Corona macht Grenzen sichtbar

Wenn du seit Beginn der Corona-Krise mit deinen Eltern verreist bist, hast du vielleicht zum ersten Mal etwas bemerkt, dass es so rund um Österreich schon lange nicht mehr gegeben hat: Grenzkontrollen. Diese wurden in Europa seit ein paar Jahren eigentlich immer weniger. Gründe dafür sind die EU und der Schengen-Vertrag. Die Mitglieder dieses Vertrages haben quasi festgelegt, dass sie einander vertrauen. Wenn etwa eine Deutsche in Italien eine Straftat begeht, werden es die dortigen Polizisten den Berliner Behörden schon mitteilen. Das machte das Zusammenleben und das Reisen viel leichter. Durch Corona-Kontrollen staut es sich nun oft wieder, wenn man in ein anderes Land will. Eine Grenze überquert man aber zumindest nicht täglich, oder doch?

Hunderte Grenzen in einer Stadt

Nahe der belgisch-niederländischen Grenze gibt es zwei kleine Dörfer mit insgesamt 9000 Einwohnern. Die Dörfer heißen Baarle-Nassau und Baarle-Hertog. Sie sind das Resultat eines jahrhundertealten Deals zwischen zwei Adligen. Das Verrückte daran: Auf einer Landkarte sieht das geteilte Dorf heute noch aus wie ein Fleckerlteppich, denn Nassau ist niederländisch und Hertog belgisch. Mehr als 20 belgische Flecken Grund und Boden liegen in den Niederlanden. Liegt ein Stück Land in einem anderen Staat, nennt man das eine Exklave. Das kommt immer wieder einmal vor auf der Welt. In Baarle gibt es aber sogar mehrere doppelte Exklaven. Dabei handelt es sich um ein Stück Belgien in den Niederlanden, in dem wiederum ein Stück der Niederlande liegt. Im ganzen Dorf gibt es also hunderte Grenzen, die die Bewohner tausende Male pro Jahr überschreiten.

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Manche Häuser liegen in zwei Ländern.
Foto: Reuters/Yves Herman

Die Haustür zählt

Damit man weiß, in welchem Land man sich gerade befindet, ist der Boden im ganzen Dorf mit weißen Kreuzen markiert, die die Grenze anzeigen. Außerdem findet sich an jeder Haustür ein Nummernschild, das entweder die belgischen oder die niederländischen Flaggenfarben zeigt. Das ist besonders wichtig.

Laut Gesetz entscheidet nämlich die Position der Haustür, welchen Pass man bekommt. Liegt das Schlaf- und Wohnzimmer in Belgien, die Haustür aber nicht, ist man trotzdem Niederländer. Als man die Grenzen vor ein paar Jahren noch einmal nachschärfte, kam eine Bewohnerin sogar darauf, dass sie jahrelang im "falschen" Land lebte. Sie hat dann einfach die Haustür ein paar Meter verschoben.

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Zum Einkaufen über die Grenze? In Baarle ist das normal.
Foto: Reuters/Yves Herman

Fast alles doppelt

Die zwei Gemeinden verstehen sich gut und sprechen sich sehr oft miteinander ab. Dennoch gibt es viele Dinge doppelt: zwei Bürgermeisterinnen, zwei Kirchen, zwei Fußballvereine, zwei Müllabfuhren, zwei Saucen für die Pommes. Dank der EU sind viele Gesetze einander mittlerweile ähnlich. Kleine Unterschiede gibt es aber immer noch. Und so ist das Tanken in Belgien billiger, dafür sind sonntags aber die Geschäfte geschlossen. In Belgien kann man das ganze Jahr Silvesterraketen kaufen, in den Niederlanden nur an drei Tagen im Jahr. Während Corona musste ein einziges Geschäft in einer Einkaufsstraße plötzlich zusperren, weil es belgisch war und die Belgier strengere Regeln hatten. Auf Grenzkontrollen verzichtete man aber: Das wäre zu kompliziert geworden und hätte wohl tausende Polizisten gebraucht. (Fabian Sommavilla, 15.8.2020)