Ein integratives nationales Sprachkonzept benötigt Politik, das Deutsch als Gemeinsamkeit begreift, so der Politik- und Medienberater Peter Plaikner im Gastkommentar.

Für mehr als jeden zweiten Schüler in Wien ist Deutsch nicht Umgangssprache. Durch Ausplaudern dieser Studie speziell in der Krone gelang ausgerechnet der Ministerin für Integration die heimlich angestrebte Polarisierung. Susanne Raab hat einen Sturm im Wasserglas ausgelöst. Ein Lehrbeispiel politischer Kommunikation.

Dialekt, Dirndl und Lederhose: Die Überhöhung der Umgangssprache zu Landesidentität dient der Abschottung.
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Doch im Agenda-Setting von gestern lauert das Qualitätsproblem von morgen. Würde die Statistik alle erfassen, die fast nur im Dialekt reden – oder bloß jene, die es nicht anders können –, wäre Deutsch als Umgangssprache lediglich eine elitäre Minderheitenkompetenz in Österreich. Die Pflege von Mundart statt Hochsprache ist ein provinziell begonnenes und urban übernommenes Konzept für parteiliche Hegemonie anhand fragwürdiger Heimatdefinition. Es begrenzt die Ansprüche an Landespolitik, die nur sich selbst genügen will. Wer indirekt die eigene Schrift- zur Fremdsprache stilisiert, agiert bildungsfeindlich. Wo Politik sich zu gern im Dialekt anbiedert, beschädigt Volksvertretung wichtige Auslesekriterien: Wording und Rhetorik.

Damit ist kein akzentuiert österreichisches Deutsch vom rollenden R der Vorarlberger über das knackige K der Tiroler bis zu den gedehnten Vokalen der Kärntner gemeint, sondern bewusstes Beharren auf Mundart. Überhöhung der Umgangssprache zu Landesidentität dient der Abschottung. Es ist das Mundstück des populistischen Instruments "Wir gegen die anderen".

Landesverrat Hochdeutsch

Hochdeutsch reden gilt von daham bis z’Hus als suspekt bis zum Landesverrat. Die Kombination von Dialekt, Janker und Dirndl treibt Städter sogar dort in krachlederne Defensive, wo Urbanisierung daheim ist. Die Wiener Wiesn und das Aufsteirern in Graz vermarkten sich als größte Brauchtums- und Volkskulturfeste.

Was als unwillkürlicher gesellschaftlicher Backlash begonnen hat, ist in strategisches politisches Programm gemündet. Die heimliche Sorge, der Globalisierung nicht standzuhalten, baut Barrikaden der Beharrung vor den Ausweg zur Glokalisierung – digitale Veredelung durch regionale Kompetenz. Verschriftlichter Dialekt positioniert den Megatrend Heimat zugleich als Gegenpol wie Komplementär der Technologiebezogenheit: Lederhose kontra Laptop.

Holprig-flotter Dreier

Paradoxerweise befördern die populärsten Online-Anwendungen die Peer-Group-Tradition als Trotz zur All-inclusive-Moderne. Je jünger, desto eher entschlüpfen Anwender der Entwicklung zum Denglisch und tippen stoasteirisch bis achaghackt ins Smartphone. Was mit SMS begonnen hat, setzt sich wider automatische Wortvervollständigung via Whatsapp fort. Der Bildungsauftrag der Schule unterliegt dem Gruppendruck der Community.

Während der holprig-flotte Dreier vom Volkstümlichen, Schlager und Global Pop immer mehr zum nationalen Mainstream gerät, wird aus dem unterschwelligen sprachlichen Heimatvorzug geradezu eine Herkunftsausweispflicht per Dialektfähigkeit. Die Bundespolitik braucht darauf nur mit allfälliger Integrationsbereitschaft zu reagieren. Für Landespolitik hingegen dient der Slang der Hood als Must im Infight mit dem Bürger. Ausnahme Wien: In der Metropole ist der Dialekt in der Defensive. Ungeachtet des Rückgangs von Deutsch als Muttersprache haftet ihm der Hautgout der Unterschicht an. Auf dem Land hingegen ist abgehoben, wer seinesungleichen ohne sprachlichen Fallrückzieher anredet. Ein Dorado für Chamäleons der Zielgruppentuchfühlung.

Grantelndes Wienertum

So wie Sebastian Kurz ohne seine Kirtagtauglichkeit landauf, landab kein Kanzler wäre, hat Michael Häupl ungeachtet urban anderer Verhältnisse das grantelnde Wienertum zum Urgrund der Bürgermeisterei verklärt. Samt Dialekt im Wahlkampf: Mit "Wennst keine Hackn hast" ging die SPÖ 2015 plakativ auf Stimmenfang, während die Grünen nicht "die Pappn halten" wollten und Neos gegen "g’stopfte Politiker" zu Felde zogen. Bloß die FPÖ verzichtete auf Mundart. Roter Erdungsversuch kontra blaue Aufstiegsabsicht. Sozialdemokraten und Grüne ließen auch Sujets mit türkischen und arabischen Slogans drucken.

"Leutseligkeit im Dialekt ist ein Rekrutierungsmuster für Mandatare, die sich kaum weiterentwickeln."

Unterdessen wächst in den Bundesländern wieder der gesellschaftliche Stellenwert des Dialekts. In Kombination mit Englisch als Lingua franca birgt das die Gefahr des Bedeutungsverlusts der eigenen Hochsprache. Das entsprechende Trendsurfing nährt falsche Vorstellungen über die Qualifikation für Politik. Anbiederung führt zu Unterschätzung von Anforderung und dient als Steigbügel für Personen in Positionen, denen sie nicht gewachsen sind. Leutseligkeit im Dialekt ist ein Rekrutierungsmuster für Mandatare, die sich kaum weiterentwickeln. Dies fällt wenig auf, solange sie im Umfeld agieren, das ihre Wählerschaft dominiert. Deshalb meiden sie alles darüber Hinausgehende. Teilhabe an einer Europaregion verdeckt oft die Vergnomung von Landespolitik zu bodenständiger Repräsentation.

Soziale Identitätsstiftung

Die Sorge um Deutsch als Umgangsidiom hat den Schönheitsfehler, sich auf migrantische Milieus in Wien zu beschränken. In anderen Bundesländern entwertet die wichtige soziale Identitätsstiftung per Dialekt die Hochsprache für alle, die sie nicht zwingend nutzen müssen. Sie gerät in die Zwickmühle regionaler Unterwanderung und globaler Anglo-Präpotenz. Ein integratives nationales Sprachkonzept benötigt Politik, das Deutsch als Gemeinsamkeit begreift und nicht als politische Kampfzone. Das Projekt "Österreichisch" könnte medial untertitelte Vorarlberger, immer noch vernachlässigte Kärntner Slowenen und simultan übersetzte Wiener Serben zusammenrücken lassen. Und uns auch. (Peter Plaikner, 17.8.2020)