Ein wichtiger Zubringerstrom des Golfstroms vor Florida schwächelt immer mehr.
Foto: Nasa

Der Golfstrom bzw. dessen Verlängerung Richtung Nordeuropa, der Nordatlantikstrom, transportiert warmes Wasser vom Golf von Mexiko bis an unsere Küsten, was einem Großteil Nordwesteuropas ein relativ mildes Klima beschert. Forscher befürchten jedoch schon seit längerem, dass Schmelzwasser aus Grönland und übermäßige Niederschläge im Zuge des Klimawandels diese Meeresströmung stören könnten.

Meeresforscher haben schon vor Jahrzehnten herausgefunden, dass die Strömungen im Atlantik empfindlich auf große Mengen von Süßwasser an der Meeresoberfläche reagieren. Da der Abfluss von Schmelzwasser aus Grönland aufgrund der Klimaveränderungen und Regenfälle über dem Ozean zugenommen haben, wird vermutet, dass dies den Nordatlantikstrom verlangsamen oder womöglich sogar umkehren und den Wärmetransport nach Europa blockieren könnte. Indizien dafür zeigen sich bereits insbesondere bei Schlüsselkomponenten des Golfstroms.

Vollständigerer Blick auf die Ozeane

Eine im Fachjournal "Nature Communications" präsentierte Methode zur Analyse der Stärke küstennaher Meeresströmungen liefert das Potenzial, eine der größten Unsicherheiten im Zusammenhang mit Beobachtungen des Klimawandels im letzten Jahrhundert zu verringern. "Im Ozean ist fast alles miteinander verbunden", sagte Christopher Piecuch, dessen Team von der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) nun mit diesem Verfahren Beunruhigendes festgestellt hat. "Wir können diese Verbindungen nutzen, um Vorgänge in der Vergangenheit oder in großer Entfernung von der Küste zu untersuchen und so einen vollständigeren Blick auf den Ozean und seine räumlichen und zeitlichen Veränderungen zu erhalten."

Das Transportvolumen des Floridastroms hat in den vergangenen 100 Jahren stetig abgenommen.
Grafik: Piecuch et al./Nature Communications

Piecuch nutzte eine Verbindung zwischen dem Meeresspiegel an der Küste und der Stärke der küstennahen Strömungen, um die Entwicklung des Floridastrom zu verfolgen, der gleichsam den Ausgangspunkt des Golfstroms bildet und gemeinsam mit dem kleineren Antillenstrom als einer der wichtigsten Zubringer von warmem Wassers für den Nordatlantikstrom fungiert. Da fast kontinuierliche Aufzeichnungen des Meeresspiegels mehr als ein Jahrhundert entlang der Atlantikküste Floridas und in einigen Teilen der Karibik zurückreichen, konnten Piecuch und seine Gruppe mithilfe mathematischer Modelle die Reichweite direkter Messungen des Golfstroms erweitern.

Stetige Verringerung

Die Schlüsse daraus bedeuten nichts Gutes: Seit Anfang des letzten Jahrhunderts hat sich das Transportvolumen des Floridastroms praktisch stetig verringert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lag dieses noch bei mehr als 33 Millionen Kubikmetern pro Sekunde. Von 1982 bis heute dagegen liegt die transportierte Wassermenge bei durchschnittlich 31,8 Millionen Kubikmetern pro Sekunde. "Der 100-Jahres-Trend zeigt eine Verringerung um 1,7 Millionen Kubikmeter pro Sekunde", erklärt Piecuch.

Die massivste Abschwächung des Floridastroms verzeichneten die Wissenschafter in den vergangenen beiden Jahrzehnten. In dieser Periode erwiesen sich die Zehnjahreswerte für den Wassertransport als die niedrigsten der gesamten letzten 110 Jahre. "Das Timing dieser Extreme kann nicht allein durch natürliche Fluktuationen erklärt werden", sagt Piecuch. Die Tendenz zur fortlaufenden Abschwächung sei demnach trotz natürlicher Schwankungen klar erkennbar.

Die Verringerung des Golfstroms hat auch Folgen für die Oberflächentemperatur des Nordatlantiks. Die Grafik zeigt das Absinken der Durchschnittstemperatur zwischen 1909–2018.
Grafik: Piecuch et al./Nature Communications

Eine der größten Unsicherheiten in Klimamodellen ist das Verhalten von Meeresströmungen, die entweder zu Änderungen des Erdklimas führen oder darauf reagieren. Eines davon ist das Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC), eine Art "Motor" für die Meeresströmungen im Atlantik, das den Golfstrom einschließt und zur Regulierung des globalen Klimas beiträgt.

Frühere Studien bestätigt

Piecuchs Analyse stimmt mit den Beziehungen überein, die in Modellen zwischen den tieferen Zweigen des AMOC und dem Golfstrom beobachtet wurden. Sie bestätigt damit frühere Studien, die darauf hindeuten, dass sich einige Zweige des AMOC in den letzten Jahren tatsächlich verlangsamt haben. Die neue Methode liefert als Ergänzung zu bestehenden Messbojen und fest verankerten Instrumenten auch die Möglichkeit, Meeresströmungen wie den Golfstrom von der Küste aus zu überwachen. "Wenn wir etwas über den Horizont hinweg überwachen können, indem wir Messungen vom Ufer aus durchführen, ist dies ein Gewinn. für die Wissenschaft und möglicherweise für die Gesellschaft", sagte Piecuch. (tberg, 10.8.2020)