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Der Berg an unveröffentlichten Auftragsstudien wächst in österreichischen Ministerien von Jahr zu Jahr. Doch für die Zukunft ist mehr Transparenz vereinbart.

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Die Regierung will mehr wissen, als sie wissen lässt. 206 Studien haben die Ministerien seit letztem Sommer beauftragt – zu Beginn des Betrachtungszeitraums war dafür also die parteilose Übergangsregierung verantwortlich, seit dem Jahreswechsel ist es die türkis-grüne Koalition.

Rund ein Drittel der Studien wird jedoch wohl nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken, wie eine parlamentarische Sammelanfrage der Neos ergab. Denn obgleich die Wissensproduktion aus Steuergeld finanziert wird, sind diese Studien nur für den "internen Gebrauch" der Ministerien bestimmt. Wie und ob deren Erkenntnisse in politisches Handeln einfließen, lässt sich bestenfalls erahnen – überprüfbar ist es von außen nicht.

Kosten und Anzahl von Regierungsstudien unterscheiden sich im Vergleich zu den Vorjahren kaum. Bei der Veröffentlichung der öffentlich finanzierten Erkenntnisse gibt es auch weiterhin Luft nach oben.
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Geheimer Paradigmenwechsel

Bis sich daran im notorisch geheimniskrämerischen Österreich etwas ändert, dürfte noch ein Weilchen vergehen, denn Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) dämpfte zuletzt die Erwartungen auf eine rasche Umsetzung des paktierten Informationsfreiheitsgesetzes. Um sich auf die Wende weg vom Amtsgeheimnis hin zu mehr Transparenz einzustellen, bräuchten die Behörden eine zumindest einjährige Übergangsphase, sagte Edtstadler der Presse.

Für eine andere Art von Wende interessierte sich offenbar jüngst das Bildungsministerium. Dort wurden für eine Studie 14.000 Euro an eine Beraterfirma gezahlt – klingender Arbeitstitel: "Paradigmenwechsel in der Forschung, explorative Studie zu einem neuen Modell für Good Science." Paradigmenwechsel samt Modell bleibt den interessierten Bürgern allerdings verschlossen, denn die Studie wird nicht publiziert. Fragt man im Ministerium nach dem Grund für die Nichtveröffentlichung, erhält man die mitunter tautologisch anmutende Antwort, die Studie diene eben nur "internen Zwecken". Selbst so oberflächliche Informationen wie die Namen der Autoren und deren akademische Fachdisziplin wollte man gegenüber dem STANDARD nicht preisgeben.

Gutachten über Kopftuchverbot

Namentlich bekannt ist hingegen die Autorin eines weiteren Papiers im Auftrag des Bildungsministeriums: Die Juristin Katharina Pabel wurde um ein rechtliches Gutachten zum Thema Kopftuchverbot ersucht. Die konservative Rechtsprofessorin war 2018 von der türkis-blauen Regierung als Richterin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgeschlagen worden, fiel dann aber beim Hearing in Luxemburg durch und konnte die Stelle nicht antreten.

Es steht zu vermuten, dass Pabels Gutachten der Vorbereitung des Kopftuchverbots für Schülerinnen im Alter bis zu 14 Jahren dienen soll, das Türkis-Grün auf Betreiben der ÖVP ins Koalitionsprogramm geschrieben hat. Gerade in dieser politisch so heiklen und umkämpften Debatte wäre es aufschlussreich zu erfahren, mit welcher Expertise sich Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) munitioniert. "Wäre", denn auch hier darf die Öffentlichkeit nicht mitlesen.

Zahlen im Dunkeln

Insgesamt hat Faßmanns Ressort 24 Studien um rund 855.000 Euro in Auftrag gegeben, nur 15 sind allerdings nach jetzigem Stand zur Veröffentlichung bestimmt. Besonders bekannt ist die damals mit Spannung erwartete Dunkelzifferstudie von Sora, die Anfang April auf eine sehr geringe Durchseuchung der Bevölkerung mit dem Coronavirus hinwies. 250.000 Euro bekam das renommierte Institut für die Erhebung.

Spitzenreiter bei Anzahl und Kosten der Studien ist das Verkehrsministerium, das mit dem Regierungswechsel zu Jahresbeginn auch die Umweltagenden aus dem Landwirtschaftsministerium dazubekam und seither als "Klimaministerium" firmiert. Rund 2,8 Millionen Euro wurden für 62 Aufträge veranschlagt. 14 wurden bereits veröffentlicht, bei 23 ist eine Publikation geplant, 25 bleiben allerdings den inneren Augen des Ministeriums vorbehalten. So etwa ein "Strategiekonzept für den unbegleiteten kombinierten Verkehr in Österreich", das zwei Consulting-Unternehmen um 110.000 Euro ausarbeiten sollten. Auch die "Handlungsoptionen für Technologieentwicklung im Bereich der Kreislaufwirtschaft", die eine Unternehmensberatung zum Preis von 24.000 Euro aufzeigen sollte, werden außer der Behörde niemandem zur Verfügung stehen.

Mehr Veröffentlichungen angestrebt

Im grün geführten Klimaministerium von Leonore Gewessler ist man sich der Problematik versteckter Studien bewusst. Nicht zuletzt weil die Grünen seit Jahren für einen gläsernen Staat trommeln und das geplante Transparenzgesetz nach den Koalitionsgesprächen mit der ÖVP als großen Verhandlungserfolg für sich verbucht haben.

Doch Studien, die noch im letzten Jahr – also vor Antritt der neuen Regierung – beauftragt wurden, könne man nun nicht im Nachhinein einseitig veröffentlichen, wenn Gegenteiliges vereinbart wurde, heißt es aus Gewesslers Ministerium. Für die Zukunft plane man aber jedenfalls einen offenen Umgang mit Auftragsstudien. Auch bei Papieren, die als Grundlage für interne Entscheidungsfindung im Klimaministerium erstellt werden, strebe man künftig "in den meisten Fällen" eine Veröffentlichung an.

Aufträge von beiden Seiten

In manch anderem Ressorts stellt sich die Frage nach der Publikation weniger – etwa im Außenministerium, das seit einem Jahr überhaupt keine Studie veranlasst hat und Derartiges in nächster Zeit auch nicht zu tun gedenkt.

Was übrigens auch möglich ist: der Seitenwechsel von der Auftraggeberin zur Auftragnehmerin von Regierungsstudien. Sophie Karmasin war bis Ende 2017 auf einem ÖVP-Ticket als Familienministerin im Amt. Als Motivforscherin und Eigentümerin der Karmasin Research Identity GmbH wurde ihr vergangenen Sommer vom Finanzministerium ein 44.000 Euro schwerer Auftrag für eine Erhebung zum Thema Medikamentenfälschung zuteil. (Theo Anders, 17.8.2020)