, Wigan stürzte damit nach dem 46. Ligaspiel der Saison vom 13. auf den 23. Platz ab – zur Freude vom FC Barnsley mit dem österreichischen Trainer Gerhard Struber, der dadurch die Klasse hielt. Wigan muss in die League One, die dritthöchste Spielklasse Englands, absteigen.

Wigans schwerer Stand im englischen Fußball

Wigan liegt in einer "fußballerisch herausfordernden Umgebung" im Norden Englands, erklärt Paul Scharner dem STANDARD. Der Ex-ÖFB-Teamspieler war insgesamt fünf Jahre lang für die Latics als Defensivspieler tätig. "Sie standen immer in Konkurrenz zum Rugby", sagt Scharner.

Bild nicht mehr verfügbar.

Paul Scharner war fünf Jahre bei Wigan als Spieler tätig. Zuletzt half er als Mentaltrainer aus.
Foto: AP

Die Wigan Warriors sind der erfolgreichste Rugbyverein Englands mit einer fast 150-jährigen Geschichte. Hinzu kommen die umliegenden Fußballvereine. Mit Liverpool, Manchester United, Manchester City und Everton liegen gleich vier Großklubs im Umkreis von weniger als einer Autostunde entfernt. Noch schneller ist man bei den Premier-League-Aspiranten Burnley, Blackburn und Bolton. "Es war schon immer eine Herausforderung, eine gesunde Basis zu schaffen", sagt Scharner. "Ich finde, das hat mit dem Premier-League-Status gut funktioniert. Letztendlich kümmerten sie sich aber zu spät um die Zukunftsvision."

Acht Jahre am Stück war der Verein in der Premier League, seither pendelt er zwischen der zweiten und der dritten Liga. Scharner: "Jetzt ist Wigan vermutlich dort, wo es mit dem Klub dieser Größe wirklich hingehört."

In asiatischer Hand

Wigan bilanzierte in den vergangenen Jahren zwar stets mit einem Minus, bewegte sich aber immer im Rahmen der EFL-Regularien. Man muss wissen: Die Championship ist eine der finanziell forderndsten Ligen der Welt. Nur fünf der 24 Klubs schrieben in der Saison 2018/19 schwarze Zahlen – dank lukrativer Spielerverkäufe. Die Risikobereitschaft ist enorm: Die Aussicht auf einen möglichen Aufstieg in die Premier League und die damit verbundenen TV-Einnahmen zieht zahlreiche Investoren an.

Bei den Latics war dies im November 2018 der Fall. Der langjährige, bei den Anhängern sehr beliebte Mäzen Dave Whelan führte den Klub seit den 90er-Jahren von der vierten bis in die erste Liga, nach 23 Jahren verkaufte er den Verein an die International Entertainment Corporation (IEC). Dafür erhielt er rund 16 Millionen Pfund. IEC ist an der Börse in Hongkong gelistet, der Firmensitz liegt auf den Cayman Islands. Das Unternehmen verdient sein Geld hauptsächlich mit dem Betrieb von Hotels und Kasinos auf den Philippinen.

Upgrade der Infrastruktur

Stanley Choi, der Vorsitzende der IEC, gab zunächst Geld für ein neues Spielfeld im DW Stadium frei, das sich Athletic mit den Warriors teilt. Außerdem wurde das Trainingszentrum modernisiert. Die asiatischen Besitzer mischten sich zu Beginn kaum in die Kaderplanung ein, segneten vielmehr die gewünschten Transfers wohlwollend ab. Die Gangart wurde erst rauer, als in der vergangenen Saison Siege ausblieben.

Im FA-Cup-Finale setzte sich Scharner die Krone auf.
Foto: GEPA pictures/ AMA Sports

Zu diesem Zeitpunkt kam Wigans Ex-Spieler Scharner ins Spiel. 2013 gewann er mit den Engländern sensationell den FA Cup, der heute 40-Jährige beendete wenige Wochen darauf seine Karriere. Er machte sich als Erfolgscoach selbstständig und berät mit seinem Unternehmen Lighthouse Partners for life Fußballer, Trainer, aber auch ganze Vereine. Der Kontakt nach Wigan riss nie ab, CEO Jonathan Jackson holte den Mann aus Purgstall im vergangenen Februar zurück nach England.

Scharner macht Wigan Mut

"Sie meinten, es täte sicher gut, wenn eine Klublegende eine neue Perspektive reinbringt", sagt Scharner. Für fünf Wochen übersiedelte er auf die Insel und fungierte als Wigans Mentaltrainer. "Der Druck von den Investoren wurde irrsinnig groß. Eigentlich war der Aufstieg das Ziel, plötzlich lagen sie auf den Abstiegsrängen. Diese Unruhe wirkte sich auf die Atmosphäre zwischen Trainer und Spielern und letztlich auch auf dem Spielfeld aus. Ich habe versucht, wieder Klarheit in den Verein zu bringen."

Scharner zeigte der Führungsebene Techniken, wie sie "Ruhe und Zuversicht ausstrahlen und kurzfristig Selbstbewusstsein aufbauen". Manager Paul Cook soll er erklärt haben, wie er der Mannschaft seine Stärken vermitteln könne. "Es ging primär um social skills und die Kommunikation zwischen den Verantwortlichen. Schon nach wenigen Wochen war eine Trendwende zu erkennen, dann ist leider die Unterbrechung gekommen."

Die Übernahme, die keiner versteht

In der Zeit des Corona-Lockdowns dürfte der Besitzer aus Hongkong die Entscheidung getroffen haben, den Verein wieder abzustoßen. Aus heiterem Himmel wechselte Anfang Juni der Eigentümer vom IEC zum Next Leader Fund (NLF), einem Unternehmen, das erst im Jänner 2020 gegründet worden war. Choi hielt zu diesem Zeitpunkt 50 Prozent der Anteile – sowohl beim Verkäufer IEC als auch beim Käufer NLF.

Auch zu diesem Zeitpunkt machte sich keine große Sorge breit. Wigan stellte noch Ende Juni zwei neue Spieler vor. Zudem musste die Liga wie vorgesehen die Übernahme des Vereins absegnen, die EFL erkannte keine Verfehlungen. Die finanzielle Zukunft schien gesichert.

Was die Liga aber ignorierte: Neben dem Kaufpreis von 17,5 Millionen Pfund verpflichtete sich der NLF zu einer Zahlung von 24,6 Millionen Pfund – jene Summe, die IEC seit November 2018 in den Verein investiert hat. Die Summe sollte innerhalb von zwölf Monaten zurückbezahlt werden, bei horrenden Zinsen von acht Prozent, die vertraglich auf bis zu 20 Prozent ansteigen konnten. Ein Investment, das von Beginn an zum Scheitern verurteilt war.

Wette auf den Abstieg?

Ende Juni erfuhr die Vereinsführung, dass der Besitzer die Insolvenz Wigans beantragt habe. "Es ist der Wahnsinn und unglaublich schade. Im Moment führen die Insolvenzverwalter die Geschäfte. Es geht darum, einen neuen Investor zu finden", erklärt Scharner.

Bis heute gab es keine offizielle Erklärung dafür, warum der NLF den Verein nach gerade einmal 26 Tagen komplett fallen ließ. Möglicherweise wollte IEC Wigan aus dem Unternehmen abstoßen, um Bilanzen zu frisieren.

Es halten sich auch Gerüchte, die Besitzer – selbst mit der Glückspielbranche verflechtet – hätten selbst hohe Summen auf einen Abstieg Wigans gewettet. Durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens während der Saison und dem damit verbundenen Punkteabzug sollte dieses Ereignis abgesichert werden.

Ligarekord eingestellt: Noch feierte kein Team aus der Championship einen höheren Sieg.
Foto: imago images/PA Images

Protest abgelehnt – Barnsley bleibt oben

Obwohl Wigan sich nach dem Liga-Restart in der Tabelle im Liga-Mittelfeld festsetzte, kämpfte der Klub gegen den Abstieg. Die Spieler liefen indessen zur Höchstform auf. Mit dem anstehenden Punkteabzug im Hinterkopf feierten sie einen fulminanten 8:0-Erfolg gegen Hull City. "Interessanterweise nahm die Unsicherheit, ob es überhaupt weitergeht, den Spielern den Druck", urteilt Scharner. "Es war eine Art Trotzreaktion. Leider hat es dann am grünen Tisch nicht gereicht." Einen Einspruch gegen den Punkteabzug lehnte die Liga nach Saisonende ab. Wigan berief sich auf "höhere Gewalt", vergebens.

"Ich möchte die Leistungen von Gerhard Struber überhaupt nicht schmälern. Er hat wahrlich viel verändert. Barnsley spielte sehr gut, machte aber zu wenig Punkte. Daher muss man sagen: Sportlich haben sie es nicht geschafft." Auf Wigans Vereinshomepage heißt es lediglich: Das Trainerteam bereitet die Mannschaft nun auf die nächste Saison in der League One vor. Ohne Investoren aus Hongkong. (Lukas Zahrer, 7.8.2020)