Pia "Shurjoka" Scholz zeigt sich regelmäßig beim Gaming auf Twitch. Die 22-jährige Grazerin weist auf der Plattform fast 90.000 Follower auf und zählt somit zu den erfolgreichsten Streamerinnen des Landes.

Foto: Shurjoka

Mit Streaming hat sich die Grazerin Pia "Shurjoka" Scholz eine große Gefolgschaft aufgebaut. Fast 90.000 Follower weist die junge Frau auf Amazons Plattform Twitch auf. Dort tanzt sie gewissermaßen aus der Reihe. Scholz thematisiert neben Gaming nämlich immer wieder gesellschaftliche und politische Themen.

STANDARD: Was steht eigentlich auf Ihrer Visitenkarte?

Scholz: Ich muss gestehen, dass ich gar keine Visitenkarte habe. Ich habe schon länger mit dem Gedanken gespielt, mir eine zuzulegen, aber da in meiner Branche sowieso fast alles online abläuft, gibt man sich einfach die Social-Media-Kanäle und weiß Bescheid.

STANDARD: Wie erklären Sie Ihren Beruf Menschen, die von Twitch und dergleichen noch nie etwas gehört haben?

Scholz: Twitch ist eine Onlineplattform, auf der man zu jeder Uhrzeit kostenlos Videoinhalte schauen kann, die andere produzieren und mit dem Internet teilen. Das Besondere daran ist, dass die Inhalte alle live sind und man mit dem Streamer kommunizieren und interagieren kann. Meistens geht es auf Twitch um Spiele, aber mittlerweile filmen sich Menschen auch beim Kochen, Zeichnen, Trainieren oder führen stundenlang angeregte Diskussionen mit ihren Zuschauern.

STANDARD: Sie sind Variety-Streamerin, spielen also unterschiedliche Games vor der Kamera. Ist es so nicht schwieriger, eine Community aufzubauen?

Scholz: Es ist schwieriger, eine Balance zu finden, in der die Community zufrieden mit den Inhalten ist. Manche Zuschauer folgen mir, weil ich ein Story-Game gespielt habe, andere haben mich zufällig wegen eines Strategiespiels entdeckt, und wieder andere sind auf meinem Kanal hängengeblieben, als ich über politische oder gesellschaftskritische Themen diskutiert habe.

STANDARD: Sie thematisieren immer wieder Sexismus. Wo liegt hierbei die Schwierigkeit?

Scholz: Diese Frage ist unglaublich schwer zu beantworten, denn wenn ich dabei ehrlich bin, verliere ich mit meiner Antwort bei vielen Lesern bereits Gehör, die völlig übersättigt von dem Thema und genervt davon sind, dass "man(n) gar nichts mehr sagen darf und ich auch so eine bin, die völlig überempfindlich auf Komplimente reagiert".

Die größte Challenge für mich besteht also darin, ein sensibles Thema, bei dem es ja meistens eher um das andere Geschlecht geht, so anzubringen und anzubieten, dass auch Männer, die da ja oftmals nicht so gut aussteigen, Interesse dafür entwickeln und darüber diskutieren wollen. Veränderung passiert durch den Diskurs, einer Frau muss ich nicht erklären, was es bedeutet, auf dem Nachhauseweg die Straße zu wechseln, weil ihr eine Gruppe Männer entgegenkommt. Aber einem Mann, der zum Beispiel erzählt, dass Frauen abends in seiner Umgebung oft nervös werden, kann ich versuchen zu erläutern, woran das liegen könnte und wie er das verhindern kann, ohne dass es für ihn oder die Frauen unangenehm ist.

STANDARD: Wie oft erleben Sie selbst Sexismus?

Scholz: Ich werde bei meiner Arbeit tagtäglich Opfer von Sexismus. Das beginnt, wenn man von Kollegen bei Events ganz direkt und ohne Scham auf seine Oberweite angesprochen wird, und endet in massenweisen sexuellen Angeboten bis hin zu D*ck-Picks, also Fotos, wo Männer ihre Genitalien fotografieren, auf Social Media. Erst vergangene Woche wollte jemand über meine Business-E-Mail Informationen zu meinem Beziehungsstatus erfahren. So etwas passiert männlichen Kollegen mit vergleichbarer Reichweite kaum bis gar nicht.

STANDARD: Gibt es in der "Gamer-Community" – wenn es überhaupt so etwas gibt – ein Sexismusproblem?

Scholz: Twitch ist eine männerdominierte Plattform, die zumindest in ihrer ursprünglichen Form für Gamer, also vor allem für Männer, kreiert wurde. Von Jahr zu Jahr finden sich zwar immer mehr Frauen auf der Plattform, Gaming ist heutzutage schon längst keine reine Männersache mehr, aber der Großteil der User ist immer noch männlich, und der meistkonsumierte Inhalt ist männlicher Natur.

Damit wird der allgemeine Konsens vor allem durch Männer definiert, nach außen getragen und beeinflusst vor allem junges Publikum. Wenn mehr über Frauen statt mit Frauen gesprochen wird, dann hat das einen Einfluss auf die Art und Weise, wie man und wahrnimmt und wie wir repräsentiert werden.

Ja, die Gamer-Community hat ein Sexismusproblem, und die erste und größte Hürde wird es, Frauen einen Raum zu schaffen, in dem sie über ihre Erfahrungen, Eindrücke und Gedanken zu dem Thema sprechen können, ohne öffentlich denunziert und degradiert zu werden. Die meisten Frauen, die versuchen, aktiv zu dem Thema zu werden, erfahren unverhältnismäßig viel Hass als Reaktion.

Stellen Sie sich vor, Sie erzählen vor einer Gruppe von Menschen, dass Sie gestern in einer Bar von einem Fremden angefasst wurden und wie unwohl Sie sich damit gefühlt haben, und als Reaktion bekommen Sie Nachrichten mit sexuellen Gewaltandrohungen von Fremden, die Ihnen mehr und schlimmere sexuelle Übergriffe wünschen. In etwa so fühlt es sich an, als Frau in der Gaming-Szene über Sexismus zu sprechen.

STANDARD: Ist es schwieriger oder einfacher, sich als Frau auf Twitch zu behaupten?

Scholz: Ich denke, es ist schwieriger. Das Hauptargument für die "leichte Karriere von Frauen" auf Twitch ist Optik und Sexualität durch weibliche Protagonistinnen, aber dabei wird übersehen dass das einen immensen Rattenschwanz nach sich zieht. Es ist kein Vorteil, wenn die Arbeit und alles was man macht, immer oberflächlich mit meiner Sexualität oder meinem Aussehen assoziiert wird, wenn alles was ich sage oder mache, zuerst einmal optisch beurteilt und kommentiert wird.

Man muss sich immer wieder beweisen, alleine dass man als Frau Spiele mag, wird von vielen bereits angezweifelt und führt zu öffentlichen Anfeindungen. Ich denke, ich muss nicht erklären, inwiefern das problematisch ist, wenn man versucht, Inhalte auf einer Plattform hochzuladen, bei der es sich vor allem um Spiele handelt.

STANDARD: Sehen Sie sich als Vorbild für Ihre Zuschauerinnen oder Zuschauer?

Scholz: Gezwungenerweise ja. Meine Community ist verhältnismäßig älter als ich, die meisten sind zwischen 28 und 34 Jahre alt, und das macht es leichter, als wenn man zum Beispiel Inhalte für Jugendliche produziert. Dennoch habe ich eine gewisse Reichweite und trage damit Verantwortung dafür, was ich sage und tue, und beeinflusse damit direkt oder auch passiv mein Umfeld und eben auch meine Zuschauerinnen und Zuschauer.

STANDARD: Sie äußern sich auch politisch – sehen Sie es als Aufgabe von Streamerinnen und Streamern, dass sie öffentlich Partei ergreifen?

Scholz: Wenn man sich privat nicht mit Politik auseinandersetzt, ist es vermutlich besser, wenn man öffentlich zu politischen Themen schweigt. Dennoch sehe ich eine große Verantwortung bei Menschen mit Reichweite, egal ob diese im Internet oder Fernsehen tätig sind. Ich kann über politische Themen schweigen, aber bin dennoch politisch, wenn ich mir zum Beispiel als Influencer Tiktok runterlade und das mit meinen Followern teile, aber nicht bedenke, was gerade bei den Protesten in Hongkong passiert.

Wie viel Macht in der Reichweite liegt, hat man auch bei dem Protestaufruf rund um "Artikel 13" beziehungsweise "Artikel 17" in Deutschland gesehen, als followerstarke Influencer zu Demonstrationen aufgerufen und damit Massen von jungen Menschen in ganz Europa bewegt haben, für ihre Rechte und Medienfreiheit zu kämpfen. Auch das Schweigen zu einem politischen Thema ist ein Statement, und oftmals nicht das beste.

STANDARD: Nach dem Tod von "Reckful" gab es kurzzeitig Diskussionen über die Mental Health von Twitch-Entertainern. Gehen Ihnen die Kommentare mancher User nahe?

Scholz: Wenn man als Influencer im Internet über "Hate", also Hassnachrichten, spricht, dann bekommt man oft zu hören, dass man sich einen dicken Pelz wachsen lassen soll und dass man damit rechnen muss, wenn man in der Öffentlichkeit steht.

Ich denke, es ist nicht möglich, diesen Pelz so dick werden zu lassen, dass einen wirklich alles völlig kalt lässt. Ich durfte vor zwei Jahren ein Interview für Red Bull geben, in dem über meine Karriere als eine der erfolgreichsten Streamer Österreichs gesprochen wurde, und ich war einfach unglaublich stolz darauf. Der erste Kommentar auf Facebook darunter hat mich beleidigt und erklärt, dass ich den Erfolg nicht verdient hätte, weil ich eine Frau bin und Frauen ja sowieso alles geschenkt bekommen.

Das hat mich unglaublich erschüttert und fertiggemacht, weil es unendlich ungerecht war, das lesen zu müssen, und mir bewusst geworden ist, dass das einfach die Meinung dieser Person widerspiegelt und, egal wie unfundiert und persönlich sie sein mag, ich absolut nichts dagegen tun kann.

STANDARD: Microsoft wollte mit Mixer Twitch herausfordern – haben Sie schon einmal über einen Plattformwechsel nachgedacht?

Scholz: Nein. In meinen Augen gibt es derzeit keine Plattform, die es mit Twitch aufnehmen kann. Youtube ist für manche eine gute Alternative, wenn man dort schon eine große Community aufgebaut hat, aber für mich dennoch völlig uninteressant.

STANDARD: Haben Sie einen Plan B abseits Ihrer Karriere als Streamerin?

Scholz: Ich schreibe derzeit an meinem ersten Roman. Mein erster Berufswunsch als Jugendliche war es, Schriftstellerin zu werden, und ich erhoffe mir, das mit der Reichweite, die ich mir aufgebaut habe, ermöglichen zu können. Sollten alle Stricke reißen, würde ich mich wohl am ehesten in der Krankenpflegeschule wiederfinden.

STANDARD: Zuletzt noch: Wo werden Twitch und Co in fünf Jahren stehen, und was wird Ihre Rolle dabei sein?

Scholz: Plattformen wie Twitch, aber auch Youtube, Tiktok und vergleichbare Seiten werden Stück für Stück die Unterhaltungsbranche verändern und zukünftig noch mehr Einfluss auf unsere Gesellschaft nehmen. Dabei ist es letztendlich egal, welcher dieser Konzerne in fünf Jahren noch da ist.

Fünf Jahre im Internet sind wie 25 Jahre in der analogen Welt, es ist unglaublich schwer vorherzusehen, wohin die Reise geht, und wir können nur spekulieren. Ich hoffe, dass ich dann noch immer als Streamerin auf Twitch tätig sein werde, aber ich denke, ich werde mich überraschen lassen müssen. (Daniel Koller, 16.8.2020)