Sie wirken wie aus einer anderen Zeit, die Bilder des Parteitagssommers 2016. In Cleveland huldigten die Republikaner einem Geschäftsmann, den sie noch zwölf Monate zuvor belächelt hatten als unterhaltsamen, gleichwohl chancenlosen Außenseiter. Und Donald Trump verstieg sich zu dem bizarren Satz, er allein sei in der Lage, Amerikas Probleme zu lösen.

In Philadelphia inszenierten die Demokraten unter dem Allerweltsmotto "Stronger Together" eine perfekte Show, bevor Hillary Clinton in einer optimistischen Rede die grenzenlosen Möglichkeiten dieser Welt beschwor und es rote, weiße und blaue Luftballons regnete.

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Statt einer Arena, eines Fahnenmeers und Rednerpults wird es beim demokratischen Wahlparteitag nur Debatten via Videostream geben.
Foto: Reuters / Carlos Barria

Die Halle konnte nicht groß genug, der Jubel nicht laut genug sein. Es war wie immer: Seit 1980, als Rebell Edward Kennedy Präsident Jimmy Carter in letzter Minute von der Spitze verdrängen wollte, bevor Carter das Wahlfinale gegen Ronald Reagan verlor, lassen US-Parteitage an moderne Krönungsmessen denken. Es geht um das Spektakel, um die Gala, um die Werbung. Für ernsthafte Strategiedebatten bleibt kein Raum, jedenfalls nicht vor den Kulissen. Letzteres wird diesmal nicht anders sein, ansonsten aber erleben die Amerikaner zwei Parteitagswochen, wie es sie in ihrer jüngeren Geschichte noch nie gegeben hat.

Kein Publikum

Bei den Demokraten, die am heutigen Montag den Anfang machen, steht bereits fest: Dieser Kongress wird rein virtuell stattfinden. Immer bescheidener wurden die Pläne. Ursprünglich hatte man mit 50.000 Gästen in Milwaukee gerechnet – Delegierte, Aktivisten, Diplomaten, Journalisten, Beobachter aus aller Welt. Wobei schon die Ortswahl als Signal verstanden werden sollte.

Milwaukee ist die größte Stadt von Wisconsin, und in Wisconsin hatte sich Hillary Clinton im Laufe des Wahlkampfes kein einziges Mal blicken lassen. Sie glaubte, den Bundesstaat, der seit 1984 nicht mehr für einen republikanischen Präsidentschaftsanwärter gestimmt hatte, in der Tasche zu haben. Am Wahltag zerbröckelte dort, wie auch in Michigan und Pennsylvania, die "Blue Wall", die blaue Mauer der Demokraten, die einem Erfolg Trumps wie ein unüberwindbares Hindernis im Weg hätte stehen sollen. 2020 eine Convention in Wisconsin über die Bühne gehen zu lassen, das hatte auch etwas von Reue, vom Eingeständnis vermeidbarer Fehler.

Kongressort: Zu Hause

Was indes seit Ausbruch der Pandemie folgte, war ein Rückzug auf Raten. Das Coronavirus zwingt die Regisseure nahezu komplett ins Digitale. Der akuten Ansteckungsgefahr in vollbesetzten Hallen Rechnung tragend, fällt die Inszenierung vor großem Publikum aus. Immerhin hatte Joe Biden noch Anfang August vor, in die Stadt am Michigansee zu fliegen, um sich offiziell zum Kandidaten küren zu lassen.

Aber auch daraus wird nichts. Der 77-Jährige, der sich nur selten aus seinem Haus in Wilmington wagt, wendet sich aller Voraussicht nach von seinem Heimatstaat Delaware aus an die Delegierten, die wiederum statt in einer Arena vor Bildschirmen sitzen.

Obama, Clinton & Co

Auch die übrige Parteiprominenz verzichtet auf Milwaukee. Michelle Obama, die am Montag den Reigen eröffnet, hat ihre Rede bereits im Urlaubsdomizil auf der Insel Martha’s Vineyard aufzeichnen lassen. Barack Obama kommt am Mittwoch dran, ob live oder nicht, bleibt abzuwarten. Ebenso Kamala Harris, die Bewerberin für die Vizepräsidentschaft. Zwischendurch sind die Clintons an der Reihe, Bill und Hillary, außerdem Bernie Sanders, die Galionsfigur der Linken.

Dass es doch nicht ganz ohne Show geht, zeigt die Tatsache, dass man einem Profi, der die Halbzeitshow des Super-Bowl-Footballfinales konzipierte, die Regie übertragen hat.

Unklarheiten bei den Republikanern

Wie es Trumps Republikaner in der Woche darauf halten, ist noch nicht restlos geklärt. Nach aktuellem Stand soll sich ein eher symbolisches Kontingent in Charlotte versammeln, der Metropole des Bundesstaats North Carolina, dessen demokratischer Gouverneur mahnte, bei Großveranstaltungen doch bitte auf Abstandsregeln zu achten.

Trump, der die Vorschriften als Zumutung empfand, entschied daraufhin, seinen Auftritt in Jacksonville zu zelebrieren, in Florida, wo ihm ein loyaler, republikanischer Gouverneur freie Hand lassen würde. Weil aber Florida zum Corona-Hotspot geworden ist, musste er wohl oder übel einen Rückzieher machen. Nun soll ihm das Weiße Haus als Kulisse dienen, vielleicht auch Gettysburg, Schauplatz einer entscheidenden Schlacht des Amerikanischen Bürgerkriegs.

Buhlen um den linken Flügel

Im Grunde dürfte Biden nichts dagegen haben, dass die Show im pandemiegeplagten Amerika um ein paar Nummern kleiner ausfällt als sonst. Er ist kein mitreißender Redner, eher ein Praktiker, 36 Jahre Senator, acht Jahre Vizepräsident, der Inbegriff von Regierungserfahrung. Ein Präsident Biden, macht er deutlich, wäre nur eine Übergangsfigur: die Brücke zur nächsten Generation.

So wird der Fokus denn auch auf Kamala Harris liegen, der Senatorin aus Kalifornien, mit der er das Duell gegen Trump und dessen Vize Mike Pence bestreitet. Sollte er die Wahl gewinnen, könnte sie ihn dereinst im Oval Office ablösen.

Wie Biden gilt sie als moderat, weshalb es Trump schwerfallen wird, die Karikatur einer linken Revolutionärin zu zeichnen. Die Herausforderung für Biden besteht nun eher darin, den linken Flügel zu gewinnen, der auf eine progressivere Stellvertreterin gehofft hatte. Wie er den Spagat zu meistern gedenkt, darauf dürfte sein virtueller Kongress erste Antworten geben. (Frank Herrmann aus Washington, 17.8.2020)