Wollnashorn-Rekonstruktion 1: Der Kopf des Lindwurms lässt die Verwandtschaft zu Nashörnern, Tapiren und Pferden durchaus erahnen. Dahinter wird es dann etwas fantastisch.
Foto: APA/GERT EGGENBERGER

Wer schon einmal vor dem Klagenfurter Lindwurm gestanden ist und sich insgeheim gedacht hat, dass der Kopf eigentlich so gar nicht drachenhaft aussieht: Stimmt. Es handelt sich um die Züge eines friedlichen Pflanzenfressers – zumindest wenn die historische Überlieferung korrekt ist. Der zufolge soll die Skulptur nämlich nach dem Vorbild eines Schädels anfertigt worden sein, der im 14. Jahrhundert nahe Klagenfurt ausgegraben worden war. Und dieser Schädel, heute im Kärntner Landesmuseum zu besichtigen, stammt von einem Wollnashorn.

Kurz vorgestellt

Dreieinhalb Meter lang und mehr als zwei Tonnen schwer, kurzbeinig und buckelig, mit einem zotteligen braunen Pelz bedeckt und zwei Hörner auf der Stirn tragend, von denen das vordere einen Meter lang wurde: So sah die ewige Nummer Zwei der Eiszeitsteppe aus. Das Wollnashorn (Coelodonta antiquitatis) war etwas kleiner als ein Wollhaarmammut, es ist nicht ganz so berühmt geworden und es war auch nicht so weit verbreitet wie sein rüsseltragender Zeitgenosse.

Sein Lebensraum reichte von Westeuropa bis in den Osten Sibiriens, das ist immerhin das größte Verbreitungsgebiet aller bekannten Nashornarten. Anders als die Mammuts und viele andere Eiszeittiere hat das Wollnashorn aber nie die Landbrücke von Beringia überquert und Nordamerika besiedelt; die Gründe dafür sind unbekannt.

Wollnashorn-Rekonstruktion 2: Für diese konnte ein fast vollständig erhalten gebliebenes Exemplar verwendet werden, das in Sibirien gefunden und auf den Namen "Sasha" getauft wurde. Solcherart aufgestellt, macht es allerdings einen ähnlich unglücklichen Eindruck wie der berühmt-berüchtigte Löwe von Gripsholm.
Foto: Albert Protopopov

Gegen Ende der letzten Kaltzeit ist das Wollnashorn – wie so viele andere eiszeitliche Großtiere – ausgestorben. Schwedische Forscher haben sich nun seinem Verschwinden aus Sibirien gewidmet. Das war laut dem Team um Love Dalén vor etwa 14.000 Jahren der Fall. Möglich, dass die zotteligen Riesen weiter westlich ein paar Jahrtausende länger überdauert haben, entsprechende Funde sind aber nicht eindeutig genug datierbar.

Überhitzung oder Überjagung?

Wie Leser des Paläontologie-Ressorts mittlerweile schon mitsingen können, gibt es dafür zwei konkurrierende, vielleicht aber auch einander ergänzende Erklärungen: klimatische Veränderungen und/oder Überjagung durch den Menschen. Für den sogenannten Overkill braucht es auch keine Massenschlachtungen – bei großen Tieren mit langsamem Reproduktionszyklus reicht es schon, dass der Population sukzessive ein bisschen mehr Exemplare entnommen werden, als neue zur Welt kommen. So brechen die Bestände unweigerlich schon bei kleinen Verlusten mittelfristig zusammen.

Solange die ältesten Spuren von Menschen in der Region 15.000 Jahre alt waren, schien die Overkill-Hypothese auch im Fall des Wollnashorns unangefochten. Inzwischen kennt man jedoch ältere Hinterlassenschaften von Menschen, wie Dalén betont – sogar 30.000 Jahre alte. Die beiden Spezies haben in Sibirien also überraschend lange nebeneinander existiert. Aber ging es mit der einen in diesem Zeitraum konstant bergab, gewissermaßen in einem Slow-Motion-Overkill?

Die Nashörner gediehen offenbar prächtig

Um das herauszufinden, analysierte das Team das Erbgut von insgesamt 14 Wollnashörnern aus einem Zeitraum von über 10.000 Jahren. Knochen, Haare und anderes Gewebe lieferten sowohl Zellkern-DNA als auch mitochondriale DNA, und es ist erstaunlich, was man daraus alles für Informationen gewinnen kann. Nicht nur über spezielle Mutationen, die – analog zu den Mammuts – für eine besondere Kälteanpassung der Wollnashörner sprechen. Sondern auch darüber, wie gesund die damaligen Bestände waren.

Und da waren die Ergebnisse durchaus überraschend: Die sibirischen Wollnashörner erlebten vor 29.000 Jahren mit dem Beginn einer Klimaabkühlung einen Boom – und hielten dieses Niveau auch danach. Es wurden keine Anzeichen dafür gefunden, dass die genetische Vielfalt der Tiere in den folgenden Jahrtausenden abgenommen hätte. Die Samples reichen allerdings nur etwa 18.500 Jahre zurück. Was auch immer die Spezies dahingerafft hat, muss in den gut 4.000 Jahren danach geschehen sein. Die Forscher hoffen daher auf DNA-Funde aus dieser entscheidenden Lücke. Irgendwann muss die Vielfalt ja zurückgegangen sein, sagt Dalén.

Wollnashorn-Rekonstruktion 3: Zumindest am Aussehen des Skeletts gibt es keinerlei Zweifel.
Foto: Fedor Shidlovskiy

Dass das Erbgut keine Hinweise auf einen Overkill liefert, ist freilich noch keine eindeutige Entlastung des Menschen, wie die Forscher einräumen. Denkbar wäre, dass sich über die Jahrtausende neue Jagdtechniken entwickelt haben oder dass sich eine andere Kultur mit entsprechender Technik ausgebreitet hat – aber das ist reine Spekulation. Vielleicht war es zumindest bei dieser Spezies eben doch das Klima. Daléns Team verweist dabei auf das sogenannte Bølling-Allerød-Interstadial, eine knapp 2.000 Jahre lange Phase der Erwärmung, die sich genau mit dem Zeitraum deckt, in dem die Wollnashörner aus Sibirien verschwanden.

Auch diese Vermutung hat aber einen Haken, und der hängt mit dem einen Punkt zusammen, in dem das Wollnashorn das Mammut übertraf: Das Wollhaarmammut betrat relativ spät die Eiszeitbühne, vor etwa 800.000 Jahren. Die frühesten Wollnashornfunde sind hingegen 3,6 Millionen Jahre alt. In diesem gewaltigen Zeitraum haben die Tiere wirklich alles an Kalt- und Warmphasen ausgesessen, was das Eiszeitalter aufzubieten hatte – und zwar mehrfach. Warum sie also just den einen Wechsel nicht überlebt haben, dem auch so viele andere Großtiere zum Opfer fielen, bleibt eine offene Frage. (jdo, 23. 8. 2020)