Daniel Barenboim am Dirigentenpult.

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Es begann mit einem kräftigen Schuss Weichspüler und Richard Wagners Siegfried-Idyll für Kammerorchester WWV 103. Ein Geburtstagsständchen für die Frau Gemahlin zur "Erinnerung" an die Geburt des einzigen Sohnes, uraufgeführt im Stiegenhaus jener kleinen Villa in Tribschen bei Luzern, für die Wagner nicht immer ganz regelmäßig die Miete aufzubringen wusste: Das Tribschener Idyll wurde von Daniel Barenboim und dem West-Eastern Divan Orchestra in Kammerorchestergröße als Idyll mit Vogelgesang und Sonnenaufgang zelebriert, bei geöffnetem Fenster, aber zugezogenen Voile-Vorhängen, auf dass die Sonne Mutter und Kind nicht blende.

Und dann – es war ein ganz erstaunlicher, ja radikaler Kontrast – die dramatisch aufsteigenden aufbegehrenden Fanfaren von Arnold Schönbergs Kammersymphonie Nr. 1 E-Dur für 15 Soloinstrumente op. 9. Präzise die vorwärtsdrängenden Passagen erhellend, die wenigen ruhigen Momente nicht auswälzend, sondern in ihrer Struktur schärfend, führte Barenboim Ensemble und Zuhörer durch das einsätzige Schlüsselwerk. Die schnörkellose, zugleich musikantische Wiedergabe vermittelte das Gefühl, auf einem Grat zu stehen mit Aussicht auf eine nie heil gewesene Walzervergangenheit hüben und eine unbehauste Zukunft drüben. Spannend.

Boulez und Beethoven

Geradezu entspannend wirkte danach Pierre Boulez’ Mémoriale (... explosante-fixe ... Originel) für Soloflöte und acht Instrumente (1985) mit dem Solisten Emmanuel Pahud, interpretiert als in sich kreisendes, von hellen Schmetterlingen und dunklen Faltern umspieltes Gedankenverloren-Sein. Pahud, der schon in der Kammersymphonie den Flötenpart gespielt hatte, als Gleicher unter Gleichen, trat auch in Mémoriale nicht als Solist "hervor", sondern war mit seinem virtuosen – und virtuos gespielten – Part dem Ensemble ein Ansprechpartner im Klangzentrum. Die in beiden Werken markanten Hornstimmen wurden virtuos und geschmeidig umgesetzt von den Hornisten des West-Eastern Divan Orchestra.

Vor Beethovens Großer Fuge B-Dur op. 133, ihren kontrapunktischen Undurchschaubar- und Gewalttätigkeitenhaben seine Zeitgenossen die Waffen gestreckt. Barenboim und die Seinen boten im Großen Festspielhaus mit der Fassung für Streichorchester die Variante "menschliches Maß". Die markanten Themeneinsätze bieten Gelegenheit genug zum Ausleben von Gewaltfantasien. So etwas gibt’s bei Barenboim natürlich nicht. Beinah geschmeidig, immer wendig, oft sogar geschmeidig, bot diese Wiedergabe einen gangbaren Plan zur Erkundung des komplexen Höhlensystems. Ein reizvolles Programm, weit gespannt über die Musikgeschichte, spannende Interpretationen. Ein beeindruckendes Konzert. (Heidemarie Klabacher, 18.8.2020)