Der US-Präsident macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Donald Trump bestätigte über das Wochenende mehrfach im Fernsehen, was aus dem Mund seiner Gegnerinnen und Gegner eigentlich eher wie eine Verschwörungstheorie geklungen hatte: Er werde die staatliche Post, das US Postal Service, nicht mehr ausreichend finanzieren, sagt er. Denn wenn die Post künftig langsamer zugestellt werde, dann könnten auch nicht mehr Menschen an der Briefwahl teilnehmen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Briefwahl galt bisher in den USA als sicheres Abstimmungsinstrument – das könnte sich im November nun ändern.
Foto: Michael A. McCoy/Getty Images/AFP

Genau diese möchte der US-Präsident ja um jeden Preis klein halten, obwohl viele Staaten sie wegen der Corona-Pandemie ausweiten möchten. Trump fürchtet, dass er selbst ebenso wie seine Republikaner Stimmanteile einbüßen könnten, wenn mehr Menschen per Brief wählen.

Um das zu verhindern, ist ihm sogar Sabotage als Mittel recht. Auch wenn das bedeutet, dass nicht nur Wahlbriefe, sondern auch andere Schriftstücke, Gehaltsschecks, Medikamentensendungen und alle möglichen anderen Dinge nicht rechtzeitig zu ihren Empfängerinnen und Empfängern kommen.

Keine volle Demokratie

Doch auch, wenn die Empörung nun zurecht groß ist: Eigentlich müsste man dem US-Präsidenten dankbar sein. Er hat einen Umstand sichtbar und transparent gemacht, der in Wahrheit schon seit Jahren existiert: Die USA sind schon lange keine volle Demokratie mehr, so sie es denn – Stichwort Sklaverei, Rassismus und lange fehlende Bürgerrechte – überhaupt je waren. Und besonders eine Partei, die republikanische nämlich, arbeitet hart daran, dass es so bleibt, wie es ist.

Anders als seine Mitstreiter gibt sich Trump wenigstens kaum Mühe, seine tatsächlichen Motive zu verbergen. Zwar tweetet auch er nach Leibeskräften Verschwörungstheorien, wonach die Briefwahl Fälschungen zu seinen Ungunsten ermögliche. Doch schon im März machte er seine wahren Motive klar, als er auf Vorschläge reagierte, wie man trotz Corona die Wahlbeteiligung stabil halten könne: "Wenn man dem zustimmte, würde in diesem Land nie wieder ein Republikaner gewählt", sagte er da.

Ob er damit recht hat oder nicht, ist empirisch umstritten. Nicht immer hat in der Vergangenheit eine höhere Wahlbeteiligung den Demokraten geholfen. Aber eines ist klar: Die Republikaner scheinen davon auszugehen, dass es so ist.

Gezielte Benachteiligung

Beispiele gibt es viele. Beharrlich erheben sie seit Jahren Forderungen, wonach sich Wählerinnen und Wähler an der Urne mit bestimmten offiziellen Papieren ausweisen müssen – was vor allem jene ärmeren Menschen benachteiligt, die sich deren Anschaffung nicht leisten können. Gezielt schaffen sie zudem Bedingungen, die zur Schließung von Wahllokalen vor allem in wirtschaftlich benachteiligten Gegenden führen, wo meist besonders Angehörige von Minderheiten wohnen und wählen.

Vorschläge, den Wahltag zu einem Feiertag zu machen, lehnen sie vehement ab. Arbeitende Menschen müssen also oft bei ihrem Arbeitgeber die Freizeit erstreiten, um stundenlang in der Wahlschlange zu stehen.

Aber nicht nur das. Auch, wenn alle Stimmen korrekt abgegeben werden, sind noch immer viele Hürden zu überwinden. Rund fünf bis sechs Prozentpunkte Vorsprung landesweit brauchen die Demokraten derzeit, um trotz aggressiv verzerrter Wahlkreisgrenzen (Gerrymandering) eine Mehrheit im Repräsentantenhaus stellen zu können.

Siegen mit weniger Stimmen

Im Senat, wo kleine – meist ländlich-konservative – Bundesstaaten ebenso zwei Abgeordnete stellen, wie große bevölkerungsreiche und urbane, sieht es kaum anders aus. Zwei von drei republikanischen Präsidentschaftswahlsiegen seit 2000 kamen allein durch eine Mehrheit im Wahlmännergremium zustande, obwohl George W. Bush 2000 und Donald Trump 2016 keine Mehrheit der Stimmen hinter sich vereinigen konnten.

Rufe, den US-Bürgerinnen und Bürgern in Puerto Rico oder im Pazifik ein Mitspracherecht bei der Präsidentenwahl zuzugestehen, verhallen ungehört. Gleichfalls die Forderung nach ihrer Mitsprache im Kongress – oder nach einer Vertretung für die Menschen in Washington D.C. in Repräsentantenhaus und Senat.

Nichts davon ist illegal, vieles basiert auf der Verfassung und für manche der Bestimmungen – etwa die Besetzung des Senats – mag es zu jener Zeit, als sie erlassen wurde, gute Gründe gegeben habe. Aber alles schafft ein unfaires Spielfeld, das nicht nur den Demokraten schadet, sondern auf lange Sicht auch den Republikanern.

Wankender Glaube an die Demokratie

Denn wenn der Glaube an eine faire Demokratie einmal gebrochen ist, fehlt auch jener an die demokratische Legitimation, daran, dass Regierende zwar vielleicht nicht das tun, was ihre Gegner wollen, aber doch das, wozu sie von einer Mehrheit der Bevölkerung ermächtigt sind.

Auf Dauer ist das ein brandgefährlicher Zustand. Wenn Trumps Einlassungen nun dazu führen, dass das mehr Menschen bewusst wird, ist zumindest der erste Schritt gesetzt, nach dem ehrlich darüber geredet und eine Lösung gesucht werden kann. Gelänge das, müsste man ihm zumindest in diesem einen Punkt – hoffentlich nach seiner Abwahl – auf bizarre Weise dankbar sein. (Manuel Escher, 16.8.2020)