Yussuf spielt am liebsten zu Mark. Der lauert meistens vorne, vor Leons Tor. Hinten wartet Luka, weil Deniz ein schlechterer Goalie ist. Luis steht fast die ganze Zeit nur herum, er schaut Mohammed, Samuel und dem großen Bruder von Deniz beim Basketballspielen zu. Später, wenn die älteren Burschen mit der Arbeit fertig sind, kommt es zum Wechsel, dann übernehmen sie das Feld.

Auf dem Hofferplatz in Ottakring wird gekickt. Die Sportkäfige sind eine Wiener Institution.
Foto: Newald

So ähnlich spielt es sich in den meisten der über 200 Wiener Sportkäfige ab. Die Namen sind austauschbar, das Geschlecht nicht. Mädchen und junge Frauen nutzen noch immer deutlich seltener die öffentlichen Sportstätten als Burschen. Ausnahmen bestätigen die Regel, die Regel soll aber nicht zum unüberwindbaren Gesetz werden. In Wien gibt es seit 20 Jahren Maßnahmen, die den öffentlichen Raum in Parks, Spielplätzen und Sportstätten attraktivieren sollen. Gender-Mainstreaming ist ein eigener Punkt im Leitbild der Wiener Parks. Das klingt sperrig, heißt aber nichts anderes, als dass sich "Mädchen und andere durchsetzungsschwächere Gruppen den Raum aneignen können sollen", wird dort erklärt.

Claudia Prinz-Brandenburg ist Stadtplanerin und war um die Jahrtausendwende daran beteiligt, das Thema Geschlechtergerechtigkeit im Bewusstsein der Stadtplanung zu verankern: "Wenn man sich nicht darum kümmert, setzen sich die offensivsten Gruppen durch, es herrscht das Recht der Stärkeren – und das sind meist die älteren Buben.""

Voraussetzungen

Die Stadtplanerin Claudia Prinz-Brandenburg hat mitgeholfen, das Thema Geschlechtergerechtigkeit im Bewusstsein der Stadtplanung zu verankern.

Wie kann man also Mädchen in die Parks und die Ballspielkäfige bringen? "Die Stadtplanung schafft die räumlichen Voraussetzungen. Es braucht aber auch das Zusammenspiel mit Begleitung und Betreuung, also Jugendarbeit der Wiener Parkbetreuung, um gewohnte Verhaltensweisen aufzulockern und zu verändern", sagt Prinz-Brandenburg. Bei den Sportstätten und auch den Parks geht es um eine ausreichende Beleuchtung, gute öffentliche Anbindung, Übersichtlichkeit. Außerdem sollten die Ballspielkäfige möglichst offen gestaltet werden, mehrere Eingänge haben und so gegliedert sein, dass unterschiedliche Gruppen gleichzeitig spielen können.

Prinz-Brandenburg geht noch weiter: "Erhöhte Aufenthaltsbereiche am Rand von Spielflächen können den Mädchen als Bühne und Treffpunkt dienen. Dort können sie besser beobachten und schnappen sich selber schneller einen Ball und spielen eine Runde."

Kein Entweder-oder

Dabei heißt es nicht entweder Buben oder Mädchen. "Im Optimalfall ist es ein Miteinander", sagt Renate Kraft. Die Fachreferentin der MA 13 (Bildung und Jugend) beschäftigt sich selbst seit den 1970ern mit dem Thema. "Die aktuelle Situation ist besonders schwierig", sagt sie. Mit den Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen zur Corona-Pandemie drängten Kinder und Jugendliche vermehrt in die Parks und öffentlichen Spielstätten. Platz ist Mangelware.

Der öffentliche Raum ist für Mädchen bei weitem nicht so gefährlich wie der private Raum. (Renate Kraft, MA 13)

Die Hierarchie dabei ist eindeutig: Zuerst kommen die älteren Burschen, dann die jüngeren Buben und schließlich die Mädchen. Daran hat auch ein Trugschluss im Rollenbild Mitschuld: "Der öffentliche Raum ist für Mädchen bei weitem nicht so gefährlich wie der private Raum. Im gesellschaftlichen Modell werden Mädchen an der Hand gehalten und lange begleitet. Dadurch fehlen ihnen die Fähigkeiten, sich im öffentlichen Raum zu behaupten und ihn sich anzueignen", sagt Kraft.

Wien gibt sich jedenfalls Mühe. Schon 1999 wurde das Motto "Mädchen stärken, Burschen fördern" ausgerufen, das laut Krauft noch immer relevant ist. Kinder bis 13 Jahre lädt die Wiener Parkbetreuung zu Aktivitäten ein, für Ältere gibt es die mobile Jugendarbeit. Deren Angebote werden von 70 Prozent Burschen und 30 Prozent Mädchen genutzt.

Umsetzungen

Das Stärken der Mädchen ist fordernd, aber ertragreich. Kraft erinnert sich: "Bei einem Termin kam ein junges Mädchen auf das Spielfeld und sagte: ‚Jetzt sind wir dran.‘ Die Burschen sind abgezogen. Ich dachte, das war inszeniert, war es aber nicht. Mir kommen noch immer die Tränen, wenn ich daran denke." Und weiter: "Ein junger Bub hat neben einem Käfig einmal gesagt: ‚Wir müssen jetzt die Mädchen reinlassen und auch nicht lachen.‘"

Aktuell sei es so, dass Mädchen, die mitspielen wollen, deutlich besser sein müssen, um sich Respekt zu verschaffen. Wenn sich die Kinder auch noch aus der Wohnanlage oder dem Grätzel kennen und es einmal rennt, ist es ein Selbstläufer: "Wenn sie es geschafft haben, sich zu etablieren, gehen sie selbstbewusst in den Raum. Das funktioniert."

Hilfreich ist auch ein breiteres Sportangebot. Im August startet eine Kooperation zwischen den Wiener Kinderfreunden, die in Favoriten die Parkbetreuung anbieten, und dem Wiener Basketballverband. Der Fokus liegt auch auf Mädchen. Es gibt außerdem Angebote für Streetdance, Parkour und Zirkusakrobatik mit Kaos. Und vielleicht spielt Luka bald zu Lara oder Yussuf. Und hinten steht Aisha, weil Deniz der schlechtere Goalie ist. (Andreas Hagenauer, 14.8.2020)