Bensdorp-Kakao, Grammeln, Maresi-Kaffeemilch und Kokoskuppeln – in der kleinen Greißlerei gibt es alles für den täglichen Bedarf. Und was auffällt: Hier gibt es Produkte von früher. Das ist kein Zufall, auch Lebensmittel sind Erinnerung. Der Kundenstamm sind die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegewohnhauses San Damiano im 13. Wiener Gemeindebezirk. Die Greißlerei liegt direkt im Gebäude.

Das Haus hatte im wahrsten Sinne Glück im Unglück. Denn nur zwei Wochen vor dem Corona-Lockdown ist das neu gebaute und seit vielen Jahren geplante Pflegewohnhaus bezogen worden. Aus zwei Häusern wurde eines. Ab dann lief vieles anders als geplant, erzählt Geschäftsführerin Friederike Elisabeth Hacker. Die neue Kapelle wurde bisher kaum genutzt, im Kreativraum wird nun nicht gebastelt, sondern es können Besuche empfangen werden.

Freude über die Abwechslung

Bei unserem Besuch an einem der heißesten Tage im Sommer findet zum ersten Mal eine jener Veranstaltungen statt, die ursprünglich für die Bewohnerinnen und Bewohner geplant waren: ein Jazzkonzert im Garten. Die Sessel sind in dem empfohlenen Abstand zueinander aufgestellt, auch die Sonnenschirme stehen.

Die ersten Zuhörerinnen – zwei Bewohnerinnen des Heims – haben bereits Platz genommen, auch wenn das Programm erst in ein paar Stunden losgeht. Die Freude über die Abwechslung im Corona-Alltag ist enorm.

"Wir feiern sehr viel", sagt Hacker. Darauf zu verzichten sei vielen Bewohnerinnen und Bewohnern schwergefallen. Normalerweise gibt es Tanzveranstaltungen, Fünf-Uhr-Tee für Senioren, Konzerte, Animateure sowie Seelsorger, die ins Haus kommen.

Das im Haus ansässige Café Francesco hat seit Mitte Mai wieder geöffnet ebenso wie der interne Frisier- und Fußpflegesalon. "Der Friseur ist allen am meisten abgegangen", sagt Hacker mit einem Lachen.

Große Vorsicht

Eine Infektion mit Sars-CoV-2 ist vor allem für ältere Menschen und jene mit Vorerkrankungen gefährlich, weil sich ihr Organismus mit der Entwicklung von Antikörpern schwertut. Das macht Alten- und Pflegeheimen zu Orten, an denen besondere Vorsicht herrschen muss.

Mit 260 Fällen ist rund ein Drittel aller Covid-Sterbefälle in Österreich auf Infektionen in Alters- und Pflegeheimen zurückzuführen. 923 Ansteckungen gab es laut einer Studie des Gesundheitsministeriums bis 22. Juni insgesamt in solchen Einrichtungen. Die Zahl der Infektionen beim Personal liegt bei 500, hier gab es keinen Todesfall.

Plötzlich nur noch mit Maske: Das kann auch Angst machen.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

Im Pflegewohnhaus San Damiano gab es in dieser Pandemie noch keinen Corona-Fall. Dennoch ist man sich der Gefahr bewusst. "Wir haben hier die Gruppe mit dem größten Risiko", sagt Hacker. Daher wird auf den Stationen versucht, mehr Abstand zu halten.

Auch wenn das nicht immer leichtfällt, wie ein Besuch im Wohnzimmer der Wohngruppe Gelbe Rose zeigt. Eine Bewohnerin mit einem breiten Lächeln im Gesicht überrascht eine der Mitarbeiterinnen von der Seite und nimmt sie fast überfallartig in den Arm – eine Geste, die in Corona-Zeiten eigentlich verboten ist.

Schnell wird klar: Den Menschen, die hier leben, fehlt die Nähe zu anderen, immer wieder wollen sie an der Hand oder in den Arm genommen werden. "Menschen brauchen Menschen, besonders am Ende eines Lebens", weiß auch die niederösterreichische Pflegeanwältin Lisa Haderer. Der Lockdown habe gerade in jener Gruppe, die geschützt werden sollte, viel Leid verursacht, glaubt sie.

Fixpunkt des Tages

Nun gibt es Mittagessen in der Gelben Rose. Auf dem Speiseplan stehen Putengeschnetzeltes mit Bandnudeln oder Krautfleckerl. Das Essen wird auf geblümten, altmodisch wirkenden Tellern serviert. "Es ist zwar nagelneu, aber optisch angepasst an die Altersgruppe", sagt Hacker.

Ein Bewohner führt seiner Sitznachbarin gerade einen Löffel Nudeln zum Mund und tupft ihr anschließend liebevoll mit einer Serviette die Mundwinkel ab. "Gemeinsam essen, das fördert das Befinden unserer Bewohnerinnen und Bewohner ungemein", sagt Hacker. Sie freut sich, dass es im neuen Haus noch mehr Freude machen dürfte. Viele hätten sogar etwas zugenommen, seit sie hier eingezogen sind, erzählt sie.

Auch Besuche müssen in Zeiten von Corona neu geregelt werden. Wie diese ablaufen, handhaben die Pflegeheime ganz unterschiedlich, sagt die Pflegeanwältin Haderer. Vor allem am Anfang der Pandemie seien sehr viele Pflegeheime überfordert gewesen und hätten aus Angst sehr rigide Zugangsbeschränkungen für Angehörige etabliert oder den Bewohnerinnen und Bewohnern den Ausgang verwehrt, weiß Haderer. Obwohl: "Die Familie oder der Besuch von Freunden ist ja oft das Einzige, was den alten Leuten noch Freude im Leben bereitet", sagt sie.

Weniger Besuchszeiten

Im Pflegewohnhaus San Damiano sind die Besuchszeiten heute wieder großzügiger. Die Angehörigen vereinbaren einen Termin, werden nach Symptomen befragt, ihre Temperatur wird gemessen, und ihre persönlichen Daten werden aufgenommen. Danach können sie im Garten oder in einem Raum im Erdgeschoß für eine Stunde die Bewohnerin oder den Bewohner treffen – mit Abstand und Mund-Nasen-Schutz. 16 Besucher pro Tag sind möglich. Das ist mehr, als derzeit nachgefragt wird, sagt Hacker.

Wenn menschlicher Kontakt eine potenzielle Gefahr ist, verändert das den Alltag. Auch wenn die Maske nicht unterhalb der Nase getragen werden sollte – bei Menschen mit Demenz ist es wichtig, dass sie gelegentlich das Gesicht ihres Gegenübers sehen, weiß man im Pflegewohnhaus.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

Zwei Monate lang gab es aber auch hier keine Besuche. "Das war eine sehr triste Zeit. Wir mussten den Angehörigen oft erklären, dass wir niemanden absichtlich fernhalten", sagt Hacker. Daher habe man im März Videotelefonate organisiert. "Wir haben ein Handy dafür gekauft und sogar einen Selfie-Stick", erzählt Hacker schmunzelnd. Für viele der Bewohnerinnen und Bewohner sei das irrsinnig aufregend gewesen – "das erste Mal videotelefonieren".

Der Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner kann die Hygienemaßnahmen nachvollziehen. Schwieriger war es für Menschen mit Demenzerkrankungen, die nicht verstehen konnten, warum sie keinen Besuch bekommen, warum Abstand gehalten werden muss oder das Personal plötzlich Masken trägt. "Wie wir alle haben auch sie eine solche Situation nie zuvor in ihrem Leben erlebt", sagt Hacker.

Zusammenhalt im Team

Dreieinhalb Monate hat das Personal im ganzen Haus in zwei Gruppen gearbeitet. "Viele Kollegen habe ich ganz lange nicht gesehen", erzählt Lucia Chmelova, eine der Wohnbereichsleiterinnen. Während des Lockdowns konnte das Personal auch im Haus übernachten. "Das wurde gerne und viel angenommen", sagt Hacker.

Gerade am Anfang der Pandemie habe es bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viele Unsicherheiten gegeben – doch mittlerweile haben sie sich an vieles gewöhnt. "Wir reden untereinander viel über alles, was gerade passiert – das hilft", sagt Chmelova. Eine Konsequenz davon sei, dass das Team nun besser zusammenhalte.

In anderen Heimen sind die Herausforderungen durch Corona größer, weiß Lisa Haderer: "Es gibt Personalengpässe, die Leute dort arbeiten auf Anschlag." Wolfgang Resch (Name geändert, Anm.) arbeitet in einem Pflegeheim in Niederösterreich und berichtet von strengen Einschränkungen auch im Privatleben der Mitarbeiter, die während der Pandemie vom Arbeitgeber vorgeschrieben wurden.

Zudem sei die Arbeit mit Maske, gerade bei körperlichen Anstrengungen wie dem Waschen oder der Lagerung der Pflegebedürftigen, extrem anstrengend.

Pflegende Angehörige

Einerseits, glaubt Pflegeanwältin Haderer, sind Besuchsverbote eine zusätzliche Belastung für das Personal, weil viele Angehörige auch pflegerische Tätigkeiten übernommen haben und diese Unterstützung nun wegfällt.

Andererseits seien die Besuche von Angehörigen oft auch für das Personal belastend, sagt Resch, weil sie viele Forderungen stellen und für ihre zu pflegenden Angehörigen oft eine Sonderbehandlung wollen, die dank knapper Personalressourcen nicht möglich ist. Insofern sei das Besuchsverbot auch eine Entlastung.

Mittagessen im Pflegeheim San Damiano im 13. Bezirk in Wien. Besuche von außerhalb wurden eingeschränkt.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

Vor allem in der ersten Phase der Pandemie haben viele Pflege-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter auch vom sogenannten Corona-Shaming berichtet. "Komm nicht näher, du arbeitest im Pflegeheim und hast sicher Corona" oder "Dort im Pflegeheim haben ja alle Corona" lauteten Sätze, die Resch immer wieder gehört hat.

Bei manchen Freunden habe er das Gefühl gehabt, sie hätten ihn gemieden – aus Angst um die eigene Gesundheit. Er versteht dieses Denken nicht: "Immerhin sind ja nicht wir die Gefahr oder die Menschen, die wir pflegen – es sind alle anderen, die für die älteren Menschen gefährlich werden könnten, wenn sie infiziert sind."

Ausreichend Schutzkleidung

Im San Damiano sind die Teller mittlerweile leer gegessen und die Vorfreude auf den Kuchen sowie das Jazzkonzert am Nachmittag ist groß. Jetzt im Sommer laufen die Veranstaltungen langsam wieder an.

Man sei jedenfalls für den Herbst gerüstet, sagt Hacker. Es gibt einen Pandemieplan, der genau vorgibt, wer bei einem Verdachtsfall was tun muss. Sollte jemand im Haus erkranken und nur leichte Symptome zeigen, kann er oder sie auch vor Ort betreut werden. "Wir haben derzeit genug Schutzkleidung", sagt Hacker.

Das sei in den letzten Monaten nicht immer der Fall gewesen. Das zeigt auch eine Befragung der Volksanwaltschaft, wonach von 166 Heimen Mitte Mai nur 85 Prozent über ausreichende Schutzkleidung verfügten.

Große Verantwortung

Insgesamt hält Hacker das Management der Pandemie in der Stadt Wien für gelungen, sie wünscht sich jedoch, dass Tests noch schneller werden. Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie neue Bewohnerinnen und Bewohner testet das Haus derzeit noch auf eigene Kosten. Auch weil man als Pflegeheimbetreiber eine große Verantwortung trage in dieser Situation.

Pflegeanwältin Haderer plädiert hingegen dafür, den Menschen wieder mehr Eigenverantwortung zurückzugeben: "Angehörige wollen doch auch niemanden anstecken. Und es gibt Leute, die ihre Enkel weiterhin sehen wollen. Das sollten sie entscheiden dürfen", sagt sie und glaubt, dass niemand Schuld hat, wenn es zu einer Ansteckung kommt: "An anderen Infekten wie etwa der Influenza ist doch auch niemand schuld." (Bernadette Redl, CURE, 20.9.2020)