Die amerikanischen Medien beschäftigen sich immer mehr mit einem drohenden Unheilsszenario nach der Präsidentenwahl am 3. November: ein klar geschlagener Donald Trump, und die Republikaner würden die Wahl anfechten und Trump würde sich weigern, das Weiße Haus zu verlassen. Der Verfassungsexperte Richard H. Pildes von der New York University rechnet mit einer explosiven Situation, wenn hunderttausende Stimmen in entscheidenden Staaten infolge der wegen der Pandemie stark angestiegenen Zahl der Briefwähler wochenlang oder noch länger nicht ausgezählt werden können. Wenn der am Wahlabend vorne liegende Kandidat später doch die Wahl verliert, würde das laut Pildes Verschwörungstheorien und eine gefährliche Polarisierung auslösen.

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Donald Trumps Politik hat durch die Schwächung der Nato zur Entstehung eines gefährlichen militärischen Vakuums in Europa und zur Stärkung der protektionistischen Tendenzen im Welthandel beigetragen.
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Angesichts des Vorsprungs des demokratischen Kandidaten Joe Biden in allen Umfragen bereitet der bedrängte Präsident den Boden für eine Entscheidung durch die Gerichte vor. Trump warnt wegen vieler Briefwahlstimmen seit Wochen vor einer "großen Blamage für die USA" durch die bevorstehende "ungenaueste und betrügerischste" Wahl der Geschichte. Die Erhöhung der Wahlbeteiligung liegt im Interesse der Demokraten. Bereits bisher wurden landesweit 160 Klagen wegen befürchteten Unregelmäßigkeiten eingereicht. Nachdem der Staat Nevada den Versand von Briefwahlformularen an jeden registrierten Wähler beschlossen hatte, postete Trump vor einigen Tagen einen Tweet, in dem er dem Gouverneur des Staates ein "Wiedersehen vor dem Gericht" angedrohte.

Querschüsse

Expräsident Barak Obama warf kürzlich der von einem Trump-Anhänger geführten staatlichen Postverwaltung die Verlangsamung der Zustellung der Briefwahlunterlagen vor, um die Leute vom Wählen abzuhalten. Zu den Methoden, die Wähler in Städten mit einer großen schwarzen Bevölkerung abzuschrecken, gehört die Drohung Trumps, Bundespolizisten am Wahltag nach Detroit, Milwaukee und Cleveland zu entsenden, um "einen Amoklauf der Gewalt" zu unterdrücken. Dies wäre nach provozierten Raufereien in diesen Städten unter dem Vorwand möglich, die Ordnung sicherzustellen.

Die Demokraten sind auch besorgt, dass wenn in den umkämpften Swing States die Auszählung von Stimmzetteln länger dauern sollte und eine Mehrheit für Trump immer weiter schrumpfen würde, Trump oder sein Justizminister William P. Barr mit Alarmrufen über "Wahlbetrug" Druck auf die mit den Republikanern sympathisierenden lokalen Beamten ausüben könnten, die Auszählung von Stimmen zu verlangsamen oder zu stoppen. Es gibt ein ganzes Bündel von möglichen Gründen, die Wahl anzufechten.

Indessen will Trump auch durch Querschüsse gegen China, Deutschland und zuletzt Kanada im Zeichen seiner "Amerika First"-Rabulistik bei seinen Kernwählern punkten. Seine irrlichternde Politik hat durch die Schwächung der Nato zur Entstehung eines gefährlichen militärischen Vakuums in Europa und zur Stärkung der protektionistischen Tendenzen im Welthandel beigetragen. Kein Wunder, dass laut US-Abwehrchef William R. Evanina Russland wieder aktiv versucht, die Präsidentenwahl durch Manipulation in sozialen Netzwerken zugunsten Trumps zu beeinflussen. (Paul Lendvai, 11.8.2020)