In Hirm war die Bankfiliale auch sozialer Treffpunkt. Nun gibt es nicht einmal mehr einen Bankomaten.

Foto: Weisgram

Hirm ist ein 1.000-Einwohner-Dorf im Bezirk Mattersburg. Eine rote Hochburg seit je, denn Hirm ist eine traditionsreiche Industriegemeinde. Seit 2007 ist Inge Posch-Gruska Bürgermeisterin. Jetzt, in ihrem 13. Amtsjahr, erlebt sie gerade die schwersten Tage. "Ich hab mich bemüht, mir die eigene Fassungslosigkeit nicht allzu sehr anmerken zu lassen." Erst musste sie die fassungs- und ratlosen Bürger beruhigen. Verzweifelte waren darunter. Und Enttäuschte sowieso.

Der Bezirk Mattersburg setzt sich zusammen aus 19 Gemeinden. In neun war eine Filiale der Commerzialbank. Hirm war eine davon. Aber hier war auch der Bankchef mit seiner Familie zu Hause. Das ist wie strafverschärfend.

"Auch die Leute hinterm Schalter waren Bekannte", sagt eine Frau, die gerade aus der Bäckerei kommt. Neben der Bäckerei ist das Gemeindeamt. Auf der anderen Seite die Bank. Deren Garten hat der Bankchef allgemein zugänglich gemacht.

Nicht bloß eine Bank

In acht der neun Standortgemeinden war die Commerzialbank nicht bloß eine Bank. Sondern die einzige. Nachdem zu Beginn des Jahrtausends schon die Gendarmerie und die Post verschwunden waren aus den Dörfern, reduzierte der Kostendruck auch die Bankfilialen. Vor allem die älteren, wenig mobilen Menschen litten und leiden unter der Verödung. In Hirm schloss schließlich das Wirtshaus. Die Gemeinde half, hier wenigstens einen Nahversorger unterzubringen. Der Bankchef hatte auch für so etwas immer ein offenes Ohr.

Inge Posch-Gruska, 2018 Bundesratspräsidentin, muss nun eine ungewisse Zukunft managen. 350.000 Euro lagen auf dem Gemeindekonto. Das ist zur Gänze weg. Gemeinden werden ja nicht von der Einlagensicherung erfasst. Das ist eine der vielen bitteren Lehren des Desasters.

Gemeinsam mit der Bank hatte Hirm eine Bau- und Errichtungsgesellschaft betrieben. "49 Prozent gehörten der Bank, wir hatten 51 Prozent." Zweck war es, eine neue Siedlung zu erschließen. "Einige Hausplätze waren schon verkauft." Rund 620.000 Euro lagen auf dem Gesellschaftskonto. Da greift wenigstens die Einlagensicherung. Aber 520.000 sind auch hier in die Luft gegangen.

Die Aufschließung wird verschoben. So wie die Kanalsanierung, Investitionen in die Schule, ein paar längst schon geplante Ortsbildverschönerungen. "Da müssen wir jetzt einmal abwarten."

Hirm ist nur ein Beispiel. Die Explosion der Bank hat eine ganze Region schwer verwundet. Die umherfliegenden Splitter trafen Unternehmen, Sparer, Anleger. Aber eben auch Gemeinden. Und die Kommunen – die bedeutendsten regionalen Investoren – multiplizieren die Malaise noch. Die Bank hat damit nicht nur unmittelbaren Schaden angerichtet. Sondern – mag sogar sein, das ist schlimmer – einen mentalen. Eine Region ist gerade im Begriff, ihre Perspektive zu verlieren.

Totalverluste

Der unmittelbaren Schaden für die Gemeinden wird aktuell auf insgesamt sechs Millionen Euro geschätzt. Zu den neun Mattersburger Standorten kommen noch Großhöflein im Nachbarbezirk Eisenstadt-Umgebung mit einem Verlust von knapp 200.000. Und das niederösterreichische Schwarzenbach, das seine gesamten Rücklagen verloren hat. 435.000 Euro auf drei Sparbüchern. Gewidmet drei konkreten Investitionen.

Zahlreiche kommunale Projekte liegen nun auf Eis. In Loipersbach, wo 1,5 Millionen verbrannten, wurden schon anlaufende Asphaltierungsarbeiten gestoppt. Schattendorf muss auf die Sanierung des Bades verzichten. Auch Forchtenstein, Pajngrt/Baumgarten, Rasporak/Draßburg, Zemendorf und Krensdorf haben ihre Investitionen vorerst einmal vergessen müssen.

Ungewisse Zukunft

Wie es weitergeht, ist ungewiss. Das Land hat Soforthilfe zugesagt. Die aber gilt dem Allernotwendigsten, etwa Gehältern von Gemeindearbeitern. Für den Rest lädt man die Gemeinden ein, mit auf den Rechtsweg einer Amtshaftungsklage gegen die Republik zu gehen.

Mattersburgs Bürgermeisterin Ingrid Salamon beklagt keinen finanziellen Schaden. Die Stadt ist auf viele Jahre hinaus dennoch ruiniert. Das geplante neue Stadtzentrum auf Bankgrund ist eine knapp hektargroße Baubrache. Der Florianihof, das einzige Hotel der Stadt, hat Konkurs angemeldet und ist in der Bankmasse verschwunden. Das Hotelrestaurant war zugleich das letzte verbliebene Wirtshaus der 8.000-Einwohner-Stadt. Das Stadion steht verwaist. Für die Fußballakademie bemüht man sich um Nachfolgekonzepte. Schlüssige waren noch nicht darunter. Eine Fußballakademie wird es nicht mehr sein können. Zwar hat sich schon ein MSV 2020 für den verschwundenen SVM 1922 gegründet, aber der kümmert sich jetzt einmal nur um den Nachwuchs.

Irgendwann, ganz gewiss, wird es auch wieder Erwachsenenfußball geben in Mattersburg. Dann wird man ein Derby spielen gegen Hirm. Der ASK Hirm spielt in der Schutzgruppe, in Burgenlands zweiter Klasse Mitte. In den Vor-Akademie-Zeiten trugen hier eine Zeitlang sogar die Mattersburg Amateure ihre Heimspiele aus.

Kein Bankomat mehr

Inge Posch-Gruska weiß wohl, dass und wie wichtig ein gscheiter Fußballverein fürs Dorfleben ist. Im Moment geht es allerdings um die sogenannten Basics. Zum Beispiel den Bankomaten. Da gibt es nämlich plötzlich keinen mehr in Hirm.

Und so mancher, der jetzt anklopft, weil er diesbezüglich zu Diensten sein will, erinnert die Bürgermeisterin durchaus nicht bloß vage an Leichenfledderer. "Einer ist gekommen und hat gesagt, er will 50 Cent pro Abhebung. Den hab ich gleich hinauskomplimentiert. Bevor noch was passiert." (Wolfgang Weisgram, 13.8.2020)