Die Explosion von 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut hat einen 43 Meter tiefen Krater in den Boden gerissen.

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Angesichts des katastrophalen politischen Zustands, in dem sich der Libanon befindet, ist der Ruf nach einer internationalen Untersuchung der Explosion am Dienstag nur zu verständlich: Wie wollte man eine Führungsschicht ihre eigene Inkompetenz und Versäumnisse untersuchen lassen? Oder, noch absurder, die – von vielen Demonstranten vermutete – zumindest indirekte Schuld einer der Regierungsparteien, der Hisbollah?

Die Waffenlager der Hisbollah sind nicht nur eine Verhöhnung des staatlichen Gewaltmonopols im Libanon, das durch die Existenz der bewaffneten Miliz trotz entsprechender Uno-Sicherheitsratsresolutionen eine Illusion bleibt, sondern auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Dazu muss die Explosion am Dienstag noch nicht einmal ein Anschlag gewesen sein.

Fake-Videos kursieren

Überflüssig zu sagen, dass der von der schiitischen Partei unterstützte Staatspräsident Michel Aoun jedoch nicht die Hisbollah meinte, als er öffentlich die Möglichkeit eines Attentats ventilierte. In den sozialen Medien kursieren bereits leicht als Fakes zu entlarvende Videos, die israelische Raketen zeigen, die vor der Katastrophe in den Hafen von Beirut einschlugen. Und das soll diese Regierung, in der Verbreiter dieser Version der Dinge sitzen, untersuchen?

Was ist demnach logischer als die Einsetzung einer unabhängigen externen Kommission, die ermitteln soll, was am Dienstag in Beirut wirklich geschehen ist? Das klingt jedoch leider vielversprechender, als es ist. Nichts zeigt das deutlicher als das Verfahren vor einem internationalen Strafgerichtshof, der die Ermordung des mehrfachen Premiers Rafik Hariri durch ein Bombenattentat im Jahr 2005 klären sollte und dessen Urteilssprüche für Freitag erwartet wurden. Diejenigen, die die Hisbollah der Urheberschaft für die Explosion am Dienstag beschuldigen, sehen einen Zusammenhang mit der nun auf den 18. August verschobenen Urteilsverkündung des Special Tribunal for Lebanon (STL) in den Niederlanden. Denn zu Gericht gesessen wurde über vier Hisbollah-Mitglieder. Allerdings in absentia.

Zum Scheitern verurteilt

Fünfzehn Jahre nach dem Großattentat, das neben Hariri weitere 22 Menschen in den Tod riss, muss man sich völlig unabhängig von den Urteilen fragen, ob das 2009 eingerichtete STL nicht gescheitert ist. Niemand kennt den Aufenthaltsort der vier Angeklagten, die explizit als Individuen und nicht stellvertretend für die Hisbollah – in der sie eher kleine Fische waren – angeklagt wurden. Der Versuch, politische Verantwortung festzustellen, wurde schnell aufgegeben. Untersucht wurden mit einem ungeheuren finanziellen und administrativen Aufwand Indizien, die zu den angeklagten Individuen führten, nicht die politischen Hintergründe für das Attentat auf Hariri.

Im Fall der Explosion von Dienstag wäre die Feststellung von Ursache und Wirkung deshalb so wichtig, weil geklärt werden muss, ob Mutwilligkeit ausgeschlossen werden kann. Aber selbst wenn das zugelassen würde: Jede Aufarbeitung von politischer Verantwortung, auch wenn es "nur" Fahrlässigkeit war, würde heute an den libanesischen politischen Verhältnissen scheitern. Dazu braucht es die grundlegende Erneuerung des Systems, wie es die Protestbewegung fordert. Und es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Politcliquen an der Macht dazu bereit sind. (9.8.2020)