Im Gastkommentar stellt sich Klaus Kastberger, Grazer Professor für Gegenwartsliteratur, auf die Seite der umstrittenen Kabarettistin. Nicht Eckhart sei der Skandal, sondern die Art und Weise, wie man hier mit ihr umgehe. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar von Philosoph Thomas Pölzler: "'Cancel Culture'? Mehr Demut, weniger Moral".

Es ist so: Das Hamburger Harbour-Front-Literaturfestival lädt acht Autorinnen und Autoren ein, die dort in vier sogenannten Debütantensalons aus ihren literarischen Erstlingswerken lesen. Eine Fachjury entscheidet dann vor Ort, wer aus dieser Auswahl den mit 10.000 Euro dotierten Klaus-Michael-Kühne-Preis (gestiftet von einem Hamburger Unternehmer) für das beste deutschsprachige Romandebüt erhält. Zweck des Preises ist es, die Wichtigkeit und Bedeutung der jungen Literatur zu unterstreichen. Diesmal ist das schon vorab spektakulär misslungen.

Ein ganzes Jahrzehnt hat der Ablauf geschnurrt wie ein Kätzchen, das sich gerne streicheln lässt. Heuer aber sind es plötzlich keine acht Lesenden mehr, sondern nur noch sieben. Das kam so: Als eine der Debütantinnen wurde die österreichische Autorin Lisa Eckhart eingeladen. Nicht in ihrer Funktion als Kabarettistin, als die man sie weithin kennt, sondern weil sie mit ihrem Roman Omama (siehe ALBUM-Vorabdruck) das Nominierungsteam überzeugen konnte. Um literarische Qualität geht es im Fortgang der Geschichte nun aber nicht mehr. Zu sehr ist den Beteiligten schon von vornherein etwas ganz anderes klar.

Provoziert: Kabarettistin Lisa Eckhart.
Foto: Imago / A. Havergo

Geschliffener Zynismus

Mit einem Auftritt in der Sendung Mitternachtsspitzen im Jahr 2018, den man während des Corona-Lockdowns in einer TV-Mediathek wiederentdeckt hat, handelte sich Eckhart den Vorwurf ein, in manchen ihrer Äußerungen antisemitische Vorurteile zu bedienen. Die Kunstfigur, die Eckhart auf die Kabarettbühne stellt, polarisierte schon vorher. Viele halten ihren geschliffenen Zynismus nicht aus. Andere amüsieren sich bei Eckharts Programmen, wohl auch aus einem Erschrecken über sich selbst heraus.

Das Harbour-Front-Festival hat seinem Publikum die Möglichkeit eigener Meinungsbildung und der Autorin die Chance auf den Kühne-Preis genommen. Jener Autor, der mit ihr gemeinsam lesen sollte, hat sich dem Vernehmen nach geweigert, das zu tun. So, als ob es sich bei Eckhart um das leibhaftige Virus handeln würde, hat man seitens der Veranstalter für sie daraufhin einen Einzelabend geplant. Aber auch dieser wurde gecancelt, denn den Betreibern der Spielstätte, des Klubs "Nochtspeicher", war aufgrund von Gerüchten aus der Szene von vornherein klar, dass sie die Sicherheit der Veranstaltung nicht garantieren könnten.

"Der Protest formiert sich schon."
Club warnt Festivalleitung.

Um das Problem zu lösen, hätte man in Hamburg wohl noch eine zusätzliche Nachtschicht einlegen müssen und zur Not vielleicht auch zwei oder drei. So jedenfalls, wie das Krisenmanagement hier gelaufen ist, geht es nicht. Zunächst versuchte man die Autorin dazu zu bewegen, selbst auf eine Teilnahme zu verzichten. Nachdem dies abgelehnt worden war, lud man die Eingeladene einfach wieder aus und hatte dabei noch die Dreistigkeit, mit der "Fairness" des Bewerbes zu argumentieren. Hätte man für Eckhart einen anderen Veranstaltungsort genommen, so schreibt man, hätte das die Voraussetzungen für alle verzerrt. Wäre es in einer E-Mail möglich, hätte man auf der Grundlage der eigenen Naivität zu diesem Satz wahrscheinlich noch ein kleines Blümchen dazugezeichnet, an dem ein gezähmter Stier riecht.

Ein Warn- und Lehrstück

Hat keiner gemerkt, was hier passiert? Die Tatsache, dass mit diesem Vorgehen das Festival selbst und der Kühne-Preis desavouiert werden und dieser Makel bleibt, kann man außerhalb von Hamburg gut verschmerzen. Fatal aber ist die Signalwirkung, die dieses Vorgehen auf den gesamten Kulturbetrieb hat. Oberster Grundsatz ist: Man darf sich von Protestankündigungen – egal, von welcher Seite sie kommen – nicht von eigenen Plänen abbringen lassen. Nicht Eckhart ist der Skandal, sondern die Art und Weise, wie man hier mit ihr umgeht.

Was sich in Hamburg, weil sehr ungeschickt agiert wurde, auch in einem Schriftverkehr zwischen Veranstalter, Agentur, Verlag und Autorin dokumentiert, sitzt aber längst in den Gehirnen vieler kultureller Entscheidungsträger. Insofern könnte die Hamburger Geschichte vielleicht wirklich zu einem Warn- und Lehrstück werden. Niemand, so die Moral dieser Geschichte, sollte sich davon geleitet zeigen, es sich selbst gegen die eigenen Überzeugungen durch Verbote und den Ausschluss von kontroversiell diskutierten Themen und der Mitwirkung sogenannter heikler Personen leichtzumachen. Niemand darf von vornherein Angst haben. Ganz im Gegenteil ist gerade jetzt das Schwierige gefragt, Kultur braucht ein Höchstmaß an Konfrontation.

Harmloser Anlassfall

Eckhart ist ein vergleichsweise harmloser Anlassfall. "Geistesgestört" oder einfach nur "böswillig" muss sein, wer sie für eine Antisemitin hält, schreibt auf Facebook Dieter Nuhr, bei dem die Kabarettistin regelmäßig in der Sendung ist. Im konkreten Fall geht es um den ersten Roman der Autorin. Im Nachhinein seiner Lektüre ist mir klar: ein sehr gelungenes Debüt, das sich aber ebenfalls an einem Klischee abarbeitet. Nämlich an all jenen schmalztriefenden Geschichten, die es in der Literatur über die eigenen Großeltern gibt. Selbst Thomas Bernhard wird bei diesem Thema sentimental. In Eckharts Omama ist das anders, sie schreibt: "Großmutter hat mir die Welt nicht erklärt. Ich erkläre sie dem Leser." (Klaus Kastberger, 7.8.2020)