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Die pittoreske Altstadt Mostars samt der berühmten Brücke zählt zu den Touristenmagneten Bosnien-Herzegowinas. An der politisch heiklen Lage der Stadt ändert dies aber nichts.

Foto: REUTERS/Dado Ruvic

Während zehntausende Touristen jedes Jahr nichtsahnend die schöne Kulisse betrachten, bleibt Mostar eine politisch umkämpfte Stadt. Das letzte Mal wurden in der herzegowinischen Metropole im Jahr 2008 Lokalwahlen abgehalten. Seit Jahren schon hat die Stadt mit 90.000 Einwohnern keine demokratisch legitimierte Vertretung. Anfang Juni unterzeichneten nun die Chefs der bosniakischen SDA und der kroatischen HDZ, Bakir Izetbegović und Dragan Čović, einen Deal, um ein neues Stadtstatut, das zu Wahlen führen kann, zu ermöglichen. Das Parlament hat in der Zwischenzeit bereits das Wahlgesetz geändert.

Die Wahlen in Mostar sind laut der Wahlkommission für den 20. Dezember geplant. Die Stadt ist praktisch seit dem "Krieg im Krieg" – der Auseinandersetzung zwischen der bosnischen Armee und Einheiten der kroatischen Territorialverteidigung HVO – im Jahr 1993 geteilt. Selbst die Krankenversorgung und die Müllentsorgung sind zwischen den beiden Seiten getrennt. Und das wird auch mit dem neuen Wahlgesetz so bleiben. Denn durch den Deal von Anfang Juni wurden die Anliegen der völkischen Nationalisten indirekt bestätigt.

Ein zweiter Deal

Kritisiert wird von vielen, dass die anderen Parteien gar nicht Teil des Abkommens waren. "Nur die zwei größten Parteien haben verhandelt, und neun andere haben gefehlt. Diese neun sind nun natürlich sauer, weil sie meinen: Ihr habt alleine verhandelt, ihr habt wieder die alten Wahlkreise bestätigt, drei links und drei rechts des Neretva-Flusses, drei kroatisch dominierte und drei mit bosniakischer Mehrheit, was soll das?", sagt der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Valentin Inzko, dem STANDARD.

Tatsächlich gab es bei dem Deal zwei politische Abkommen, die miteinander verschränkt wurden. In dem ersten ging es eben um die Abhaltung von Wahlen in Mostar. Das wird allgemein begrüßt. Im zweiten ging es um die Repräsentation der drei Völkern (Serben, Kroaten, Bosniaken) im bosnischen Staatspräsidium und im Haus der Völker, einer Kammer des Parlaments. In den "Deal" zwischen Izetbegović und Čović wurde nun der Begriff "legitime Repräsentation" eingefügt, ein Anliegen der völkisch orientierten HDZ von Čović.

Gerrymandering auf Bosnisch

Čović will, dass nur mehr jene Bosnier, die man in Bosnien-Herzegowina Kroaten nennt, in das Staatspräsidium und in das Haus der Völker gewählt werden können, die aus jenen Kantonen kommen, wo die HDZ stark ist. Damit hofft Čović die schwindende Macht seiner Partei und damit ihre Einkünfte zu sichern. Denn die HDZ, aber auch die SDA von Izetbegović verlieren bei Wahlen seit Jahren Stimmen – und das auf allen Ebenen. Ziel der HDZ ist es demnach, ihren exklusiven politischen Vertretungsanspruch festzuschreiben, den die Verfassung so nicht vorsieht.

So stört es etwa die HDZ immens, dass der Sozialdemokrat Željko Komšić, der zurzeit das kroatische Mitglied des Staatspräsidiums ist, landesweit mehr Stimmen als sie gewinnen kann. Daher strebt die HDZ eine Wahlgebietsreform an, die man in den USA Gerrymandering nennen würde. Gerrymandering steht für die Manipulation von Wahlkreisgrenzen in einem Mehrheitswahlsystem, um die eigenen Erfolgsaussichten zu erhöhen.

Keine europäischen Prinzipien

Die Verbindung zwischen dem Deal rund um die Wahlen in Mostar und der sogenannten legitimen Repräsentanz auf Staatsebene ist grundsätzlich fiktiv. Denn im Fall von Mostar muss der dortige Stadtrat das Stadtstatut ändern, und das hat nichts mit der Staatsebene zu tun.

"Natürlich kann man sagen, dass die Wahlen in Mostar, streng genommen, nichts mit den Wahlen für das Haus der Völker oder dem Staatspräsidium zu tun haben", meint Inzko zu der Causa. "Klar ist aber auch, dass dieser Deal, bei dem es um die 'legitime Repräsentation der Kroaten' ging, es dem Kroatenvertreter Čović erleichtert hat, den Mostar-Deal zu unterschreiben." Inzko stellt allerdings auch fest: "Der zweite Teil des Deals entspricht laut Brüssel nicht den Prinzipien Europas. Es gibt diese Idee der legitimen Repräsentation in Europa grundsätzlich nicht, sondern Bürgerrechte und Freiheiten und deshalb auch die Forderung, das Urteil des Europäischen Menschrechtsgerichtshofs bezüglich Sejdić-Finci umzusetzen", so Inzko.

Bürger versus Völker

Bei "Sejdić-Finci", einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2009, ging es darum, dass die Verfassung von Bosnien-Herzegowina als diskriminierend und nicht im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention beurteilt wurde, weil sie nicht einmal zulässt, dass ein Bürger, der sich nicht den drei konstituierenden Völkern (Serben, Bosniaken und Kroaten) zurechnet, als Kandidat für einen Posten im Staatspräsidium kandidieren darf.

Die Kläger waren zwei Bürger Bosniens und Herzegowinas, der Rom Dervo Sejdić und der Jude Jakob Finci. Diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird seit elf Jahren nicht umgesetzt, denn die minderheitenfeindlichen völkischen Nationalisten in Bosnien-Herzegowina wollen nicht, dass Bürgerkonzepte und die Gleichstellung aller Menschen – jenseits von sogenannter Ethnizität oder Religion – eingeführt werden.

Sejdić-Finci umsetzen

Sie können ihre Macht besser behaupten, wenn Menschen sich weiterhin nach ihrer sogenannten "Volkszugehörigkeit", vor allem nach der Zugehörigkeit zu den konstituierenden Völkern (Bosniaken, Serben, Kroaten), definieren. Die Parteien der völkischen Nationalisten wie die HDZ oder die SDA reden den Bürgern weiterhin ein, sie seien in ihrer Identität bedroht, wenn sie nicht Gruppenloyalitäten vor Individualrechte stellen.

Izetbevogić nannte den Deal für Mostar "nicht die beste Lösung" und meinte, dass er hoffe, dass die nächsten Generationen in Mostar ein Stadtstatut bekommen würden, das sie auch verdienen würden. Er bestand im Rahmen des Deals mit der HDZ auch darauf, dass das Urteil zu Sejdić-Finci umgesetzt wird. Ein diesbezüglicher Gesetzesvorschlag soll bis Ende des Jahres vorliegen, bis Ende 2021 soll das Gesetz dann in Kraft treten.

Geduldig bleiben

Inzko betont wiederum, dass es nötig sein wird, alles noch einmal gut zu überdenken. "Viel Zeit wird noch notwendig sein, denn eine Quadratur des Kreises hat noch niemand zustande gebracht. Man kann schwer gleichzeitig Sejdić-Finci umsetzen, also Bürgerrechte stärken, und die Form der 'legitimen Repräsentation' beibehalten." Denn diese beiden Dinge würden sich grundlegend widersprechen, so der Hohe Repräsentant. Trotzdem müsse man geduldig weiterarbeiten, so wie einst der damalige Erweiterungskommmissar Stefan Füle.

Aber es gibt noch weitere Kritik an dem Deal mit den Ethnonationalisten. Irma Baralija, Vizepräsidentin der liberalen und einzigen wirklich proeuropäischen Fraktion in Bosnien-Herzegowina, genannt "Unsere Partei", meint, die beiden "politischen Führer" Izetbevogić und Čović hätten eher für das Nichtabhalten der Wahlen in den vergangenen Jahren in Mostar zur Rechenschaft gezogen werden müssen, und ihnen hätte nicht erlaubt werden sollen, über das Stadtstatut zu verhandeln.

Institutionen geschwächt

Sie nannte das Treffen der beiden Parteiführer mit dem Chef der EU-Delegation in Bosnien-Herzegowina, Johann Sattler, und den britischen und amerikanischen Botschaftern, Matthew Field und Eric Nelson, "surreal". Denn solche Verhandlungen würden Izetbegović und Čović Legitimität verleihen und sie über die Institutionen des Landes erheben, wodurch die Entscheidung einer der wichtigsten Institutionen – des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – diskreditiert werde.

Tatsächlich geht es langfristig in Bosnien-Herzegowina darum, die richtigen Impulse in Richtung eines gleichberechtigten Staates für alle Bürger – jenseits von sogenannter ethnischer Zugehörigkeit – zu setzen. Doch auch schon in der Vergangenheit haben viele internationale Vermittler in Bosnien-Herzegowina immer wieder mit den sogenannten "politischen Führern" "Deals" außerhalb der Institutionen eingefädelt, obwohl diese "politischen Führer" dazu gar kein Mandat haben.

Kritik an Deal

Kritiker meinen, dass diese Diplomaten dadurch nicht nur die Institutionen untergraben, sondern auch die Demokratie zugunsten jener Elemente, die für das Unterlaufen des Staates mit Parteiinteressen verantwortlich sind. Das gehe auf Kosten des Wohlergehens der Bürger, denn diese "Politdeals" schwächten auch die Motivation, an Wahlen teilzunehmen. Die zuständigen Institutionen, etwa das Parlament, aber auch lokale Politiker wie im Fall von Mostar werden dadurch jedenfalls direkt geschwächt, weil ihre verfassungsmäßige Rolle untergraben wird. Das Stadtstatut etwa kann nur mit einer Zweidrittelmehrheit der Stadträte von Mostar geändert werden.

Viele internationale Vermittler wollen jedoch selbst Erfolge herzeigen und sehen es als zweitrangig an, langfristig und strategisch zu denken, um das Land zu einer modernen Demokratie mit starken Institutionen und einem modernen Rechtsstaat zu machen. "Die Wahlen in Mostar sind nicht das Ergebnis des guten Willens und der Zustimmung des Einzelnen, sondern das unbestreitbare Recht der Bürger von Mostar, das ihnen garantiert werden muss", meint Baralija dazu. (Adelheid Wölfl, 12.8.2020)