Durch den Abbau von Pflanzenteilen und anderem organischem Material geben Bäche und Flüsse jährlich zwei Gigatonnen Kohlenstoffdioxid ab. Die Mikroben im Süßwasser binden auch Kohlenstoff.

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Industrie- und Verkehrsabgase, brennende Wälder, furzende Kühe – das globale Treibhaus hat viele Lieferanten. Viel weniger augenfällig, aber nicht minder wichtig ist die Rolle, die Mikroorganismen dabei spielen. Am interuniversitären Forschungszentrum Wassercluster Lunz befasst sich eine neu gegründete Arbeitsgruppe genau damit.

Mikroorganismen oder Mikroben sind per definitionem nicht mit freiem Auge erkennbar. Zu ihnen gehören Bakterien, mikroskopisch kleine Algen und manche Pilze. Im Stoffkreislauf der Erde spielen sie eine Doppelrolle: einerseits als Grundlage zahlreicher Nahrungsketten, andererseits als Zersetzer organischen Materials. Und was sie an Körpergröße vermissen lassen, machen sie durch Quantität wett: Rund 70 Prozent der gesamten Biomasse auf der Erde entfallen auf Mikroorganismen.

Zwei Gigatonnen CO2 aus Bächen und Flüssen

Die Bedeutung von Süßwasser-Mikroorganismen für den globalen Kohlenstoffkreislauf – und damit den Klimawandel – will die neu gegründete und von der Universität Wien finanzierte Arbeitsgruppe Carbocrobe am Wassercluster Lunz in den nächsten Jahren erforschen. Flächenmäßig machen Bäche und Flüsse nur rund ein Prozent der Erdoberfläche aus. Trotzdem geben sie beim Abbau von Pflanzenteilen und anderem organischem Material pro Jahr geschätzte zwei Gigatonnen CO2 ab – zum Vergleich: Durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe werden jährlich circa neun Gigatonnen in die Atmosphäre gepulvert. Zwar binden die Mikroben im Zuge der Photosynthese auch Kohlenstoff in ihrer Biomasse, doch man geht davon aus, dass mehr CO2 abgegeben wird als fixiert.

Dass Bäche und Flüsse große Mengen von Kohlenstoff sowohl aufnehmen und umbauen als auch speichern und abgeben, weiß man also – nicht so klar ist, unter welchen Umständen welche Mengen in welche Prozesse laufen und welche Mechanismen dabei am Werk sind. Und das ist auch der Ansatzpunkt für Carbocrobe – aus Carbon für Kohlenstoff und Crobe für Microbes oder Mikroben. Das Ziel ist, "den Kohlenstoffkreislauf von der Quelle bis zum Meer nachzuvollziehen", wie Carbocrobe-Leiterin Katrin Attermeyer ausführt. Unterstützung erhält die aus Nordrhein-Westfalen stammende Mikrobiologin dabei derzeit von der Chemikerin Gertraud Steniczka; im Lauf der Zeit sollen noch weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazukommen.

Da die Arbeitsgruppe erst im Mai gegründet wurde, werden aktuell Anträge für Forschungsprojekte vorbereitet. "Die meiste Forschung wurde bisher an gelöstem Kohlenstoff gemacht", sagt Attermeyer, "aber mich interessiert, was mit partikulärem organischem Material passiert." Größere Pflanzenteile und Bodenpartikel, die aus dem Umland in die Gewässer geschwemmt werden, sind erfahrungsgemäß nicht besonders beliebt bei den Mikroben und können sich lange am Grund von Bächen oder Seen halten. Winzige Blattteile oder Algen, die ja selbst eine gute Nahrungsquelle für andere Mikroorganismen sind, sind laut Attermeyer hingegen echte "Hotspots des Kohlenstoffabbaus".

Was Mikroorganismen mögen

Um herauszufinden, "was die Mikroben mögen", plant Attermeyer, künstlich Partikel herzustellen, etwa indem sie Blätter fein zerreibt oder entsprechende Algen züchtet, diese dann in Wasserproben verschiedener Gewässerabschnitte ansetzt und ihren Abbau durch die jeweiligen Mikroorganismen misst und dokumentiert. Aber wie weist man nach, was eine Mikrobe so zu sich nimmt? "Dafür wird der Kohlenstoff in dem fraglichen organischen Material mit stabilen Kohlenstoffisotopen markiert. Die Mikroorganismen bauen das in ihre Biomasse ein, und wir können dann den Weg des Kohlenstoffs verfolgen", erläutert Attermeyer. "So können wir herausfinden, was umgesetzt und was veratmet wird oder was über längere Zeit im Gewässer verbleibt."

Angedacht ist auch eine Erhebung, inwieweit Mikroorganismen zur Entstehung von Methan beitragen. Das Treibhausgas, dessen Wirkung etwa 25-mal so stark ist wie die von Kohlendioxid, entsteht beim Abbau organischer Substanz unter Abwesenheit von Sauerstoff. Solche Verhältnisse können sich schon in den obersten Millimetern des Sediments von Seen und Bächen finden oder, wie Attermeyer erklärt, auch in tiefen Wassersäulen, in denen keine Durchmischung mehr stattfindet.

Einzigartige Versuchsmöglichkeiten

Für alle diese Vorhaben ist der Wassercluster Lunz ein idealer Ort: Nicht nur werden am Lunzer See seit 1921 Daten zu seinem Zustand gesammelt. Das interuniversitäre Zentrum der Universität Wien, der Universität für Bodenkultur Wien und der Donau-Universität Krems zur Erforschung aquatischer Systeme bietet auch eine Menge einzigartiger Versuchsmöglichkeiten, wie beispielsweise die Lunzer Rinnen: Es handelt sich dabei um sechs künstliche Wasserläufe, die je 40 Meter lang und knapp einen halben Meter breit sind und in denen verschiedenste Verhältnisse sozusagen "live" simuliert werden können.

Die Lunzer Rinnen werden auch im Rahmen eines Projekts vorgestellt, das Attermeyer mit ihren Kolleginnen Astrid Harjung, Romana Hödl und Laura Coulson umsetzt: "Finde Lunzi", ein Outreach-Programm für Familien, bei dem der Wasserdrache Lunzi mithilfe verschiedener Tafeln das Forschungsgeschehen am Wassercluster Lunz erklärt. Und damit das auch für Teilnehmer interessant wird, die (noch) nicht so gut oder gern lesen, gibt es parallel dazu einen Geocaching-Pfad. Mit den passenden Antworten auf Fragen zum Lunzer See und seiner Erforschung gelangt man zu den richtigen Koordinaten, und diese führen wiederum zu einem Schatz. (Susanne Strnadl, 12.8.2020)