Eigens gecharterte Flugzeuge und Züge zeigten die Bedeutung, die osteuropäische Pflegerinnen für Österreich haben. In der Bezahlung spiegelt sich das nicht wider.

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Flavia Matei über die Indexierung der Familienbeihilfe: "Es ist rassistische Politik, das muss man klar so benennen."

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360 Euro für jedes Kind hat die türkis-grüne Bundesregierung in der Corona-Krise versprochen. Doch wie STANDARD-Recherchen zeigten, wird das Geld wie die Familienbeihilfe an die Kaufkraft im Herkunftsland angepasst. Davon sind auch jene Frauen aus Osteuropa betroffen, die die 24-Stunden-Betreuung für pflegebedürftige Österreicher übernehmen. Flavia Matei vom Verein Drept (rumänisch: Gerechtigkeit) kämpft dagegen an.

STANDARD: Für österreichische Kinder gibt es in der Corona-Krise 360 Euro Bonus, für rumänische 177. Ein häufiges Argument bei Kritik daran ist: Das ist in Rumänien immer noch viel Geld. Was entgegnen Sie?

Matei: Das stimmt einfach nicht. Die Standards in Rumänien ändern sich ständig, und das Leben dort ist auf keinen Fall so billig, wie man sich das hier in Österreich vorstellt. Man muss auch verstehen, dass diese Betreuerinnen oft aus prekären sozialen Schichten in Rumänien kommen – sie kämpfen also oft schon mit Armut. Was für mich das Hauptargument ist: Die migrantischen 24-Stunden-Betreuer zahlen genauso wie Österreicher ihre Sozialabgaben in Österreich. Auch deshalb ist es ungerecht und inakzeptabel, dass sie nur den halben Bonus erhalten, wenn sie genauso viel wie alle anderen einzahlen.

STANDARD: Schon bei der Indexierung der Familienbeihilfe argumentierte die Regierung, das sei ja kein Gehalt – wenn, dann müssten die Löhne steigen. Ist das gerechtfertigt?

Matei: Auf keinen Fall. Wir alle wissen, dass Türkis-Blau die Indexierung damals nicht aus inhaltlichen Gründen beschlossen hat oder weil es Österreich so irrsinnig viel Geld spart. Sondern es ging nur darum, ein rechtspopulistisches Zeichen zu setzen. Man wollte den Wählern vermitteln: Wir sind für Österreicher und gegen die Osteuropäer. Das ist rassistische Politik, das muss man klar so benennen.

STANDARD: Unabhängig vom Motiv ist es ja auch eine Frage der Gerechtigkeit: Nicht alle Pflegerinnen haben Kinder, und eigentlich sollten alle fair bezahlt werden.

Matei: Natürlich sollen sie alle fair bezahlt werden. Aber unterschiedliche LebensStandards gibt es auch in Österreich: Genauso könnte man sagen, man kürzt jetzt den Familien im Burgenland die Familienbeihilfe, weil die Lebenshaltungskosten dort niedriger sind als in Wien. Da würden sich zu Recht alle Menschen im Burgenland aufregen, weil das diskriminierend ist. Genauso wie jetzt wieder migrantische Arbeitskräfte diskriminiert werden.

STANDARD: Bund und Länder haben sich am Anfang der Krise sehr bemüht, Pflegerinnen nach Österreich zu bringen – es wurden Flüge und Nachtzüge gechartert. Da hat man ja eigentlich gezeigt, wie wichtig diese Leute für das Land sind.

Matei: Während der Corona-Krise haben wir ganz deutlich gesehen, dass gerade migrantische Arbeitskräfte systemrelevant sind, gerade die Menschen, die aus osteuropäischen Ländern kommen. Da reden wir zum Beispiel auch über Erntearbeiter und -arbeiterinnen, aber auch über Pflegekräfte und 24-Stunden-Betreuerinnen. Sie haben während der Krise Übermenschliches geleistet. Und sie wurden als Heldinnen gefeiert, sie wurden beklatscht. Aber statt das entsprechend zu würdigen, also systematisch zu würdigen, werden sie jetzt ein weiteres Mal diskriminiert und erhalten nicht einmal die Hälfte von diesem Familienbonus. Das ist beschämend, das ist diskriminierend, das ist ungerecht.

STANDARD: Welche besonderen Schwierigkeiten gibt es speziell für rumänische Pfleger aktuell noch?

Matei: Die Indexierung war nicht die erste Diskriminierung seit dem Beginn der Corona-Pandemie. Obwohl die 24-Stunden-Betreuerinnen essenziell für das österreichische Pflegesystem sind, werden sie ständig als Menschen zweiter Klasse behandelt. Sie wurden teils enorm unter Druck gesetzt, deutlich längere Turnusse zu arbeiten. Sie wurden systematisch vom Härtefallfonds ausgeschlossen und sind bis heute immer noch vom Härtefallfonds ausgeschlossen. (Die meisten Pflegerinnen arbeiten als Selbstständige, verdienen aber weniger als 11.000 Euro pro Jahr und erhalten deswegen meistens kein Geld aus dem Härtefallfonds, Anm.) Diese Beispiele sind nicht neu für uns. Sie sind ein Teil von einer ganz klassisch diskriminierenden Politik.

STANDARD: Es ist klar, dass Pflegerinnen und Personenbetreuerinnen unterbezahlt sind. Auf der anderen Seite ist diese Form der Betreuung für viele Klientinnen auch unter diesen Bedingungen sehr teuer und für viele nicht leistbar.

Matei: Das stimmt.

STANDARD: Wie ist dieser Widerspruch aufzulösen?

Matei: Ich finde es höchst problematisch, dass in dieser Debatte immer Betreuer und Klienten gegeneinander ausgespielt werden. Da hat selbstverständlich der Staat Österreich eine Verantwortung, diese Lücke zu füllen. Nicht die Betreuerinnen und auf keinen Fall die Klientinnen. Beide sind Opfer in einem System, das offensichtlich nicht funktioniert. (Sebastian Fellner, 11.8.2020)