32 Prozent der Österreicher sind offen für Verschwörungstheorien in Zusammenhang mit der Coronavirus-Krise. Sie halten es laut Market-Umfrage für möglich, dass "es bei den Maßnahmen gegen die Coronavirus-Krise um etwas ganz anderes geht als das, was Politik und Medien sagen". Willkommen im Land der politischen Paranoiker.

Nicht alle von denen sind durchgeknallte Verschwörungstheoretiker, und nicht immer ist der Eindruck falsch, offizielle Maßnahmen hätten irgendwie eine "Hidden Agenda". Wie schon Woody Allen sagte: "Die Tatsache, dass ich Paranoiker bin, bedeutet nicht, dass sie nicht trotzdem hinter mir her sind." Die anfänglichen Behauptungen sehr vieler Offizieller, die Masken würden eh nicht gegen Corona helfen, hatten sehr viel damit zu tun, dass es zunächst zu wenige davon gab und man die Vorhandenen für das medizinische Personal aufsparen wollte. Vor allem aber gibt es eine ganze riesige Beeinflussungsindustrie, die den Kampf gegen die Fakten, die Realität, auch "die Wahrheit" als politisches Mittel einsetzt. Das sind meist autoritäre, demagogische Politiker, für die die Realität gefährlich ist.

32 Prozent der Österreicher sind offen für Verschwörungstheorien in Zusammenhang mit der Coronavirus-Krise.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Der amerikanische Historiker Timothy Snyder, der viel zu autoritären Systemen geforscht hat, arbeitet (in seinem schon 2017 erschienenen Buch "Über Tyrannei") die Mechanismen heraus, wie man die Herrschaft der Lüge errichtet: "Fakten aufzugeben bedeutet, die Freiheit aufzugeben. Wenn nichts wahr ist, dann kann niemand die Macht kritisieren, denn dann gibt es keine Basis, auf der man das tun kann. Wenn nichts wahr ist, dann ist alles Spektakel."

Anti-Covid-Politik

Der Hauptpraktiker dieser Methode ist natürlich Donald Trump. Er reitet eine ununterbrochene Attacke auf die überprüfbare Realität. Seit seinem Amtsantritt hat er fast 20.000 glatte Lügen und Unwahrheiten ausgesprochen. Er behauptet mit voller Überzeugung und wider alle Evidenz, dass Schwarz Weiß ist. Dass zum Beispiel die USA die beste Anti-Covid-Politik haben und die niedrigste Todesrate. Das Gegenteil ist fast immer der Fall, aber Trump wiederholt die Lüge als "schamanistische Beschwörung", um das Fiktionale plausibel und das Kriminelle wünschenswert zu machen. Und selbstverständlich muss man investigativen Journalismus "Lügenpresse" nennen.

Eine weitere Technik ist "magisches Denken": Das Unmögliche wird zum Wünschenswerten erklärt, die politische Niederlage zum Sieg, die Wirtschaftsflaute zur guten Performance und das Virus zu etwas, das schon wieder weggehen wird. Schließlich nennt Snyder (der sich dabei auf die Erkenntnisse von Victor Klemperer über den Totalitarismus stützt) als vierte Methode, die Wahrheit – auch für sich selbst – auszuhebeln, den "fehlgeleiteten Glauben". Die vollkommen verrückte Überzeugung, dass trotz aller Gegenbeweise der "geliebte Führer" absolut auf dem richtigen Weg ist.

Man nennt einen Zustand, in dem nichts mehr wahr ist, "Post-Truth". Er hat bereits weite Kreise des Denkens auch in westlichen Demokratien erobert. In Österreich haben wir einen gewissen Level an Post-Truth erreicht. Ein Teil der Medien ist massiv engagiert, die Fakten zu verdrehen, Ressentiments zu schüren und blanken Blödsinn zu verbreiten. Die Politik, auch die Regierungspolitik, ist in sehr hohem Maß damit beschäftigt, den Problemen einen Spin zu geben, statt sie zu lösen. Wir Kleinkinder kriegen Babyelefanten zum Spielen statt klarer Verhaltensregeln.

"Post-Truth ist Präfaschismus", sagt Snyder. So weit sind wir noch nicht (bei den USA kann man sich nicht ganz sicher sein), aber spielen dürfen wir uns nicht. (Hans Rauscher, 7.8.2020)