Im siebenten Wiener Gemeindebezirk ist – zumindest auf Zeit – eine neue Begegnungszone für Bürger geschaffen worden. Das Areal des ehemaligen Sophienspitals ist nun öffentlich zugänglich.

Foto: Robert Newald

Am Nachmittag ist im Areal des ehemaligen Sophienspitals noch wenig los, erst nach und nach füllt sich das Gelände mit Gästen. Das ist neu. Seit der Schließung des Krankenhauses im Herbst 2017 diente die Fläche zwischen dem Neubaugürtel und der Kaiserstraße teils als Notquartier für Obdachlose, seit heuer wird das Areal vielseitiger genützt. "West" nennt sich die Initiative, die hier bis zum Bau von 180 geförderten Wohnungen die leerstehenden Räume nützt. Der Platz ist – gerade in Corona-Zeiten – eine willkommene Abwechslung im dicht besiedelten siebten Bezirk.

Auf rund 4.000 Quadratmetern wurde Platz für Büros, Veranstaltungen, Gastronomie und temporären Wohnraum geschaffen. Zwischen Bäumen werden Getränke angeboten, Food-Trucks versorgen Besucher mit Essen. An Wochenenden finden Flohmärkte statt.

Das ehemalige Sophienspital wurde zu neuem Leben erweckt.
Foto: Robert Newald

"Die Idee ist super", sagt eine junge Frau, die auf einem der niedrigen Tische sitzt. In Wien gebe es viel ungenützten Raum, sagt sie. "Ich würde mir mehr vom Gleichen wünschen." Die Frau arbeitet bei einer der rund 30 Institutionen, die sich in den zuletzt freistehenden Räumen vorübergehend angesiedelt haben.

"Die Idee war, möglichst viele Gruppen auf das Areal zu bringen", erzählt Clemens Kopetzky von der Agentur art:phalanx, die die Zwischennutzung im Auftrag des Wiener Wohnfonds koordiniert. Neben Kunst- und Kulturschaffenden finden urbane Gärtner, NGOs oder ein freies Radio hier temporäre Arbeitsplätze. Im Herbst findet zudem die Internationale Bauausstellung in den Räumlichkeiten statt. Das Angebot werde gut angenommen, sagt Kopetzky. Vorerst ist der Vertrag für die Zwischennutzung bis Jahresende befristet, die Organisatoren hoffen allerdings auf eine Verlängerung.

Projekte wie dieses seien oft eine "mission impossible", sagt Kopetzky. In Wien seien zumeist zahlreiche Magistratsabteilungen eingebunden, der Prozess bis zur Verwirklichung oft langwierig. Insgesamt gebe es in den Grätzeln aber durchaus mehr Bewegung als noch vor einigen Jahren. Das bestätigt auch David Kreytenberg, der die kulinarische Ausgestaltung des Innenhofs verantwortet. Wer möchte, kann hier Langos, Arepas oder Apfelkuchen bestellen, Konsumzwang herrscht hier keiner.

Festgefahrene Strukturen

Der Gastronom hat schon in der Vergangenheit ähnliche Projekte durchgeführt. Auch er erzählt, dass die Strukturen zur Nutzung freistehender Flächen in Wien "ein bisschen festgefahren" seien. In Berlin oder Hamburg sei es beispielsweise wesentlich einfacher, temporäre Food-Trucks zu installieren. "Man muss einfach gute Konzepte liefern", fasst er zusammen. Die Gastrobetriebe im West würden jedenfalls gut laufen, sagt Kreytenberg. Bis sich die neue Oase herumgesprochen hat, habe es allerdings ein wenig Zeit gebraucht.

Insgesamt dürfte die Corona-Krise die Sehnsucht der Wiener nach mehr Platz verstärkt haben. Die Nutzung und Inanspruchnahme des öffentlichen Raums steigt allerdings schon seit Jahren, erzählt Erich Streichsbier von der MA 19, die für Architektur und Stadtgestaltung zuständig ist. Als Ursachen für den schleichenden Sinneswandel nennt er die sich verändernde Demografie, das Wachstum der Stadt und die Zunahme der Hitzetage. "Dadurch wird der öffentliche Raum quasi zum verlängerten Wohnzimmer."

Auf dem Areal des ehemaligen Sophienspitals ist durchaus eigenwilliges Mobiliar zu finden.
Foto: Robert Newald

Während Gastronomen ihre Schanigarten-Träume verwirklichen wollen, versuchen Bürger durch Initiativen ihre Grätzel lebenswerter zu gestalten. Dass der Bürokratiedschungel dabei nicht immer überschaubar ist, sei der Stadt Wien durchaus bewusst, meint Streichsbier. Künftig sollen Ansuchen zur Nutzung des öffentlichen Raums jedenfalls einfacher gestaltet werden und online abzuwickeln sein.

Wichtig sei dabei jedenfalls, dass Anrainer bei den Projekten möglichst miteinbezogen werden, sagt der MA-19-Referent. Auch Gruppen, die sonst kaum eine Stimme haben, sollen dabei zu Wort kommen. "Wir leben als Planer nicht in dem Grätzel, deshalb wollen wir uns das Wissen vor Ort holen." Bei der Neugestaltung des Reumannplatzes oder der Rotenturmstraße seien Vorschläge aus Workshops mit Bewohnern eingeflossen, zählt der Stadtplaner auf.

Oasen auf den Straßen

Auf die Ideen der Bewohner kommt es auch bei sogenannten "Parklets" an. Dabei handelt es sich um öffentliche Sitzecken oder Spielwiesen, die von Bürgern gestaltet werden. Hinter dem Projekt steht der Verein "Lokale Agenda 21", der von der Stadt Wien finanziert wird. Geschäftsführerin Andrea Binder-Zehetner ist überzeugt: "Wir brauchen mehr Freiraum in der Stadt." Hier sollen die Grätzeloasen nachhelfen und Begegnungszonen in der Nachbarschaft kreieren.

Dieses "Parklet" wurde in Berlin fotografiert. Optisch sehen jene in Wien teilweise durchaus ähnlich aus.
Foto: Imago

Eine dieser Oasen gibt es in der Kandlgasse unweit vom West. Dort, wo früher einmal Parkplätze waren, befindet sich jetzt ein Kunstrasen; Sitzbänke und ein Tisch laden zum Verweilen ein. Darüber hinaus werden zwischen Tomatenpflanzen, Sonnenblumen und Gartenzwergen Workshops angeboten.

Wer eine solche Oase vor seiner Haustüre wissen will, muss selbst Hand anlegen. Die Anmeldung erfolgt online, die Kosten für den Bau werden übernommen. Das Interesse ist groß, sagt Binder-Zehetner: 2015 gab es erst drei Parklets, mittlerweile ist die Zahl auf 70 gestiegen. Auch das zeigt die Lust der Wiener, die Stadt selbst mitzugestalten. (Nora Laufer, 13.8.2020)