In "Lovecraft Country" wird für sie auch ein idyllisches Diner schnell zur Hölle (von links): Courtney B. Vance, Jonathan Majors und Jurnee Smollett.

Foto: Home Box Office, Inc.

Es raschelt im Gebüsch. Das Grauen kommt allerdings vorerst nicht aus dem Dunkel des Waldes. Von den drei schwarzen Reisenden, die eine Pause am Straßenrand machen, nicht gleich bemerkt, hat sich ein Polizeiauto genähert. Wir befinden uns in den USA der 1950er-Jahre. Die Jim-Crow-Gesetze geben dem Polizisten die Mittel in die Hand, eine Falle zu stellen, der kaum zu entkommen ist. Die vieläugigen Monster, die wenig später auftauchen, sind kaum schrecklicher als der grassierende Rassismus, mit dem das Trio Tag für Tag konfrontiert ist.

Sozialkritik und Horror

Fantastischer und ganz realer Horor geben sich in der Horror-Mystery-Serie Lovecraft Country die Hand. Die afroamerikanische Autorin, Produzentin und Showrunnerin Misha Green (Underground) hat dafür den gleichnamigen Roman von Matt Ruff für HBO adaptiert, zu sehen ab Montag auf Sky. Sie trifft damit einen Nerv, der mit der Black-Lives-Matter-Bewegung verstärkt ins Bewusstsein gerückt ist. Wie gut Sozialkritik und schwarzer Horrorfilm zusammengehen, hat zuletzt Jordan Peele mit seinen Filmen Get Out und Us vorgeführt. Der Filmemacher ist bei Lovecraft Country wie auch Star Trek- und Star Wars-Regisseur J. J. Abrams als einer der ausführenden Produzenten mit an Bord.

Im Fokus steht Atticus Black (Jonathan Majors), ein junger Koreakriegsveteran und Science-Fiction-Fan, der sich auf die Suche nach seinem verschwundenen Vater macht. Begleitet wird er von seiner Jugendfreundin Leti (Jurnee Smollett) und seinem belesenen Onkel George (Courtney B. Vance), Herausgeber des The Safe Negro Travel Guide. Die fiktive Version von Victor Hugo Greens echtem The Negro Motorist Green Book schützt indessen weder vor einer Verschwörung weißer Suprematisten, der die Reisegesellschaft bald auf die Spur kommt, noch vor schleimigen Monstern, die einem Roman H. P. Lovecrafts entsprungen sein könnten.

Lovecraft Country spielt nicht nur im Titel und mit der anfänglichen Reise durch Neuengland auf den Pionier fantastischer Horrorliteratur an. Auch dessen expliziter Rassismus wird so beiläufig wie klug thematisiert.

Geisterhaus und Indiana Jones

Die Folgen sind ähnlich den Geschichten der Romanvorlage durch einen roten Faden miteinander verbunden, funktionieren aber auch unabhängig voneinander. Genreversatzstücke und popkulturelle Referenzen werden bunt durcheinandergewirbelt, die einzelnen Episoden weisen dennoch immer eine ganz eigene Grundstimmung auf. So wird der Alltagsrassismus in Chicago als Geisterhausgeschichte fühlbar gemacht, ein anderes Mal dominieren Science-Fiction-Storys, oder es steht eine Folge lang Indiana Jones Pate. Zu perfekt exekutierten Verfolgungsjagden, Jump Scares und blutigen Einlagen gesellen sich Einflechtungen wie eine Originaltonaufnahme des afroamerikanischen Autors James Baldwin.

Trailer zu "Lovecraft Country".
HBO

Einen Höhepunkt erreicht diese Strategie in der fünften, von Queer-Film-Ikone Cheryl Dunye (The Watermelon Men) inszenierten Folge, in der mit Body-Horror-Konventionen auf überzeugende Weise von Geschlechteridentität und Rassismus erzählt wird. Ein rätselhafter Charakter wie Atticus’ verhärmter Vater Montrose (Michael K. Williams) gewinnt dabei ungeahnte Tiefe.

Lovecraft Country ist noch vor Horror- und Abenteuergeschichte vor allem ein Familiendrama. Das einst von Illustratoren wie Norman Rockwell beschworene US-Idyll der 1950er-Jahre verkehrt sich hier allerdings in sein Gegenteil. Wenn eine Schlange afroamerikanischer Bürger unter einer Plakatwerbung jener Zeit mit der Aufschrift "There’s no way like the american way" warten muss, sind die Rollen klar zu ihrem Nachteil verteilt.

Rhythm and Blues

Neben der Liebe zum Detail und einem gewinnenden Cast, allen voran Jurnee Smollett als selbstbewusste Leti, ist es ein stimmiger Musikmix, der Lovecraft Country zum Vergnügen macht. Live in Clubs gespielte Musik geht perfekt mit klassischem und heutigem Rhythm and Blues zusammen. Wenn Leti gegen die rassistische Nachbarschaft mit einem Baseballschläger zu Dorinda Clark-Coles Take It Back zu Felde zieht, ist das ebenso großartig wie eine berührende Abschiedsszene zu Gil Scott-Herons Whitey On the Moon. Das liegt nicht zuletzt daran, dass hier Menschen Rollen zugestanden werden, von denen sie auch genrebedingt lange ausgeschlossen waren. (Karl Gedlicka, 13.8.2020)