Neue Tapisserien durch Fundraising: Ergründen kann man die Traumlandschaften von Kiki Smith nicht, je tiefer man sich in diese begibt, desto rätselhafter werden sie.
Foto: Kiki Smith

Es ist Nacht, und ein Wolf steht mitten im Wald, durch schmale Augen beobachtet er einen. Hinter ihm flattert eine Taube. In der Nähe sitzt eine nackte Frau auf einem Ast. Eule, Reh, Eichkätzchen flankieren sie. Aus ihren Augen wachsen Zweige.

Die Tapisserien der US-amerikanischen Künstlerin Kiki Smith sind wie Träume. Ihre Landschaften locken in eine unterbewusste, mystische Welt. Ergründen kann man sie nicht, je tiefer man sich in diese begibt, desto rätselhafter wird sie. Jedes Motiv steht für sich, ist Symbol für das, was man ihm zuschreibt. Wie im Märchen leben Mensch und Tier zusammen, formen sich zu einer Symbiose.

Mit ihrem Zyklus bezieht sich Smith auf den düsteren Wandteppich von Angers, den Zyklus der Apokalypse aus dem 14. Jahrhundert, und setzt mit ihren Traumbildern einen Gegenentwurf. Zwei der Teppiche werden nun in die Sammlung der Albertina aufgenommen und geben Anlass für eine spontan konzipierte Sonderschau.

Diese ist auch Nebeneffekt der erzwungenen Verschiebungen etlicher Ausstellungen. Denn bis die Präsentation der Sammlung Jablonka Anfang Oktober unter anderem in die Pfeilerhalle im Erdgeschoss des Hauses einziehen kann, wäre diese ansonsten leergestanden. Nun werden die Räume für fünf Wochen zwischengenutzt.

Stumme Schreie als Schenkung: Die Köpfe von Ofer Lellouche zerren in den Raum.

Ruckhaftes Erwachen

Dabei werden neben Smith drei weitere Positionen mit Werken aus der grafischen Sammlung gezeigt und unter dem – nichts und gleichzeitig alles sagenden – Titel Natur & Symbol subsumiert.

Man merkt, dass man neu erworbene (Fundraising/Schenkungen) sowie schon lange nicht mehr ausgestellte Werke gemeinsam zeigen wollte und sich dafür um eine Verbindung bemüht hat. Diese kann man individuell suchen, unbedingt finden wird man sie allerdings nicht. Natur ist Symbol. Körper ist Symbol. Symbol ist Symbol?

So begegnet man Arbeiten, die es lange nicht zu sehen gab, allen voran Holzschnitte: Bei dem Schweizer Franz Gertsch beruhen diese auf Fotografien und zeigen expressionistische Wald- und Wassermotive, bei der Künstlerin Christiane Baumgartner wachsen sie digital bearbeitetet zu flirrenden Transall-Militärtransportflugzeugen, und bei dem tunesischen Künstler Ofer Lellouche mutieren sie zu düsteren, schemenhaften Körpern. Nur bei Smith sind es neben den Teppichen auch andere Druckverfahren.

Dafür, dass die Zeit und der Raum so knapp sind, erweist sich die Auswahl der gezeigten Positionen als sehr divers und generationsübergreifend. Dennoch steht jede Position für sich, überlappt nicht. Schwarz-Weiß bei Baumgartner, Körper bei Lellouche, Träumerisches bei Smith und Natur bei Gertsch. Hier könnten im Hintergrund auch Vögel zwitschern oder kleine Wasserbäche rauschen.

Dann endet die Heiterkeit. Die – ebenfalls neu erworbenen – Head-Skulpturen von Lellouche setzen dem Flächigen etwas Dreidimensionales entgegen und reißen die Natur und Symbolik aus ihrer Ruhe und in den Raum hinein:

Ihre Gesichter sind zerkratzt, ihnen fehlen Münder und Nasen – ihre leeren Augenhöhlen scheinen um Hilfe zu schreien. Obwohl sie starr sind, wirken sie panisch. Plötzlich wacht man auf. (Katharina Rustler, 12.8.2020)