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Seit 26 Jahren an der Macht: Alexander Lukaschenko.

Foto: AP / Sergei Grits

In der bezaubernden Kleinstadt Punxsutawney schlägt Bill Murray in der Komödie "Und täglich grüßt das Murmeltier" allmorgendlich den nervenden Radiowecker kurz und klein. In Minsk lässt der Präsident von Belarus (Weißrussland), Alexander Lukaschenko, nach jeder Wahl seine Gegner zusammenschlagen. Es ist ein immer wiederkehrendes Ritual, das scheinbar keine Änderungen duldet.

Wenige Tage vor der Wahl in seiner Rede zur Lage der Nation hatte der 65-jährige Amtsinhaber Belarus zum "einzig ruhigen Glied im Zentrum Eurasiens" erklärt. Während es überall auf der Welt – sei es in Amerika, China oder auch in anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion – brodle, sei die Lage in Belarus stabil, seien die Menschen zufrieden, so Lukaschenko, der aber zugleich warnte, dass äußere Kräfte versuchen würden, dieses Gleichgewicht zu stören. Sich selbst präsentierte er als Garant für die Stabilität.

"Falscher Götzendienst"

Und in gewisser Hinsicht hat er tatsächlich recht: Lukaschenko ist länger an der Macht als jeder andere mit realen Vollmachten ausgestattete Staatschef in Europa. In einem Interview erklärte er offen die "Absetzbarkeit der Staatsmacht" zu einem falschen Götzendienst der Demokratie. Und so flimmert mehr als ein Vierteljahrhundert sein Gesicht mit dem immergleichen Schnurrbart und dem immer schütterer werdenden Haupthaar über die Bildschirme des belarussischen Staatsfernsehens.

Stabil holt er mit den stets gleichen Versprechen bei jeder Wahl seit seinem Amtsantritt um die 80 Prozent bei einer mindest genauso hohen Wahlbeteiligung. Ergebnisse, die an die kommunistische Vergangenheit des Landes erinnern. Einen wohl nicht unerheblichen Anteil an dieser Stabilität hat Wahlleiterin Lidia Jermoschina, die quasi seit der Machtübernahme Lukaschenkos diese "zutiefst demokratischen" Ergebnisse garantiert.

Denn ebenso stabil steigt der Anteil der Brief- und Frühwähler bei den Abstimmungen in Belarus. Das sind genau die Wahlzettel, die sich am leichtesten fälschen lassen, und die Wähler, die am leichtesten unter Druck zu setzen und zu kontrollieren sind. Heuer wurde mit fast 42 Prozent aller Wahlberechtigten der Rekord der Vorwahl (36 Prozent) noch einmal getoppt.

Kritik auch in der Provinz

Doch eben dies ist ein sicheres Indiz dafür, dass die Stabilität trügerisch ist. Von Mal zu Mal muss Lukaschenko mehr betrügen, um an der Macht zu bleiben. Und: Reagierte in der Vergangenheit das Volk zumeist in etwa so: "Ist doch egal, ob er 52 oder 82 Prozent geholt hat, gewonnen hat er in jedem Fall", so glaubt heuer nur noch eine Minderheit an seinen Sieg. Das ist das Ende. Das Haltbarkeitsdatum für den "letzten Diktator Europas" ist abgelaufen. Das zeigt sich auch daran, dass diesmal nicht nur die Menschen im politisch aktiveren Minsk demonstrieren, sondern auch in der Provinz, wo die Patriarchenrolle von "Batjka" (Väterchen), wie Lukaschenko sich gern nennen lässt, früher nie angezweifelt wurde.

Womöglich kann er sich mit Gewalt noch eine ganze Weile an der Macht halten, doch wenn selbst die "passive, konservative Mehrheit", auf die sich Autokraten immer wieder gern berufen, nicht mehr hinter ihm steht, dann helfen ihm auf Dauer auch die Schlägertrupps der Polizei nicht mehr weiter. (André Ballin, 10.8.2020)