Am Dienstag sprachen die Behörden von mindestens 200 Verletzen und insgesamt 5.000 Festnahmen.

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Auch für Mittwochabend wurden wieder Proteste erwartet.

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Weil im Land das Internet zensiert wurde, war ein Überblick über die Proteste schwierig.

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In sozialen Medien kursierten etliche Videos von Polizisten, die auf am Boden liegende Demonstranten eintraten und -prügelten.

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Polizisten in Minsk.

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Minsk – Die belarussische Polizei hat offiziellen Angaben zufolge mit scharfer Munition auf Demonstranten geschossen. Dabei habe es sich um einen Einsatz in der Stadt Brest im Südwesten des Landes an der polnischen Grenze gehandelt, teilte das Innenministerium in Minsk am Mittwoch mit. Die Schüsse seien auf Personen abgegeben worden, die mit Metallstangen bewaffnet gewesen seien und Warnschüsse in die Luft ignoriert hätten.

Dabei sei ein Mensch verletzt worden. Weitere Angaben wurden nicht gemacht. Am dritten Tag der andauernden Proteste seien am Dienstag landesweit mehr als 1.000 Menschen festgenommen worden. Bei den Ausschreitungen seien 51 Protestierende und 14 Sicherheitskräfte verletzt worden, teilte das Ministerium mit.

In sozialen Medien gab es in der Nacht auf Mittwoch vor allem aus der Hauptstadt Minsk viele Berichte von schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten. Dabei gingen Sicherheitskräfte immer wieder brutal gegen friedliche Menschen vor. Mehr als 1.000 Personen wurden in der dritten Protestnacht festgenommen, erklärte das Innenministerium am Mittwoch.

Weitere Proteste

Im Nachrichtenkanal Telegram wurden Videos veröffentlicht, die zeigen, wie Uniformierte Zivilisten verprügeln und treten. Für den Abend wurden wieder Proteste erwartet. Die EU erwägt indessen neue Sanktionen gegen das autoritär geführte Land. Am Freitag sollen diese in einer außerplanmäßigen Videokonferenz diskutiert werden, teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch mit.

Mindestens 200 Verletzte

Es war bereits die dritte Protestnacht in Folge nach der Präsidentenwahl vom Sonntag. Die Polizei setzte wieder Blendgranaten und Gummigeschoße gegen Demonstranten ein, wie Videos zeigten. Diese wehrten sich mit Steinen und Flaschen und bauten vereinzelt Barrikaden auf. Explosionen waren zu hören. Am Dienstag sprachen die Behörden von 200 Verletzten, die im Krankenhaus behandelt würden. Am Mittwoch teilte das Innenministerium mit, dass in der dritten Nacht 51 Protestierende und 14 Sicherheitskräfte verletzt wurden.

Nach Einschätzung von Beobachtern gingen die Sicherheitskräfte diesmal härter vor als in den Nächten zuvor. Viele Straßen in Minsk waren abgeriegelt.

Programme gegen Netzsperren auf Telegram

Hunderte Menschen beteiligten sich erneut in mehreren Städten an den Aktionen gegen Wahlfälschung. Ein genauer Überblick war zunächst schwierig, weil es in Belarus wieder erhebliche Probleme mit dem Internet gab. Die Behörden wollen mit dieser Taktik verhindern, dass sich Demonstranten vernetzen. Telegram-Gründer Pawel Durow schrieb auf Twitter, dass Programme gegen Netzsperren aktiviert worden seien, damit Telegram für möglichst viele verfügbar bleibe.

Wie viele Menschen in Polizeigewahrsam kamen, war zunächst unklar. Medien berichteten, dass auch Journalisten festgenommen worden seien. Die Rede war von massiver Gewalt gegen Reporter und Fotografen – auch gegen Journalisten, die in Belarus offiziell akkreditiert sind. Der britische Sender BBC in Russland berichtete, dass ein Filmteam von Sicherheitskräften angegriffen worden sei.

In sozialen Medien kursierten viele Videos, die Polizeigewalt gegen Reporter zeigen.

5.000 bis 6.000 Festnahmen

Die Proteste in dem Land zwischen Russland und dem EU-Mitglied Polen brachen nach Ende der Wahl am Sonntagabend aus. Die Wut vieler Menschen richtet sich gegen Staatschef Lukaschenko, der sich nach 26 Jahren im Amt an seine Macht klammert. Er drohte mehrfach mit dem Einsatz von Militär. Insgesamt wurden mit Stand Dienstag mehr als 5.000 Menschen festgenommen, somit dürfte sich die Gesamtzahl mit den zusätzlichen 1.000 Festnahmen auf 6.000 erhöht haben.

Das Außenministerium in Minsk wies am Abend Kritik aus dem Ausland am Vorgehen des Machtapparats gegen Demonstranten zurück. Die schnellen Erklärungen zahlreicher europäischer Politiker seien absolut inakzeptabel. "Es ist bereits geplant, schicksalhafte Entscheidungen für die Beziehungen unseres Landes mit der EU zu treffen", hieß es der Staatsagentur Belta zufolge.

EU prüft Sanktionen

Die EU kündigte indes an, die Beziehung zu Belarus gründlich zu überprüfen. "Dies könnte unter anderem beinhalten, Maßnahmen gegen jene zu ergreifen, die verantwortlich für die beobachtete Gewalt, ungerechtfertigte Verhaftungen und die Fälschung der Wahlergebnisse sind", sagte der EU-Außenbeauftragte Borrell. Allerdings hatte sein Sprecher zuvor darauf verwiesen, dass für Sanktionsbeschlüsse die Zustimmung aller EU-Mitglieder gebraucht wird. Am Freitag ist dafür eine außerordentliche Videokonferenz anberaumt.

Am Dienstag war die Lukaschenko-Gegnerin Swetlana Tichanowskaja nach Litauen ausgereist. Ihre Mitstreiterin Weronika Zepkalo forderte am Abend den Westen auf, die 37-Jährige als Präsidentin anzuerkennen. "Ich appelliere an die Weltgemeinschaft: Bitte helfen Sie, den Wahnsinn in Belarus zu stoppen."

Maria Kolesnikowa vom Wahlkampfstab Tichanowskajas sagte dem "Spiegel", dass Mitglieder von Wahlkommissionen, die ehrlich ausgezählt hätten, nun unter Druck stünden, ihre Arbeit zu verlieren. "Wir versuchen, neue Jobs für sie zu finden." Derzeit werde auch eine Gruppe Freiwilliger aufgebaut, die nach Menschen suchen sollen, die bei den Protesten verschwunden seien und wohl im Gefängnis säßen. (APA, 12.10.2020)