Auch am Dienstagabend demonstrierten wieder zahlreiche Menschen in Belarus gegen Machthaber Alexander Lukaschenko.

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Die für die brutale Gewalt gegen friedliche Demonstranten verantwortlichen Kräfte in Regierung und Sicherheitsapparat des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko können sich auf baldige Sanktionen durch die Europäische Union einstellen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach sich am Mittwoch dafür aus, derlei Strafmaßnahmen so bald wie möglich umzusetzen.

Trotz Warnungen aus Moskau hat von der Leyen auch eine finanzielle Unterstützung von Anhängern der neuen Demokratiebewegung in Belarus (Weißrussland) angekündigt. Die EU-Kommission werde zwei Millionen Euro für die Opfer von Repression und nicht hinnehmbarer Staatsgewalt bereitstellen.

Wahl "weder fair noch frei"

Fest steht aber vor allem: Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitglieder werden das Ergebnis der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus nicht anerkennen. Das erklärte EU-Ratspräsident Charles Michel am Mittwoch nach einem Video-Sondergipfel zur politischen Krise dort. Die Abstimmung am 9. August sei weder fair noch frei gewesen, so Michel.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz zeigte sich mit dem Ergebnis des Gipfels zufrieden: "Wenn es um Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte geht, darf die EU nicht wegschauen", so Kurz. "Alle waren wir uns heute auch einig darin, die Gewalt gegen friedliche Demonstranten auf das Schärfste zu verurteilen, die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl nicht anzuerkennen, die Freilassung politischer Gefangener sowie einen politischen Dialog zwischen Lukaschenko und der Opposition zu fordern."

Dem Land und seinen demokratischen Kräften soll im Gegenzug nun aber offenbar auch geholfen werden, einen friedlichen Neustart hinzubekommen. "Dieses Vorgehen ist Teil der östlichen Partnerschaft" der EU, die auch Belarus mit einschließt, hieß es in diplomatischen Kreisen in Österreich noch vor Beginn des Gipfels. Lukaschenko habe "die Lage völlig falsch eingeschätzt", was die Gemeinschaft nun zum Handeln geradezu zwingen würde.

Zwickmühle vermeiden

Die Gretchenfrage freilich ist: Wie weit sollte die EU gehen, ohne eine weitere Eskalation zu riskieren und ohne den angeschlagenen Lukaschenko noch näher in Richtung Moskau zu treiben? Anders als manche Partner in der EU wollte sich die österreichische Regierung für "ein nuanciertes Reagieren" einsetzen. Auch Ratspräsident Michel erklärte nach dem Gipfel folgerichtig: "Bei den Protesten in Belarus geht es nicht um Geopolitik."

Rasche und einfache Lösungen sind nicht in Sicht. Obwohl die Union die jüngsten Wahlen nicht anerkennt, verweist man darauf, dass es seit der Vereinbarung der privilegierten EU-Partnerschaft vor gut einem Jahrzehnt – neben ähnlichen mit Georgien, Armenien, Aserbaidschan, später auch der Republik Moldau und der Ukraine – zu Belarus an sich gute Beziehungen gebe. Die wechselseitige wirtschaftliche wie politische Annäherung zu dem seit dem Zerfall der Sowjetunion isolierten GUS-Staat hat teilweise funktioniert.

Vermittler im Ukraine-Konflikt

EU-Sanktionen gegen das autoritäre Regime in Minsk wird es jedoch nicht zum ersten Mal geben. Bereits 2011 kam es nach heftigen Wahlmanipulationen zu restriktiven Maßnahmen gegen den Präsidenten von Belarus und dutzende weitere Personen, auch zu einem Waffenembargo. Aber: In den kritischen Jahren des Bürgerkriegs in der benachbarten Ukraine hat sich Lukaschenko auch als Brückenbauer zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und den EU-Regierungschefs versucht. Er habe sich eine gewisse Eigenständigkeit im Verhältnis zu Russland erarbeitet, der EU politisch geholfen, meint Außenminister Alexander Schallenberg.

Als einer der ersten Befürworter der Lockerung trat einst Österreich stark hervor – der heutige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) war im März 2014 Außenminister unter SPÖ-Kanzler Werner Faymann geworden, mitten im Bürgerkrieg in der Ukraine. Unterstützt von Bundespräsident Heinz Fischer, traten die beiden für eine "weiche" Linie gegenüber Belarus ein, für die Verstärkung des Dialogs und der gegenseitigen Besuchsdiplomatie.

Österreich als "Brückenbauer"

So ist es nicht überraschend, dass Österreich nun wieder "als Brückenbauer" auf den Plan tritt. Rund 100 österreichische Unternehmen sind in Belarus tätig. 2019 wurden 368 Millionen Euro investiert, in den Bereichen Telekom und Mautsysteme, im Banken- und im Holzsektor. Österreich ist zweitgrößter Investor im Land Lukaschenkos, der 2019 auf Staatsbesuch in Wien war. Anders als die unmittelbaren EU-Nachbarn von Belarus wie Polen oder Litauen, die ein härteres Vorgehen verlangten, setzte die österreichische Diplomatie auf einen friedlichen Wandel durch freiwilligen Verzicht von Lukaschenko. Strafen solle es nur gegen jene Sicherheitskräfte geben, die für Gewalt gegen Demonstranten verantwortlich sind, nicht aber für Lukaschenko.

Das Problem aus EU-Sicht: Es gibt in Belarus keine gut organisierte Opposition, sie werde erst lernen müssen, auf eigenen Beinen zu stehen. Österreich wie auch die EU als Gesamtes haben jedenfalls keinerlei Interesse daran, dass die politische Krise in Belarus außer Kontrolle gerät, Lukaschenko eine "gewaltsame Lösung" sucht. In Brüssel rechnet man mit weiteren Krisengipfeln. Bereits Mitte September will der Ständige Ratspräsident den nächsten EU-Sondergipfel in Brüssel einberufen. (Thomas Mayer und Gerald Schubert, 19.8.2020)