Inhalte des ballesterer #153 (August 2020) – Seit 14. August im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

Schwerpunkt: TRIKOTS

VON DER BAUMWOLLE ZUM RECYCLINGPOLYESTER
Eine kleine Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der Fußballkleidung

LEBEN FÜRS LEIBERL
Über die Sammelleidenschaft

PRET-A-PORTER IM STADION
Paris Saint-Germain und das "Hechter"

LIEBLINGSSTOFFE
Die Favoriten der Redaktion

Außerdem im neuen ballesterer:

SYSTEM WECHSELN
Die Fans fordern Reformen in Deutschland

STURM DER TRÄUME
Fan Georg Kleinschuster über den Kampf für einen besseren Verein

DIE LEGENDE VOM MAKSIMIR
Vor 30 Jahren empfing Dinamo Roter Stern

BILANZ UND PERSPEKTIVEN
Das war ballesterer brennt

SANIERUNG IM VIERTEL
Wie der Vefa SK seine Fans unterstützt

ABSCHIED VON EL ROBIN
Michael Robinson war die Stimme des spanischen TV-Fußballs

WIENERINNEN AM BALL
Ein Buchauszug aus "Eine Klasse für sich"

ALLE MACHT DER WELT
Ein Anstoß zur FIFA

DREI FÜRS BURGENLAND
Erstligisten aus dem kleinsten Bundesland

WEISGRAM, DIE WUCHTEL UND WIR
Ein Pressecorner zum SV Mattersburg

GESCHICHTE SCHREIBEN
Fans erforschen ihre Vereine

FUSSBALL ALS ALLTAG
Das Projekt "Goal Click Refugees"

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus Belarus, England, Polen und Tschechien

Foto: Cover/Ballesterer

Fons Hickmann ist Professor an der Universität der Künste Berlin und mit seinem Studio M23 einer der weltweit bekanntesten Grafikdesigner. Seine große Leidenschaft gilt dem Fußball. Als er Anfang der 2000er Jahre an der Universität für Angewandte Kunst in Wien unterrichtete, rief der BVB-Fan das "Turnier für angewandten Fußball" ins Leben. Er macht den Fußball zum Forschungsgegenstand in Seminaren und hat 2014 das Buch "Das beste Spiel aller Zeiten" herausgegeben. 2006 trat er mit der Aktion "11 Designer für Deutschland" eine öffentliche Diskussion über Grafikdesign los, als er zum Ärger des DFB dazu aufrief, Alternativen für das verunglückte Logo zur WM 2006 zu entwerfen. "Die Aktion war sehr erfolgreich, aber sie ist leider etwas zu spät gekommen", sagt er dem ballesterer per Videotelefonie. "Was ich davon mitgenommen habe, ist, dass es ein großes allgemeines Bewusstsein für Grafikdesign gibt. Und dass man ruhig mehr darüber sprechen kann."

ballesterer: Was macht ein gutes Trikot aus?

Fons Hickmann: Das ist die Frage, die sich jede Mannschaft der Welt stellt. Sie lässt sich nicht in wenigen Sätzen beantworten, aber es gibt ein paar Schlüsselwörter. Die wichtigsten sind Authentizität und Identität. Das Trikot muss inhaltlich wie formal zu dem Verein, der es trägt, passen. Das speist sich aus der Historie und der Herkunft des Vereins, daraus kann man unheimlich viel ableiten. Wann und wo ist er entstanden? Gibt es regionale Besonderheiten wie Farben und Wappen? Gibt es dort besondere Tiere oder eine typische Ikonografie? Jeder Ort hat eine eigene Geschichte und Visualität, deswegen kann man an jedem Ort ein individuelles Trikot entwerfen.

ballesterer: Wenn man all das bedenken muss, ist man als Designer aber schon ziemlich eingeschränkt.

Hickmann: "Aus Authentizität kann ich die Identität entwickeln."
Foto: Ina Schoof

Hickmann: Ich empfinde das nicht als Einschränkung. Das ist einfach eine Vorgehensweise, um herauszufinden, wo ich mich befinde. Sonst ist man ja im luftleeren Raum. Im Nichts kann man alles machen, landet aber in Willkür. Da will man nicht hin. Man möchte ja etwas erreichen, mit dem sich der Verein, die Fans und Spieler identifizieren. Deswegen muss man eine passende Form finden. Das nenne ich dann Authentizität, daraus kann ich die Identität entwickeln. Wenn ich sage "Wir sind Grün-Orange", denkt man wahrscheinlich an Irland – das passt. Wenn eine Mannschaft aber eine Farbe nehmen würde, die nicht passt, wäre das unglaubwürdig. Wenn zum Beispiel Bayern München ein Auswärtstrikot in Blau oder Gelb-Schwarz machen würde.

ballesterer: Das aktuelle ist grau-orange.

Hickmann: Das ist auch ein bisschen unglücklich. Ich weiß nicht, wie das hergeleitet ist. Bei den Bayern wäre es ja tatsächlich interessant, wenn sie in Gelb-Schwarz-Weiß antreten würden, weil das die Farben der Stadt München sind. Da gäbe es eine Möglichkeit, Identität zu stiften. Man muss es halt plausibel erklären.

Foto: Puma

ballesterer: Ihr Verein, Borussia Dortmund, hat als Gründungsfarben Blau und Weiß. Trotzdem könnte der BVB wohl kein Trikot in diesen Farben machen.

Hickmann: Ja, das wäre ein Wahnsinn. Das würde zur Revolte führen. In den Farben des direkten Gegners geht natürlich gar nichts.

ballesterer: Auch nicht, wenn es die Historie hergeben würde?

Hickmann: Historie ändert sich. Wenn Farben zu stark von einem anderen Klub besetzt sind, werden sie zu den Farben der anderen. Übrigens beschränken sich leider fast alle Fußballvereine auf die Grundfarben. Wir finden überall rote Vereine, blaue Vereine, manchmal auch grüne. Rot ist extrem verwechselbar, es gibt in jedem Land fünf Topklubs mit roten Trikots.

ballesterer: Wie tun Sie sich mit dem Schwarz-Gelb? Hadern Sie mit den Farben?

Hickmann: Ich finde sie sehr gut, weil es nicht viele Vereine gibt, die diese Farben tragen. Diese Eigenständigkeit ist ein Vorteil, der Wiedererkennungswert gigantisch.

ballesterer: Schauen wir uns das aktuelle Dortmund-Trikot an. Wie gefällt es Ihnen?

Hickmann: Das ist ein schöner Entwurf. Die Akzentuierung von links unten nach rechts oben ist klug gemacht. Mir ist der Sponsor zu dominant, das ist aber bei vielen Trikots so. Immerhin hat der Sponsor hier auf seine Firmenfarben verzichtet. Das ist ein gutes Signal. Es geht im Fußball um den Fußball, nicht um den Kommerz drumherum. Das drückt das Trikot ein bisschen aus. Aber das Sponsorenlogo könnte noch ein wenig kleiner sein – von mir aus auch gerne ganz weg.

Foto: Puma

ballesterer: BVB-Ausstatter Puma schreibt, das Trikot sei von der Fankultur inspiriert und die Grafik eine Hommage an die U-Bahn-Station und den Fantreffpunkt Westfalenhallen. Nehmen Sie der Marketingabteilung ab, dass das alles drin ist?

Hickmann: Ich kenne die U-Bahn-Station nicht. Ist die so gestreift oder vielleicht auch kaputt? In Dortmund könnte ich mir das vorstellen. Ich kann das aber nicht beurteilen, weil ich immer nur überirdisch zum Stadion gegangen bin.

ballesterer: Ist es nicht eigentlich relativ simpel: Jeder Verein produziert jedes Jahr ein neues Trikot, damit er es verkaufen kann. Um sich abzuheben, braucht er neue Designs, die er auch schön argumentiert.

Hickmann: Genau, das ist durchaus strategisch gedacht. Man muss das herleiten aus der Region. Das haben sie hier gemacht – deswegen ist die Argumentation zumindest formal richtig. Und wenn das inhaltlich nicht stimmt, merken es die Fans sofort. Man darf sich da keine Fehler erlauben. Was mir bei Dortmund sehr gut gefallen hat, war das Trikot in Schwarz auf Schwarz.

ballesterer: Das hat der BVB mit seinen Ruhrpottwurzeln und der Referenz auf den Kohlebergbau argumentiert. Aber wen erinnert ein Trikot, das 85 Euro kostet, tatsächlich an die Arbeiterklasse?

Hickmann: Ja, das ist ein Marketingtool, das ist nicht immer ganz fein. Obwohl es die Zechen in Dortmund schon lange nicht mehr gibt, funktioniert der Kohlemythos noch unheimlich gut. Deswegen war das Trikot auch innerhalb weniger Stunden ausverkauft.

ballesterer: Kann ein komplett schwarzes Trikot überhaupt seine eigentliche Funktion erfüllen? Wenn ich darauf weder im Stadion noch im Fernsehen die Nummern lesen kann.

Hickmann: Das mag sein, das hat aber auch Vorteile. Auf dem Bolzplatz muss man die Spieler anhand ihres Spielstils erkennen. Es wäre ein interessantes Experiment, wenn alle Mannschaften nur ein einfärbiges Shirt ohne Beschriftung tragen würden. Da würde man die Spieler, Laufwege, Bewegungen und Taktiken wahrscheinlich viel besser erkennen und viel mehr über den Fußball lernen. Mir ist klar, dass das nicht ganz realistisch ist.

ballesterer: Noch ist die Typografie ein wesentlicher Punkt in der Gestaltung der Trikots.

Hickmann: Unbedingt. Das funktioniert ähnlich wie bei den Farben, man muss eine Typografie finden, die zu dem Verein passt. In England kann zum Beispiel ein Klub aus einer schicken Londoner Gegend in seiner Typografie wesentlich eleganter auftreten, als das ein nordenglischer Klub tun sollte.

ballesterer: Der braucht dann wieder den Bergbau?

Hickmann: Genau. Fußball ist ja eine Simplifizierung von Lebensstil und Haltung. Das drückt sich auch in der Typografie aus.

ballesterer: Die Ligen in England, Spanien, Frankreich und ab kommender Saison auch Italien verwenden eine einheitliche Typografie auf den Trikots. Was halten Sie davon?

Hickmann: Das ist nicht gut. Das widerspricht allem, was ich eben als identitätsbildend bezeichnet habe. Und es widerspricht der Authentizität. Da wird eine falsche Richtung eingeschlagen. So ein Corporate Design kann für eine große Unternehmensgruppe sinnvoll sein, aber für eine Fußballliga, die aus Individualitäten besteht, ist so ein Gleichmachen total kontraproduktiv. Das nimmt den Klubs ihre Besonderheiten. Im heutigen Fußball gibt es zwei widerstrebende Gravitationskräfte: Die Liebe zum Sport und die Liebe zum Geld. Es ist nichts dagegen zu sagen, dass man mit Fußball Geld verdient – wenn diese Motivation jedoch die der Liebe zum Sport überragt, wird am Ende der Sport verlieren.

ballesterer: Schauen wir uns den neuen Entwurf der Serie A handwerklich an. Wie gefällt Ihnen die Schrift?

Hickmann: Das ist eine Stilblüte. Das kann man jetzt machen, aber in zwei Jahren findet man es total furchtbar. Die Buchstaben sind ein Mix aus einem Anklang von Jugendstil und Modernität. Bei den Zahlen funktioniert die Schrift besser, aber auch da ist sie ein Kind ihrer Zeit. Gute Fußballtypografie ist zeitlos, die funktioniert über 20, 30 Jahre. Das sieht man in England, dort war die Typografie immer fantastisch. Wenn man alte Trikots herauskramt, findet man die wieder toll. Um aber auch etwas Positives über die Italiener zu sagen: Im Modedesign und den Schnitten sind sie immer ganz weit vorne, sehr fashionable. Ihre Trikots sind im richtigen Augenblick eng und werden im richtigen wieder weiter – das ist immer perfekt.

ballesterer: Inwiefern haben Designer noch Spielräume? Die Trikots kommen ja gerade bei den Großturnieren von denselben Herstellern wie Adidas, Nike und Puma, die oft Schnitte und Schriften vorgeben.

Hickmann: Da haben sich gewisse Marktmechanismen eingeschlichen. Für Fußballoutfits werden oft auch gar nicht Designer gefragt, sondern Marketingagenturen. Diesen Personen fehlt die Ausbildung, um einen ästhetisch wertvollen Gegenstand herzustellen. Sie wissen, wie man einen Gegenstand vermarktet, aber nicht, wie man ihn gestaltet.

ballesterer: Warum hat Design so ein schlechtes Standing?

Hickmann: Designer sind selten große Agenturen, die ein Gesamtpaket anbieten. Sie haben auch nicht die gleiche Lobby wie eine Marketingagentur, die mit 150 Leuten anrückt. Entscheider lassen sich von so einer Überpräsenz oft blenden und haben kein Bewusstsein dafür, wie man zu Qualität kommt. Das ist aber nicht nur im Trikotdesign so, auch im Autodesign. Auch Autos schauen ja mittlerweile immer gleicher aus, da immer seltener Topdesigner gefragt werden.

ballesterer: Wie wichtig ist der Retrofaktor beim Trikotdesign?

Hickmann: Kein Trikot ist frei von Retro. Je mehr man in der Designgeschichte drin ist, desto stärker erkennt man das. Das neue Dortmund-Trikot hat zum Beispiel einen leichten Anklang an das Nigeria-Trikot. Das war ja vom Style und der Beliebtheit unglaublich erfolgreich. Weil es so total ungewöhnlich war. Niemand hat sich getraut, so ein verrücktes Trikot zu gestalten, sie haben es gemacht – das war der Hammer. Das wird immer wieder zitiert.

Foto: Nike

ballesterer: Was macht das Nigeria-Trikot von 2018 so gut?

Hickmann: Es erfüllt all das, was ein Trikot erfüllen muss. Es ist farblich authentisch, das Muster ist für einen afrikanischen Verband glaubwürdig. Es ist dynamisch und macht einen schnellen Eindruck, was sehr gut zum Sport passt. Und es war total innovativ, weil die anderen Trikots eher konservativ waren. Kontraste sind immer wichtig, deswegen kann ich jeden Verein auch nur dazu ermuntern, sich von den anderen abzusetzen.

ballesterer: Wie oft funktioniert das? Kann man jedes Jahr etwas komplett anderes machen?

Hickmann: Das ist Segen und Fluch des Designs und der Designer: Sie müssen immer wieder von vorne anfangen. Dabei dürfen sie gewisse Parameter nicht verlassen, können sich darin aber frei bewegen. Dortmund wird nicht zum blau-weißen Trikot zurückgehen, aber solange sie schwarz-gelb bleiben, können sie alles machen. Das gilt für alle Vereine. Das ist toll für Designer, weil sie innerhalb eines Rahmens das Rad im Prinzip jedes Mal neu erfinden können.

Hickmann mit seiner Trikotdesignklasse in China.
Foto: Jianping He

ballesterer: Abschließende Frage: Können Sie sich vorstellen, einmal für den Fußballbetrieb zu arbeiten?

Hickmann: Ja, das wäre ein schöner Job. Ich könnte mir bei einigen Vereinen gut vorstellen, für sie das Trikot zu machen. Mich interessiert Fußballdesign im Ganzen. Ich habe gerade ein Seminar dazu in Hangzhou in China gegeben. Da haben alle Studenten ihren eigenen Sportverein gründen müssen mit dem dazu passenden Outfit. Dabei sind sie die ganzen Parameter abgelaufen: Namensgebung, Farbgebung, Symbolik, Tiere, Emotionen, Typografie – das hat zu ganz interessanten Designs geführt. Ich würde das gerne einmal für einen Fußballklub machen, aber ich würde ihnen sagen: Ihr müsst euch etwas trauen. (Jakob Rosenberg & Tobias Schererbauer, 15.8.2020)