Schärfte an den Dichtungen von Charles Baudelaire seinen Sinn für die notwendige Fremdheit poetischer Erzeugnisse: Walter Benjamin (1892-1940), Sprachphilosoph.

Foto: Akademie der Künste, Berlin

Den Dichtungen Charles Baudelaires schenkte Walter Benjamin seine ganze, unwandelbare Liebe. In ihren Dienst stellte er auch seine beträchtlichen Fähigkeiten als Übersetzer aus dem Französischen. Über den Zeitraum von neun Jahren hinweg, etwa bis 1923, schlug sich Benjamin mit Versuchen herum, die "Tableaux Parisiens" zu übertragen – von der Faszination für den Moloch Großstadt gepackt, von den eher morbiden Aspekten einer Welt im Halbdunkel nie mehr losgelassen.

Frappieren ließ sich Benjamin wohl ausgerechnet von einer Erfahrung der Fremdheit, wie sie einzig der Sprachmagie zu eigen ist. Sein Aufsatz "Die Aufgabe des Übersetzers" (1921/23) räumt dem Sprachvermögen denn auch den denkbar höchsten Wert ein. Doch wichtig an sprachlichen Gebilden sei ausdrücklich nicht dasjenige, was ihren Gebrauchswert ausmacht: dass sie uns, wie unklar auch immer, etwas mitzuteilen haben. Die Aufgabe des Übersetzers besteht laut Benjamins Auffassung eher in der Wachhaltung jener Erfahrung, die Fremdheit und Unverständnis mit einschließt.

Schlecht übersetzt, wer die "ungenaue Übermittlung eines unwesentlichen Sachverhalts" liefert. Demgegenüber kann das Fortleben großer (Sprach-)Kunstwerke nur durch Übersetzungen sichergestellt werden: Die "Nachreife" des einmal Festgelegten wird so zum Ausweis ihres Fortbestands. Das Werk tritt durch die Übertragung erst ein in die geschichtliche Zeit.

Hang zur Universalpoesie

Unterscheiden sich die "Arten des Meinens" in den jeweiligen Sprachen, so eint beide doch das gemeinsam "Gemeinte". Gegen Abbildungsfunktionen verwehrt sich Benjamin brüsk. Eher schon teilt er mit den deutschen Frühromantikern einen Hang zur "progressiven Universalpoesie". Erst durch Übersetzung und Kritik werden Kunstwerke auf höhere Stufen der Reflexion gehoben. Für ihr Fortbestehen wird dadurch eine Art von Unendlichkeit postuliert, denn: So wenig es Leben ohne Überleben gibt, so wenig gibt es Setzung ohne Übersetzung.

An der Dunkelheit von Walter Benjamins früher Übersetzungstheorie sind diverse Lichtträger der Aufklärung eindrucksvoll gescheitert. Die Suche nach einer "wahren Sprache", die irgendwo zwischen Ausgangs- und Zielsprache zu liegen kommt, zehrt vom Glauben an eine letztlich "unmögliche" Bewegung.

Die Produktion von immer neuen Übersetzungen liefert Anhaltspunkte für die Verborgenheit dessen, was gemeint ist, was aber nicht – und schon gar nicht benennend, das heißt: namentlich – ausgesagt werden kann. Alle einzelnen Sprachen verhalten sich zueinander eher wie die Scherben eines zerbrochenen Gefäßes, die, aneinandergelegt oder "angebildet" (Benjamin), den Sachverhalt bezeugen, den sie nie zur Gänze herstellen können.

Arten des Meinens

Das Aufscheinen eines "Nichtmitteilbaren" ist für Benjamin wesentlich. Gerade in den Werken der Sprachkunst bleibt die "wahre Sprache", die alle babylonischen "Arten des Meinens" miteinander versöhnt, ewig im Kommen. In der "Fremdheit", die die Übersetzung aus der Ausgangssprache in die neue mit herüberzieht, bleibt das Bedürfnis nach unendlicher Ergänzung virulent.

Von der geduldigen Befragung überkommener Zeugnisse und Artefakte hat Walter Benjamin – gerade mit Blick auf das Paris von Charles Baudelaire – bis zu seinem Tod 1940 nicht mehr abgelassen: ein unentwegter Transfer des Wissens. Durch ihn wollte der Philosoph die unverstanden gebliebenen Zeugnisse des Elends zur Preisgabe zwingen: dessen, was sie an Hoffnungen für uns Nachgeborene bergen. (Ronald Pohl, 19.8.2020)