Nach einem halben Leben im Skisport wechselte Mathias Berthold vergangenes Jahr ins Einzelcoaching – und landete durch den Kontakt mit Trainer Damir Canadi beim 1. FC Nürnberg im Fußball. Nun ist der Vorarlberger externer Mentaltrainer bei Sturm.

Berthold: "Man muss auf die einzelnen Spieler eingehen und versuchen, sie zu unterstützen."
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STANDARD: Was macht eine Fußballmannschaft erfolgreich – und wo kommen Sie da ins Spiel?

Berthold: Wenn die elf Spieler zusammen mit dem Trainer, den Ersatzspielern und dem ganzen Kader in der Lage sind, in jedem Moment ihre Höchstleistung abzurufen. Ich komme da ins Spiel, dass ich versuche, die Erfolgsstrategien, die wir im Skifahren angewendet haben, auch hier umzusetzen.

STANDARD: Was steht dem Abrufen der Höchstleistung denn im Weg?

Berthold: Sehr viel. Dinge, die abseits des Sports in den Fokus rücken, seien es Fans, dass man sich zu sehr auf Ergebnisse fokussiert und zu wenig auf den Prozess, oder andere Dinge, die den Sportler beeinflussen. Da gilt es, den richtigen Fokus zu finden, die Leute möglichst optimal auf die Dinge vorzubereiten, die es umzusetzen gilt.

STANDARD: Müssen Sie Spieler da bis ins Privatleben coachen?

Berthold: Das möchte ich eigentlich nicht. Sollte es bei dem einen oder anderen Spieler wichtig sein, bin ich natürlich gerne bereit zu helfen. Wenn das Privatleben den Athleten abhält, gut zu performen, dann ist es gut, wenn man eine Lösung einbringen kann.

STANDARD: Wie kriegen Sie Ihre Inhalte konkret in die Spielerköpfe, sind das dann Therapiegespräche?

Berthold: Ich bezeichne es nicht als Therapiegespräche, es sind Trainingseinheiten. So wie man Technik, Taktik oder Kondition trainiert, gehören diese Themenbereiche genauso trainiert. Wie bereite ich mich auf Spiele vor, wie bin ich während des Bewerbs fokussiert.

STANDARD: Ist das dann ein Vortrag?

Berthold: Es ist kein Vortrag, es ist eine Zusammenarbeit, in der man die Dinge analysiert. Meistens ist der eine oder andere Schwachpunkt dabei, man arbeitet gemeinsam eine Lösung aus und trainiert sie, dass das reinkommt und immer abrufbar ist.

STANDARD: Bekommen die Spieler auch Übungsanweisungen für zu Hause?

Berthold: Auf alle Fälle. Das ist individuell verschieden, wie groß der geplante Schritt ist. Bei einer Mannschaft muss man sich das Vertrauen der einzelnen Spieler erarbeiten, bei dem einen hat die Thematik eine höhere Priorität als bei anderen. Dann gibt es auch noch die Gruppenthemen, die wir gemeinsam mit dem Trainer besprechen und dann versuchen, in die Umsetzung zu bringen.

STANDARD: Wie würde ein fiktiver Übungsplan aussehen, sind das dann zum Beispiel Visualisierungen?

Berthold: Teils, teils, das ist ein großer Themenbereich über Visualisierung, Werte, Imagination – beim Skifahren war Visualisierung natürlich extrem wichtig im Vorfeld des Rennens. Aber auch im Fußball hat jeder seine eigene Art und Weise, wie er sich auf Spiele vorbereitet. Der eine visualisiert, der andere geht Spielsituationen durch. Man muss auf die einzelnen Spieler eingehen und versuchen, sie auf ihrem Weg zu unterstützen.

STANDARD: Haben Sie sich Sturm-Spiele aus der Vorsaison angeschaut?

Berthold: Ich bin mit Andreas Schicker schon länger in Kontakt und habe mir die Spiele natürlich angesehen und mir gewisse Dinge aufgeschrieben. Wichtiger ist allerdings, wie die Spieler das selbst erlebt haben. Dann kann ich das, was mir aufgefallen ist, leichter erklären.

STANDARD: Als Erstdiagnose: In welchen Bereichen sehen Sie die meiste Luft nach oben?

Berthold: Die letzte Saison gehört der Vergangenheit an. Es war ein anderer Trainer, ein anderes Teamgefüge, es sind neue Spieler dazugekommen, es ist ein Neustart. In den Einzelgesprächen mit den Athleten werde ich sicher noch die eine oder andere Frage stellen, wie sie das damals gesehen haben. Was hängengeblieben ist, ist das Meisterplayoff mit sehr vielen Niederlagen – zum Analysieren muss man das noch kurz thematisieren, aber dann ist der Blick schon nach vorne gerichtet. Ich finde es extrem cool, dass ein Neustart stattgefunden hat mit neuen Ideen. Es ist eine coole Zeit im Moment.

STANDARD: Haben Sie bei Nürnberg etwas über die mentale Welt des Fußballs dazugelernt?

Berthold: Man lernt jeden Tag. Diese Mechanismen, die einsetzen, wenn man zwei Spiele hintereinander nicht gewinnt, wie sich das in den Köpfen manifestiert, das ist schon anders als im Einzelsport. Es war eine sehr wertvolle Erfahrung in Nürnberg.

STANDARD: Die Saison war ja eher so lala [Nürnberg schaffte den Klassenerhalt erst in der Relegation, Anm. d. Red.]. Würden Sie im Rückblick sagen, Sie haben Schlimmeres verhindert oder hat es einfach nicht geklappt?

Berthold: Meinen Anteil darin würde ich überhaupt nicht bewerten. Es war generell eine schwierige Saison für den Club, ich bin leider erst spät dazugekommen, wo schon einiges im Argen lag. Da war es relativ schwer, noch gewisse Mechanismen zu starten, die eine Umkehr bewirken. Es ist uns teilweise gelungen, es war sehr cool mit Damir Canadi. Der musste dann leider gehen – was sehr schade war, weil ich uns auf einem guten Weg sah. Dann sind neue Trainer und Spieler gekommen, es war relativ schwierig. Ich war mit Corona mehr oder weniger nicht mehr dabei, weil es zeitlich nicht möglich war – ich hätte eineinhalb Monate durchgehend draußen sein müssen. Ich habe dann nur mehr mit einzelnen Spielern individuell zusammengearbeitet, die unbedingt diese Arbeit fortführen wollten. Da sind so viele Dinge in der letzten Saison passiert, dass sehr schwer zu sagen ist, ob man da zum Klassenerhalt beigetragen hat. Ich habe von den Spielern sehr positive Rückmeldungen bekommen, das war für mich eine coole Sache.

STANDARD: Können Fußballer etwas von Skifahrern lernen?

Berthold: Man sollte sich anschauen: Was machen erfolgreiche Sportler? Ich hatte das Glück, als Trainer mit vielen erfolgreichen Sportlern zusammenarbeiten zu dürfen. Für mich ist wichtig, dass ein Team super miteinander harmoniert und arbeitet, dass man sich gegenseitig wertschätzt und unterstützt. Andererseits ist es sehr wichtig, dass jeder Spieler auch sein Maximum bringt über die 90 Minuten. Nur so kann ein gut funktionierendes Team auch auf einem hohen Niveau agieren.

STANDARD: Ist Ihnen bei Sturm schon ein Spieler aufgefallen, der mental besonders stark ist und als Vorbild dienen kann?

Berthold: Das kann ich in der kurzen Zeit noch nicht sagen. Das war jetzt Training, da sind die Dinge meistens easy und alles geht locker. Man muss sich das anschauen, wenn die Spiele starten. Das System steht erst dann auf dem Prüfstand, wenn es nicht so gut läuft, wenn schwierige Momente sind – da zeigen sich die Charaktere der einzelnen Spieler bzw. das Gesicht des gesamten Teams. Da arbeiten wir jetzt hin, dass wir da möglichst stark sind.

STANDARD: Sie sind extern bei Sturm, was für ein Umfang ist das?

Berthold: Ich habe ein klares Konzept vorgelegt. Ich werde in Abständen von 14 Tagen immer wieder drei, vier Tage dort sein. Je nach Bedarf stehe ich zur Verfügung, das besprechen wir mit Trainer und Sportdirektor.

STANDARD: Abschließend drei Schlagworte zur Leistungsoptimierung?

Berthold: Prozessfokus. Immer im Moment zu sein. Und Team. (Martin Schauhuber, 20.8.2020)