Die Neos haben bei einer Demonstration in Eisenstadt ihren Unmut in der Causa Commerzialbank gezeigt und fordern nun eine unabhängige Kommission zur Aufklärung.

Foto: APA / Christian Gmasz

Bescheiden. Loyal. Bodenständig. Hilfsbereit. So wird Martin Pucher (64) von Wegbegleitern beschrieben. Jener Martin Pucher, der die Commerzialbank Mattersburg 1995 gegründet und im Laufe der Zeit acht Filialen eröffnet hat. Jener Vater von drei Töchtern, der seit 1988 den Fußballverein SV Mattersburg als Obmann geleitet hat. Jener Bankmanager, der seit Anbeginn die Bilanzen gefälscht hat, dessen Bank durch die Finanzmarktaufsicht geschlossen wurde und der nun am Ende seiner Laufbahn vor den Trümmern seiner Karriere und seines Lebens steht.

Wie alles begann

Wann kam Pucher die Idee, die Bilanz mit fingierten Krediten und Einlagen aufzublasen? Und warum? Wie konnte er mit diesem Wissen all die Jahre ruhig schlafen? "Hat er nicht", sagt Puchers Anwalt Norbert Wess. Sein Klient habe in den vergangenen 25 Jahren nicht eine Nacht durchschlafen können. Ihm sei immer bewusst gewesen, dass er in einem tiefen Schlamassel stecke.

25 Jahre hat Martin Pucher die Bilanzen seiner Bank frisiert.

Begonnen hat alles 1992, also noch früher als bisher bekannt. Damals gehörte die Commerzialbank noch zum Raiffeisenverband. Der Ergebnisdruck im Raiffeisen-Sektor sei enorm gewesen, Pucher wollte mithalten, abliefern, performen.

Damals habe Pucher laut Wess gedacht, er könne das später wieder ausbügeln. Doch das gelang nicht. Laut Pucher sei die Bank im Jahr 2000 schon insolvent gewesen. Für ihn sei das ein Zeitpunkt gewesen, ab dem klar gewesen sei, "da komme ich nicht mehr raus".

Das Zinsniveau sei stetig gesunken, die Finanzkrise habe die Bankvorschriften stetig verschärft, ebenso die Eurokrise, die erneut negativ auf die Zinslandschaft gewirkt hat. Die Hoffnung auf ein Wunder, um die Malversationen wieder ins rechte Licht zu rücken, wich letztlich der Resignation.

Gebrochen. Geschockt. Geständig. So habe Wess Pucher nun kennengelernt. Immer wieder betone Pucher, dass alles seine Initialzündung gewesen sei. Es sei sein Fehler, seine Tat gewesen. Niemand habe von den Vorgängen in der Bank etwas gewusst. Auch seine Familie nicht, die ebenfalls Geld bei der Bank eingelegt und verloren hat. Lediglich eine Mitarbeiterin, die zuletzt Co-Vorständin war, hätte von den Schattenaktivitäten gewusst und sei involviert gewesen. Pucher selbst könne nicht einmal einen Computer richtig bedienen.

Keine Bereicherung

Eine Bereicherung von Pucher schließt Wess kategorisch aus. Sein Klient habe keine Immobilien, wie oft dargestellt wird. Er habe ein normales Einfamilienhaus mit normaler Einrichtung. Keine teuren Hobbys. Kein Luxusleben. Seine Gage als Chef der Bank hatte Pucher, der nach zwei Jahren HAK eine Lehre zum Bankkaufmann machte, aber laufend angehoben. Zuletzt lagen seine Bezüge bei 360.000 Euro brutto/Jahr. Die Privatinsolvenz sei für ihn wohl der nächste Schritt. Das Haus verlasse Pucher derzeit nicht, er schäme sich und sei laut Wess geschockt über den Schaden, den er angerichtet habe. Es sei aber zu erkennen, dass ihm sein Geständnis auch von einer Last befreit habe.

Dass Pucher nicht in U-Haft sitzt, begründet Wess mit dem Fehlen einer rechtlichen Grundlage dafür. Zudem sei sein Mandant physisch und psychisch stark angeschlagen und voll geständig. "Pucher ist sich der Tragweite seines Handelns und des Schadens, der daraus entstanden ist, voll bewusst", sagt Wess.

Geprüft wurde die Commerzialbank im Laufe ihrer Existenz oft. Erkannt wurde die Buchfälschung dennoch nicht. 2015 waren die Prüfer monatelang in der Bank. Für Pucher eine Zeit unglaublichen Drucks. Nach Abschluss dieser Prüfung hatte Pucher zwei Schlaganfälle erlitten, von denen er sich laut Wess bis heute nicht erholt habe.

Nachspiel für die Republik

Auch für die Republik könnte die Pleite der Commerzialbank ein teures Nachspiel haben. Sie hat von der Bank 25 Jahre Steuern kassiert, die auf Gewinnen basierten, die es so nie gegeben hat. Der Anwalt geht davon aus, dass es Rückforderungen geben wird – und zwar mindestens im zweistelligen Millionenbereich.

Dieses Geld würde der Masse und damit den geschädigten Gläubigern zugutekommen. Wess geht davon aus, dass zumindest die Steuerzahlungen der vergangenen fünf Jahre zurückgefordert werden können.

Nichts gehört, nichts gesehen, nichts gesagt. So lässt sich die Causa Commerzialbank jedenfalls beschreiben.
Foto: iStock / Spiderstock

Die Bank wies zuletzt eine Bilanzsumme von rund 800 Mio. Euro aus. In der letzten veröffentlichten Bilanz (2018) steht ein Gewinn von 4,8 Mio. Euro. Wo das Geld letztlich hinfloss, kann auch Wess nach bisherigen Gesprächen mit Pucher nicht sagen. 50 bis 60 Prozent der Einlagen seien "verbrannt", weil man die Bank operativ am Leben gehalten hat. Zwischen acht und 15 Prozent flossen an den SV Mattersburg.

Viel Geld sei auch verlorengegangen, weil notleidende Kredite nicht wertberichtigt wurden und man betroffene Kunden weiter unterstützt habe. Pucher sei einer gewesen, der anderen immer auch helfen wollte, erklärt sein Anwalt.

Game over

Als Pucher im Juli von den Bankprüfern zu zwei Krediten befragt wurde, habe er gewusst, jetzt gehe es nicht mehr weiter. Er habe daher um einen persönlichen Termin gebeten und ausgepackt. Die Schließung der Bank wurde nun per 12. August angeordnet.

Die Geschehnisse rund um die Commerzialbank waren am Donnerstag auch Thema im Sonderlandtag in Eisenstadt. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) zeigte sich vor allem von Kontrolle und Aufsicht enttäuscht. Die Neos hatten in der Fußgängerzone ihren Unmut über die Causa kundgetan und forderten die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission auf Bundesebene.

Dass der Betrug nicht entdeckt wurde, versteht auch Wess nicht: "Hier war keine Fälscherwerkstatt am Arbeiten." Hätte ein Prüfer die Einlagen bei nur einer anderen Bank gegengecheckt, wäre das Kartenhaus viel früher eingestürzt. Es gelte nun aber, aus dem Vorfall zu lernen und die Prüfungen zu verbessern. Dann hätte der Fall auch etwas Positives, so Wess.

Aufarbeitung

Bis die Causa gänzlich aufgearbeitet sein wird, wird es dauern. Aktuell analysiert ein Gutachter den Fall. Dieser hat dafür zehn Monate Zeit. Meist bleibt es dabei nicht. Wess geht davon aus, dass ein Verfahren in vier Jahren wird starten können.

Ins Licht rückt nun auch Ernst Zimmermann – er saß im Aufsichtsrat der Commerzialbank und im Vorstand des mittlerweile ebenfalls pleitegegangenen SV Mattersburg. Er sei im Visier der Finanz, weil er in seinem Unternehmen selbst mit Scheinrechnungen operiert haben soll. Zimmermann dementiert, für ihn gilt die Unschuldsvermutung. (Bettina Pfluger, 13.8.2020)