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Eigentlich war die illustre Runde im Frühjahr 2018 in die Münchner Villa von Wirecard-Vorstand Jan Marsalek geladen worden, um über Entwicklungshilfe zu sprechen. Doch Marsalek begann das Meeting damit, seine "Jungs in Libyen" zu loben. Diese seien so hart, dass sie "keine Gefangenen nehmen". Bald gäbe es neues Equipment, zum Beispiel Bodycams, aber die Videos davon könne man wohl nicht zeigen – zu brutal. Die meisten der anderen vier Teilnehmer beschleicht ein mulmiges Gefühl. Sie hatten geglaubt, Marsalek wolle Gutes tun.

Die Geschichte beginnt ein halbes Jahr vorher in Wien: Wie kann man Menschen helfen, die aus Afrika nach Europa flüchten wollen und nun im Bürgerkriegsland Libyen feststecken? Mit dieser Frage tauchte im Herbst 2017 der ÖVP-nahe Berater G., der früher im Innenministerium tätig war, beim Flüchtlingsexperten K. auf. Die Involvierten bitten alle darum, ihre Namen abzukürzen. Denn sie fürchten: um ihren Ruf, um ihre Geschäfte – aber sie sorgen sich auch um ihre Sicherheit, denn enden wird diese Geschichte bei den Geheimdiensten dieser Welt. G. sagt K., er habe einen "prominenten", schwerreichen Kunden, der Entwicklungshilfe in Libyen unterstützen will.

Ins Spiel gebracht wurde K. von Mitarbeitern im Innenministerium, das er immer wieder berät. Auf den ersten Blick wirkt alles legitim: G.s Firma hat im Sicherheitsbereich ein gutes Renommee. Als sich der Financier als Jan Marsalek herausstellt, macht sich K. noch keine Sorgen: Damals ist Wirecard ein angesehener Konzern, der von Politikern hofiert wird. Mit dem börsennotierten Zahlungsdienstleister soll das Flüchtlingsprojekt allerdings nur am Rande zu tun haben.

Marsalek hat viele Projekte: Unter anderem ist er an den Zementwerken in Libyen beteiligt, die einst der österreichischen Firma Asamer gehörten. Auch eine Ölbohrinsel soll Marsalek besitzen.

Förderungsversuche

Man lernt einander im Münchner Edelbistro Käfer kennen, nur wenige Schritte von Marsaleks Villa entfernt. Ein paar Meter weiter: das russische Konsulat, dessen Nachbarschaft zu Marsaleks Villa später noch viele Fragen aufwirft. Anfangs stimmt die Chemie mit Marsalek; die Arbeit am Projekt wird aufgenommen. Drafts liegen STANDARD und "Presse" vor, die in dieser Sache gemeinsam recherchiert haben.

Man schmiedet Pläne, heimische Behörden zu involvieren. Das Infrastrukturministerium soll für den "Technologietransfer nach Libyen" 100.000 Euro beisteuern. Zu der illustren Runde stößt ein Bundesheer-Brigadier, der ebenfalls eine Unternehmensberatung betreibt. Er versichert, auch 20.000 Euro vom Verteidigungsministerium aufzustellen. STANDARD und "Presse" liegt ein entsprechender "Letter of Intent" vor, der im Ministerium derzeit eifrig gesucht wird. Doch nach und nach kippt die Stimmung. Das liegt vor allem daran, dass Marsalek kein Geld überweist und K. langsam ein finanzielles Problem bekommt. Peinlich wird das auch für G., der den Auftrag vermittelt hat.

Er greift in die eigene Tasche, um K. zu beruhigen. Vorgestellt hatte G. Marsalek noch als verlässlichen Kunden, der wegen der Prominenz von Wirecard nur ungern Verträge abschließt. G. sagt zu diesem Zeitpunkt: Man könne "die Intentionen des Klienten nicht mehr interpretieren". Aber auch: K. solle "nicht eskalieren", also die Geldfrage nicht ansprechen. Im Frühjahr 2018 kommt es dann zum berüchtigten Treffen in Marsaleks Residenz. Anwesend: der Unternehmensberater G., der Flüchtlingsexperte K. samt einem Mitarbeiter sowie der Bundesheer-Brigadier – und natürlich Marsalek. Für Entwicklungshilfe lässt sich der nur wenig begeistern.

Kleinere Initiativen – Bildungsprojekte, Hühnerfarmen – interessieren ihn nicht. Er will Migranten dafür einsetzen, Straßen zu bauen; eine 15.000 Mann starke Miliz etablieren, um die Grenze zu schützen. Und damit bei den wichtigen Machthabern in der EU punkten. Je länger das Meeting dauert, desto merkwürdiger werden Marsaleks Aussagen. Er spricht von einem "Russen mit vielen verschiedenen Funktionen", der nützlich sein könnte. Ein "russischer Kontakt" könnte auch die Sicherheit bei Besuchen vor Ort gewährleisten. K. und sein Mitarbeiter, der in einem Memo strikt von weiterer Kooperation mit Marsalek abrät, verlassen das Treffen. Der Unternehmensberater G. und der Brigadier bleiben noch sitzen. Angeblich, um die Frage der Bezahlung zu besprechen.

"Zu nah an den Russen"

Nach dem Meeting wird der Kontakt zu Marsalek noch geringer. Irgendwann heißt es, K. solle eine Rechnung an ein libysch-russisches Institut in Moskau stellen. Der Flüchtlingsexperte versucht noch, seine bisherigen Ausgaben zu decken. Schließlich erhält er 50.000 Euro von Marsalek, viel weniger als ausgemacht. Bei einer Veranstaltung trifft er einige Monate später den Bundesheer-Brigadier, der meint, Marsalek sei "zu nah an den Russen". Zu diesem Zeitpunkt wurden westliche Geheimdienste, darunter auch deutsche Behörden, von Beteiligten vor Marsalek gewarnt – ohne Konsequenzen.

Erst im Frühjahr 2020 explodiert die Causa Wirecard. Nach Berichten über massive Bilanzfälschungen wird der Firmenchef Markus Braun, wie Marsalek ein Österreicher, festgenommen. Marsalek selbst flüchtet nach Russland und entzieht sich der strafrechtlichen Verfolgung. Dann geht es Schlag auf Schlag: Marsalek entpuppt sich als geheimer Informant der FPÖ, der Hinweise aus dem Verfassungsschutz nach außen getragen hat. Laut "Financial Times" soll er mit der Formel des Nervengifts Nowitschok geprahlt haben, und zwar mit Dokumenten österreichischer Behörden. Ein Nationaler Sicherheitsrat wird einberufen, ohne große Neuigkeiten. Jetzt soll sich die Justiz kümmern: Der grüne Wehrsprecher David Stögmüller hat eine Sachverhaltsdarstellung dazu eingebracht. (Fabian Schmid, 19.8.2020)