Die EU fordert geschlossen weitreichende politische Konsequenzen geben, inklusive Neuwahlen.

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So rasch, entschlossen und einig wie beim innerbelarussischen Konflikt hat die Europäische Union außenpolitisch selten reagiert. Noch vergangenen Freitag hatten die EU-Außenminister ihren Außenbeauftragten Josep Borrell gebeten, erst einmal Maßnahmen zu prüfen. Das klang nach zäher Beamtenarbeit.

Nur fünf Tage später lassen es die Erklärungen aller 27 Staats- und Regierungschefs bei einem EU-Sondergipfel an Klarheit und Bekenntnis nicht fehlen: Das Vorgehen von Machthaber Alexander Lukaschenko, seine Manipulationen der Präsidentenwahl, die exzessive Gewalt gegen die Opposition seien nicht nur völlig unakzeptabel. Es müsse konkrete und weitreichende politische Konsequenzen geben, inklusive Neuwahlen.

Die EU-Spitzen wollen es nicht nur mit den seit 2011 erstmals verhängten üblichen – oft zahnlosen – Sanktionen gegen die Machtclique in Minsk bewenden lassen. Dieser klare Bruch mit Lukaschenko ist neu. Gut zehn Jahre lang war das wechselseitige Verhältnis nämlich von "Realpolitik", einer offenen "östlichen Partnerschaft", geprägt: Marktöffnung und Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen gleichzeitig.

Die höchste politische Ebene der EU-Mitgliedsländer hat damit ein starkes Lebenszeichen gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik gegeben. Das war auch überfällig. Seit einem Jahrzehnt dümpelt diese eher lustlos dahin, während von Marokko über Libyen, Syrien und die Ukraine ein politischer Großbrand nach dem anderen entstand.

Nun also Belarus. In Wahrheit sind die EU-Spitzen Getriebene. Wenn sie Verstöße gegen Grundrechte nicht sanktionierten, gäben sie sich selber auf. Da mag der russische Außenminister Sergej Lawrow zynisch noch so oft behaupten, die EU sei von geopolitischen Zielen bestimmt. Da spricht ein Schelm in Moskau nur aus, wie er selber denkt.

Dazu kommt: Die EU-Regierungschefs wollen jedenfalls verhindern, dass sich in Belarus etwas zusammenbraut wie 2013/14 in der Ukraine. Angelockt von der Idee einer EU-Beitrittsperspektive wagte die Demokratiebewegung den Aufstand. Es kam zum Bürgerkrieg, zur militärischen Intervention Russlands, zur Annexion der Krim. Ein Trauma, geografisch mitten in Europa.

Adressat der EU ist daher nicht nur Lukaschenko, sind nicht nur die auf Unterstützung hoffenden belarussischen Bürger. Die "eindeutige Botschaft", dass es im EU-Nachbarland einen friedlichen Dialog geben muss, richtete sich vor allem auch an Moskau, an den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin.

Ohne ihn geht in dem vom Kreml als "Pufferstaat" zur EU betrachteten Belarus nichts. Mit ihm allerdings sehr wahrscheinlich leider auch nicht. Das ist das größte Problem dabei. Der Autokrat Putin, der im eigenen Land die Opposition verfolgt, hat bisher noch in keinem Satellitenstaat Demokratiebewegungen unterstützt.

Dennoch besteht Hoffnung. Putin kämpft selber mit einer tiefen wirtschaftlichen Krise, den Folgen der Corona-Pandemie. Lukaschenko ist in seinen Augen ein unsicherer Kantonist geworden, der sich völlig verschätzt hat, von dem mehr Schaden als Nutzen ausgeht. Damit hätte der russische Präsident ein gemeinsames Motiv mit den EU-Spitzen. Beide Seiten müssen mitspielen, um den Übergang zur Zeit nach Lukaschenko ohne Blutvergießen zu schaffen. (Thomas Mayer, 19.8.2020)