Dirigent und Freund der Stille: Franz Welser-Möst.

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Wäre es nach seinem Urtraum gegangen, sollte jener Dirigent, der zurzeit in Salzburg mit Elektra reüssiert, eigentlich im Orchestergraben der Felsenreitschule sitzen. Franz Welser-Möst wollte Geiger bei den philharmonischen Wienern werden. Doch es begab sich am 19. November 1978, dass er in einem Mercedes saß, der außer Kontrolle geriet und Welser-Möst schwer verletzt auf der Intensivstation landen ließ.

Seltsame Koinzidenzen waren im Spiel, es lässt sich im Buch "Als ich die Stille fand" spannend nachlesen: Als er im Spital außer Lebensgefahr war, wurde Schuberts aus dem Radio kommende G-Dur Messe die erste Wiederbegegnung mit Musik. Es war jenes Werk, an dem Welser-Möst kurz vor dem Unfall als Instrumentalist mitgewirkt hatte und das Schubert mit 18 schrieb. Welser-Möst war aber nicht nur ebenfalls 18, als der Unfall passierte. Schubert war am 19. November 1828 um 15.00 gestorben – genau zu jener Tageszeit, als Welser-Mösts Unfall passierte. Seltsam.

War dies rätselhaft, so kam eine andere Erkenntnis mit brutaler Klarheit hervor: Als Unfallfolge sollten Nervenschäden zweier Finger irreversibel bleiben und Welser-Mösts professionelle Geigenträume beerdigen. In einem anderen Punkt gibt es glücklicherweise keine Parallele zwischen Schubert und dem Linzer. Der Komponist wurde 32, Welser-Möst aber wird am Sonntag 60 und sollte, ginge es nach einem Spruch von Herbert von Karajan, "Elektra" nicht mehr dirigieren. Der Maestro, den Welser-Möst kannte, riet generell, das hochexpressive Opus nach einem 60er nicht mehr anzurühren.

Philharmonische Bekannte

Welser-Möst sollte sich nicht daran halten. Seine Salzburger Strauss-Dirigate – auch Rosenkavalier und Salome – waren vitale Belege struktureller und klangorganisatorischer Könnerschaft, die ein Strauss-kundiges Orchester brillieren ließ. Welser-Möst kennt die Philharmoniker gut, es gab die gemeinsame Zeit an der Staatsoper, als er Generalmusikdirektor war. Allerdings kürzer als geplant.

Da er nicht Direktor war, sondern Dominique Meyer, kam es bekanntlich zu Konflikten, die Welser-Möst in Buch streift: Letztlich wären ihm zu viele Kompromisse zugemutet worden, schreibt er. Meyer habe etwa in Welser-Mösts Abwesenheit Sängerinnen engagiert, wo doch eine gemeinsame Entscheidungsfindung vereinbart war. Für Meyer, so Welser-Möst leicht giftig, wären die vielen Vorsingen eben eine beliebte Erholung von der Verwaltungsarbeit gewesen.

Aus seiner Wiener Demission den Schluss zu ziehen, er wäre ein ruheloser Wanderer zwischen diversen lukrativen Posten, wäre falsch. Welser-Möst, zwar ambitioniert und immer wieder im Gespräch für hohe Musikmanagementpositionen abseits des rein Dirigentischen, ist ein Mann der Kontinuität.

Brutales London

Zwar hat er bei seinem ersten Karrieresprung nicht ewig durchgehalten. Aber London war auch ein brutaler Ort. Als Chefdirigent des London Philharmonic Orchester dankte er frustriert ab, begleitet von Bonmots wie "Frankly Worse than most". Damit insinuierte man, er wäre "ehrlich gesagt schlimmer als die meisten".

Welser-Möst trug sich kurz sogar mit dem Gedanken, mit der Musik aufzuhören, Jus oder Wirtschaft zu studieren. Allerdings ereilte ihn das Angebot, am Züricher Opernhaus mit Intendant Alexander Pereira etwas aufzubauen. Und dort entwickelte sich Welser-Möst zum erfahrenen Operndirigenten, das Haus wurde wieder eines der international angesehensten, dem Welser-Möst 13 Jahre verbunden blieb. Dass auch dies keine durchgehend leichte Zeit war, ist aus seiner Beschreibung Pereiras herauszulesen, den er als Mix "aus Sonnenkönig, Münchhausen, Teppichhändler und Mutter Teresa" beschrieb.

Lange in Cleveland

Kontinuität prägt auch sein Verhältnis zum Cleveland Orchestra, bei dem er seit 2002 Chef ist und bei dem er mindestens bis 2027 bleiben wird. Welser-Möst will ja Dinge vertiefend erarbeiten. Es ist Teil seiner Abneigung gegen Geschäftigkeit und "Dezibelisierung der Gesellschaft". Dazu gehört die Betonung des Kontemplativen, die Suche nach Stille, aus der die Musik ja kommt.

Er findet sie in seiner Bibliothek, die hinter seinem Haus am Attersee steht, bei Wanderungen und mit Yoga, das ihn einst vom vierzehnjährigen Schmerz befreite, der nach dem überlebten Unfall ein ständiger Begleiter wurde.

Er sieht sich als Agnostiker. Allerdings ist er "nicht bereit, meinen Glauben daran aufzugeben, dass der Mensch eine angeborene Sehnsucht nach wahrhaftiger Tiefe hat. Ich bin überzeugt, dass die Ergriffenheit, die Musik bei uns hervorrufen kann, nicht an ihrer Oberfläche zu finden ist."

Zurück an die Staatsoper

Vielleicht hat er sich im Buch zu viele Themen zugemutet, um diesem Tiefenanspruch argumentativ immer gerecht zu werden. Als Dirigent setzte er die Suche jedoch aktuell grandios um. Er, der auch als möglicher Nachfolger von Mariss Jansons beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks genannt wird, wird übrigens Karajans Rat auch nach Salzburg nicht befolgen. Am 8. 9. kehrt er mit der aufreibenden "Elektra" an die Wiener Staatsoper zurück. (Ljubiša Tošic, 14.8.2020)