Ihre Netzhaut könnte Tauben gleich zu zwei Sinnen verhelfen.

Foto: EPA/HARISH TYAGI

Seit Jahrzehnten sind Forscher auf der Suche nach der biologischen Basis des beeindruckenden Orientierungssinnes von Vögeln. Wissenschafter des Forschungsinstituts für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien haben nun bei Tauben eine neuen heiße Spur entdeckt, die die Magnetfeld-Orientierung der Vögel erklären könnte. Die Ergebnisse sind im "Science Advances" erschienen.

Das Team um David Keays vom IMP untersuchte ein sogenanntes Cryptochrom. Das ist eine Protein-Gruppe, die als Rezeptor für Licht fungiert und bei Pflanzen und Tieren daran beteiligt ist, den Tag-Nacht-Rhythmus zu steuern. Keays und Kollegen stellten sich im Rahmen ihrer Studie die Frage, ob ein Cryptochrom namens CRY4 nicht nur als Blaulicht-Rezeptor, sondern auch als eine Art lichtabhängiger Kompass im Auge der Vögel fungieren könnte.

Interaktion mit Licht

Neben Annahmen, dass die Basis des Magnetsinnes etwa in Eisenkristallen liegt, die an Zellen gebunden sind, die wiederum deren durch Magnetveränderungen ausgelöste Bewegungen detektieren, oder Ansätzen, die die Orientierungsfähigkeit mit der Bewegung von Flüssigkeiten im Innenohr in Zusammenhang bringen, gibt es auch das Konzept des Radikalpaarmechanismus. Die Idee eines derartigen Magnetdetektors, der auf Licht beruht, steht schon seit einigen Jahren im Raum, denn es gibt Beobachtungen, wonach manchen Zugvögeln ihr präziser Orientierungssinn in der Dunkelheit bzw. beim Fehlen bestimmter Lichtanteile abhandenkommt.

Der Radikalpaarmechanismus beruht auf einem Effekt aus der Quantenmechanik. Dabei entstehen in bestimmten Molekülen durch die Interaktion mit Licht Elektronen, die nicht wie sonst üblich ein anderes Elektron als Partner haben. Miteinander quantenmechanisch verschränkte Paare solcher freien Elektronen (Radikale) könnten als Magnetsensor fungieren, indem die Veränderung ihrer gemeinsamen elektromagnetischen Ausrichtung (Spin) auch von einem schwachen äußeren Magnetfeld beeinflusst wird. Über eine Vielzahl an derartigen Molekülen hinweg, könnten diese minimalen Abweichungen in ein biologisches Signal umgewandelt werden, das den Tieren die Wahrnehmung des Magnetfeldes der Erde erlaubt.

Fund in der Netzhaut

In ihrer Untersuchung konnten die Wissenschafter zeigen, dass sich in CRY4 unter dem Einfluss von Licht tatsächlich derartige Radikal-Paare bilden. In der Folge suchten sie nach möglichen Wegen, wie die auf Quanteneffekten basierenden Signale weiterverarbeitet werden könnten. Dabei stellte sich heraus, dass die Cryptochrome auf einer äußeren, aus Nervenzellenverbindungen bestehenden Schicht der Netzhaut, zahlreich vertreten sind.

Keays und Kollegen fanden auch weitere Proteine, mit denen CRY4 interagieren kann. Hieraus könnte sich ein Ansatzpunkt dahingehend ergeben, wie die Magnetfeld-Wahrnehmung in ein neuronales Signal übersetzt wird. Bei CRY4 könne es sich tatsächlich um jenes "mysteriöse Molekül" handeln, nach dem seit der Entdeckung des Magnetsinnes vor rund 50 Jahren gesucht wurde, so Keays. (APA, red, 13.8.2020)