"Mortal Shell"
"Mortal Shell"
"Mortal Shell"
"Mortal Shell"
"Mortal Shell"
"Mortal Shell"
"Mortal Shell"
"Mortal Shell"

Hidetaka Miyazaki hat etwas geschafft, was nur wenige Spieleentwickler von sich behaupten können: Er hat ein neues Genre erfunden. Als "Souls-likes" bezeichnet man jene Spiele, die sich seine Action-Rollenspielreihe von Demon’s Souls bis zur Dark Souls-Trilogie zum Vorbild genommen haben. Zu den Zutaten zählt unter anderem Folgendes: Die Spiele sind hart, aber fair, haben offene, verwinkelte Spielewelten, beim Tod verliert man nicht rechtzeitig eingetauschte Erfahrungspunkte, und alle Gegner, mit Ausnahme der spektakulären Bosse, erstehen wieder auf. Erklärt wird wenig.

Auf den ersten Blick sieht Mortal Shell wie eine beinahe peinliche Kopie dieses Konzepts aus, bis hin zum Dark-Fantasy-Stil mit schwer gepanzerten Rittern und moosbewachsenen Burgruinen. Beim zweiten Hinsehen bemerkt man jedoch die kleinen, aber feinen Differenzen: Als bleicher magischer Parasit ergreifen wir hier Besitz von im Spielverlauf insgesamt vier verschiedenen sterblichen Hüllen, in deren Gestalten und mit deren recht unterschiedlichen Fähigkeiten wir in den Kampf ziehen. Statt individueller Charakterpflege gilt es hier, vier archetypische Klassen nach und nach unserem bevorzugtem Spielstil anzupassen, vom Allrounder und dem schweren Krieger über den akrobatischen Schurken bis hin zu einer Art Kampfmagier. Das bedeutet auch eine gegenüber den "Originalen" nur winzige Auswahl an Ausrüstungsgegenständen und insgesamt nur vier Waffen plus eine einzige Fernwaffe.

Die methodisch-taktischen Nahkämpfe gegen eine Vielzahl an Gegnern und Fantasy-Monstern lassen diesen scheinbaren Mangel aber bald verschmerzen, denn das Kampfsystem bietet als Ausgleich einige Innovationen: Statt eines Schildblocks darf sich unsere Spielfigur auf Tastendruck kurzzeitig versteinern und überlebt so auch schwerste Attacken. Weil wir diese sich alle paar Sekunden regenerierende Kraft auch mitten in Bewegungen einsetzen dürfen, entsteht so, genug Übung vorausgesetzt, ein interessanter Kampfrhythmus, vor allem in Verbindung mit der Heilmechanik: Gesundheit wird hier nämlich nicht durch Heiltränke, sondern hauptsächlich durch eine Parade wiederhergestellt; wie in Sekiro überlebt hier nur, wer sowohl offensiv wie auch defensiv perfekte Reflexe unter Beweis stellt. Von Letzterem hat Mortal Shell auch die einmalige Auferstehung nach dem Tod übernommen.

Der Rest wird Souls-Freund*innen bekannt vorkommen: Der Weg führt durch Unmengen von Gegnern zu riesigen Gemäuern und düsteren Gruften, es gibt gefährliche Bosse, geheime Abkürzungen und NPCs, die Mysteriöses von sich geben. Je nach Geschick werden abgehärtete Souls-Veteranen nach etwa 15 Stunden ins NG+ starten können, weniger Geübte dürfen dementsprechend einige Stunden Lehrgeld dazulegen.

PlayStation

Was ist gelungen?

Wenn schon kopieren, dann so: Mortal Shell ist in Sachen Grafik und Präsentation ein Genuss. Es ist kaum zu glauben, dass an diesem Spiel ein Indie-Team von zuerst vier, dann später nur 15 Entwicklern gearbeitet hat; einige von ihnen kommen aus dem AAA-Kontext. In Sachen Gegnervielfalt, Waffenauswahl und auch Umfang zeigen sich zwar die im Vergleich zur Hochglanzbranche beschränkten Budgets, nicht jedoch in der Grafik und im Artdesign. Dass sich eine bemerkenswert dichte, absolut an die Vorbilder heranreichende Atmosphäre entfaltet, liegt aber auch am hervorragenden Sounddesign, das die Welt, aber auch vor allem die Kämpfe zu beeindruckend wuchtigen Erlebnissen macht.

Das Kampfsystem erweist sich, nach anfänglicher Einarbeitung, als ebenso solide wie originell, doch das größte Geschenk an Dark-Souls-Fans ist zweifellos, dass dieses Spiel erneut das faszinierende Gefühl eines Aufbruchs in eine geheimnisvolle, ebenso feindliche wie komplexe Welt vermitteln kann, in der das Erforschen der Umgebung Hand in Hand mit dem Aufdecken der absichtlich obskuren Gameplay-Systeme geht. Kurz gesagt: Mortal Shell zu entdecken fühlt sich auf großartige Weise genauso an, wie damals die ersten Schritte durch Lordran zu tun – keine kleine Leistung.

PlayStation

Was ist weniger gelungen?

Nicht alle Bereiche in Mortal Shell halten denselben hohen Standard, sowohl in Sachen Atmosphäre als auch Gegnerplatzierung, und hin und wieder führt kein Weg an ein wenig Grinding vorbei, um die Fähigkeiten der einzelnen Klassen jeweils separat zu steigern.

Auch das Kampfsystem wird nicht bei allen uneingeschränkte Zustimmung finden: Wer die Versteinerungsfähigkeit monoton, aber taktisch wieder und wieder einsetzt, nimmt sich selbst sowohl viel Herausforderung als auch Abwechslung aus dem Spiel. Dass im Unterschied zu den Vorbildern in Sachen Charaktergestaltung, -spezialisierung und Bewaffnung kaum Wahlfreiheit herrscht, ist ebenso ein Wermutstropfen.

Fazit

Unglaublich, was ein so kleines Team auf die Beine gestellt hat: Mortal Shell ist trotz kleiner Schwächen und budgetbedingter Abstriche das beste Souls-like seit langem, ein höchst fokussiertes, seine Möglichkeiten perfekt nutzendes kleines Spiel, das dadurch durchaus mit den Großen mithalten kann. Die Wartezeit, bis das Remake von Demon’s Souls oder gar das ohne Nachricht verschollene Elden Ring auf den Bildschirmen auftauchen, lässt sich damit vortrefflich überbrücken. Ein absolut gelungener Erbe, für Fans ebenso wie für Neueinsteiger ins Genre. (Rainer Sigl, 22.8.2020)