Der geografische Nordpol, von Bord der Polarstern aus gesehen.
Foto: Markus Rex/Alfred Wegener Institut

Das deutsche Forschungsschiff Polarstern hat auf dem letzten Fahrtabschnitt seiner Arktis-Expedition den Nordpol erreicht – und aufgrund des Eismangels ging es deutlich schneller als gedacht: "Es war ein unglaublich schneller Ritt", sagte Expeditionsleiter Markus Rex. Die Freude der Forscher über diesen Höhepunkt ihrer einjährigen Expedition ist allerdings getrübt, zeigt ihre Reise doch, wie stark das Meereis in der Arktis zurückgeht.

"Ich bin sehr erstaunt, wie weich und leicht durchfahrbar das Eis dieses Jahr bis 88 Grad Nord angetaut ist und dementsprechend weich und löchrig", berichtet Polarstern-Kapitän Thomas Wunderlich. "Sogar nördlich von 88 Grad Nord sind wir meist mit fünf bis sieben Knoten unterwegs, das habe ich soweit im Norden noch nicht erlebt. Die Situation ist für diese Region historisch. Normalerweise hält man sich aus der Region nördlich von Grönland besser fern, weil hier das dickere und ältere Eis liegt und kaum ein Durchkommen ist. Jetzt finden wir hier erstmals ausgedehnte Flächen offenen Wassers fast bis zum Pol vor."

"Wir waren uns aufgrund der Satellitenbilder zunächst nicht sicher, ob die lockere Eisbedeckung auf Winde und Strömungen zurückzuführen ist und hatten die Befürchtung, ein Wetterwechsel könnte das Eis wieder zusammenschieben. Das hätte bedeutet, dass wir wie in einer zugeschnappten Mausefalle im Eis eingeschlossen gewesen wären", sagt Rex. Vor Ort stellte sich jedoch heraus, dass das Meereis tatsächlich großflächig geschmolzen war und nicht nur von Wind auseinandergeschoben wurde.

Schrumpfen und Wachsen

Das arktische Eis erreicht gewöhnlich im März seine größte und im September seine geringste Ausdehnung. Im September 2012 war mit 3,4 Millionen Quadratkilometern die bisher kleinste Eisfläche seit 1979 beobachtet worden, im September 2019 die zweitgeringste Ausdehnung. Ob die Negativ-Rekorde in diesem Jahr noch einmal getoppt werden, werde sich im September zeigen, so Rex.

Das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI) hatte bereits im Juli mitgeteilt, dass die arktische Meereisausdehnung so gering ist, wie es seit Beginn der Satellitenmessungen für den Monat Juli noch nie beobachtet wurde. "Es ist erschreckend zu sehen, wie dünn das Meereis ist und wie schnell es schmilzt. Es muss dringend etwas passieren. Die Arktis kann nicht lange warten", sagt Rex.

Die Polarstern ist seit elf Monaten in der Arktis unterwegs. Im Rahmen der einjährigen Mosaic-Expeditio driftete sie zunächst mit einer riesigen Scholle mit, Ende Juli zerbrach diese. Seitdem fährt der Eisbrecher unter Motor wieder Richtung Norden. "Wir werden über den Nordpol hinaus Richtung Sibirien fahren, um uns eine neue Eisscholle zu suchen", sagte Rex. Dort wollen die Wissenschafter den beginnenden Gefrierprozess beobachten. Es ist das letzte Puzzlestück, das den Forschern in der Beobachtung des Jahreszyklus des Eises in der Arktis noch fehlt. (red, APA, 20.8.2020)