Die Wiener Hasnerstraße in Ottakring wurde 2019 von der grünen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein zur ersten "Coolen Straße" umfunktioniert. Heuer gibt es 22 – vier davon bleiben auch nach dem Sommer.

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Zumindest in der Stadt Wien ist es in den vergangenen Monaten zum Mode- für die einen und zum Unwort für die anderen geworden: Pop-up-Projekte – temporäre Aktionen, die nicht von Dauer sind.

Sommer 2019: Hitzewelle – und keine Abkühlung in Sicht. Die grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein präsentiert ihr erstes großes Pop-up-Projekt, das jedoch noch nicht so betitelt wird. Die temporären "Coolen Straßen" sprießen aus den asphaltierten Fahrbahnen. Sie sollen den Wienern Abkühlung bringen. Auf den Straßen wird Kunstrasen über die Spuren gerollt, Sprühnebelduschen werden geschaffen und Sitzgelegenheiten aufgestellt. Hebein hantiert bei der Eröffnung in der zu kühlenden Hasnerstraße in Ottakring für Fotos mit Topfpflanzen. Platz für Anwohner, nicht für Autos, so die Devise.

Kein Jahr später folgt ein Revival des Projekts. Im Juni werden 22 vorerst temporäre Abkühlungszonen geschaffen. Im sechsten Wiener Gemeindebezirk Mariahilf ist seit Donnerstag der erste "Coolspot" der Stadt geöffnet. Durch die Neugestaltung des Esterhazyparks mit vielen Bäumen, Pflanzen, Sprühnebel aus allen Richtungen und Wasserfontänen soll die Temperatur in der Umgebung um bis zu sechs Grad abgesenkt werden.

Projekte poppen auf

Im Frühling, mitten in der Corona-Krise, entstehen Pop-up-Radwege: Eine Spur auf meist stark befahrenen Verkehrsadern wird für Autos gesperrt und Radlern zur Verfügung gestellt. Nach der Praterstraße werden weitere Fahrbahnen zu Radwegen umfunktioniert. "Um den Platz fair zu verteilen, setzen Städte weltweit gerade auf Pop-up-Bikelanes", schreibt Hebein auf Facebook. Mit einem ähnlichen Argument werden beinahe gleichzeitig temporäre Begegnungszonen errichtet.

Beim jüngsten großen Pop-up-Projekt handelt es sich um rot-grüne Gemeinschaftsarbeit zwischen siebten und 15. Bezirk: ein Swimmingpool am Gürtel. Die SPÖ hält sich, wohl mit Blick auf ihre Stammwählerschaft, kommunikativ zu diesen Pop-up-Projekten eher zurück. Denn diese, das zeigen Befragungen der Partei, kann etwa mit den temporären Radwegen kaum etwas anfangen. Laut einer roten Umfrage bezeichnen 58 Prozent der Befragten, die bei der Wien-Wahl im Oktober SPÖ wählen wollen, Pop-up-Radwege auf mehrspurigen Straßen als "sehr schlechte" oder "eher schlechte" Idee. 29 Prozent befinden die Idee für "sehr gut" oder "eher gut".

Und so spricht die SPÖ auch über die rote Beteiligung am Poolprojekt eher zurückhaltend.

Kein Verständnis von Opposition

Bei der Opposition kommen weder Begriff noch Projekte gut an. Die ÖVP beschwert sich über "rot-grüne Pop-up-Politik", die das gesamte Wirken der Stadtregierung betreffe, die FPÖ demonstriert gar gegen die temporären Radwege. Die Corona-Krise dürfe nicht für "ideologische Planspiele und Schnellschüsse" herhalten, erklärt der türkise Verkehrssprecher Manfred Juraczka.

Für die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle ist es verwunderlich, dass der Begriff Pop-up Einzug in die Politik hält. Er würde vor allem mit Start-up- und Kreativszene assoziiert: "Eigentlich müsste sich gerade die Politik gegen den Begriff wehren. Er symbolisiert Kurzfristigkeit: etwas, das man im Wahlkampf verspricht und das dann wieder verschwindet."

Der Begriff Pop-up wurde bisher vor allem für Projekte verwendet, die mit den Grünen assoziiert werden. Ein neuer Anstrich für herkömmliche Aktionen?

Ja, meint Stainer-Hämmerle: Auch Dinge wie die Gastro-Gutscheinaktion, die der rote Bürgermeister Michael Ludwig initiiert hat, könne man unter Pop-up verbuchen, laufe aber unter dem Titel Wahlkampf. Unklug seien die aktuellen Projekte aus Sicht der Grünen jedenfalls nicht, sagt Stainer-Hämmerle. Denn für ein junges, urbanes Publikum funktioniere das als Reizwort. Auch in sozialen Netzwerken mache sich der Begriff gut, Medien springen darauf auf. Und auch die Aktionen selbst kämen beim Zielpublikum gut an; es handele sich um Dinge, die Spaß machen – gleichzeitig aber auch um Projekte, die "niemandem groß wehtun".

Nicht das Klientel

Aufregung unter Autofahrern könnten sich die Grünen aber sogar leisten. Ein passionierter Lenker wählt sie sowieso eher weniger. Mit einem Ergebnis von 11,8 Prozent bei der vergangenen Wahl im Jahr 2015 ist es für die Grünen als Kleinpartei unproblematisch aufzuregen.

Ein Zahlenspiel: Wenn 80 Prozent aller Wiener sich gegen die Gürtel-Oase aussprächen, wären noch immer mehr dafür, als die Grünen Wähler haben. Die SPÖ jedoch muss mit 39,6 Prozent weitaus mehr Interessen gleichzeitig befrieden.

Eine nachhaltige Diskussion über einen Systemwandel und generelle Neuausrichtungen breche man laut Steiner-Hämmerle mit Pop-up-Projekten trotzdem nicht vom Zaun.

Spielwiese für später

Die Verantwortlichen argumentieren hingegen mit Denkoptionen, die durch diese Spielwiesen eröffnet werden können: "Die Gürtelfrische zeigt, wie schnell sich öffentlicher Raum verändern kann", sagt Hebein. Und der Büroleiter vom grünen Bezirk Neubau erklärt auf Facebook, worum es beim Schwimmbad am Gürtel eigentlich geht: "Wir wollen in erster Linie die verkehrlichen und raumplanerischen Auswirkungen einer Komplettsperre abtesten." Schließlich würden genau an dieser Stelle künftig Anpassungen notwendig sein.

Um neue Ideen auszuprobieren, sind temporäre Umgestaltungen ein gutes Werkzeug: Kommen sie in der Bevölkerung gut an, dürfen sie bleiben. So entstanden die "Coolen Straßen Plus". Vier der 22 Kühlzonen, die in Margareten, Rudolfsheim-Fünfhaus, Penzing und Floridsdorf liegen, bleiben auf Dauer.

Andere Pop-ups, die keinen oder nur geringen Zulauf finden, verschwinden hingegen wieder, ohne groß Aufregung zu erzeugen oder als gescheitert zu gelten – schließlich waren sie von Beginn an nur temporär geplant. (Vanessa Gaigg, Oona Kroisleitner, 13.8.2020)